"Der Flame bereut seine Wahl nicht", titelt Het Laatste Nieuws. "Die PS überholt die MR wieder in der Wallonie und in Brüssel", so die Schlagzeile von Le Soir. "…aber die MR ist den Sozialisten dicht auf den Fersen", fügt L'Avenir auf seiner Titelseite hinzu.
Le Soir und Het Laatste Nieuws veröffentlichen heute eine neue Umfrage. Und daraus geht hervor, dass sich die Kräfteverhältnisse ziemlich genau ein Jahr nach der Wahl nicht grundlegend verändert haben. Das gilt in erster Linie für Flandern, wo die N-VA ihre Spitzenposition behaupten kann. Dahinter folgt der rechtsextreme Vlaams Belang, der leichte Verluste hinnehmen muss. Die CD&V kann jetzt aber Platz drei erobern und tauscht mit Vooruit die Plätze. In der Wallonie und in Brüssel kann die PS wieder in Führung gehen. Die Sozialisten und die MR sind aber mehr oder weniger gleichauf.
Über- und unterrepräsentierte Opposition
In Flandern ist vor allem das Ergebnis der N-VA beeindruckend, analysiert Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Die flämischen Nationalisten stehen weit über der Mêlée. Mit den Straßenkämpfen, die sich CD&V, MR und Vooruit liefern, müssen sich Bart De Wever und seine Leute gar nicht erst beschäftigen. Ebendieser Bart De Wever, der einst gegen das "System" zu Felde zog, geht inzwischen als Staatsmann durch. Und das sogar im frankophonen Landesteil, wo er in der Hitparade der populärsten Politiker inzwischen auch schon auf dem fünften beziehungsweise sechsten Platz steht; also der Mann, der im südlichen Landesteil bis vor Kurzem noch "le diable" war, der Teufel in Person. De Wever hat sich in der Rolle des belgischen Premierministers erstaunlich schnell zurechtgefunden; jegliche Kritik lässt er an sich abperlen; "er schüttelt Journalisten von sich ab wie Raupen", so formulierte es schon ein Beobachter. Der Mann ist dabei, sich und seine Partei regelrecht neu zu erfinden. Denn plötzlich findet die flämische Ebene, die doch sonst für die N-VA so wichtig war, eigentlich gar nicht mehr statt.
Wer die Opposition sucht, der muss in die Wallonie schauen, konstatiert Gazet van Antwerpen. PS-Chef Paul Magnette und der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez haben vor einigen Tagen in der RTBF für einen bemerkenswerten Fernsehmoment gesorgt. Die beiden haben sich fast buchstäblich in die Haare gekriegt, haben sich gegenseitig dermaßen beschimpft, dass der Moderator gleich viermal damit drohen musste, die Mikros auszuschalten. Dieser "wallonische Clash" steht in schrillem Kontrast mit der Situation in Flandern, wo die Opposition keinen Fuß auf den Boden bekommt. Im nördlichen Landesteil gilt insbesondere die Sozialpolitik der Arizona-Koalition als unstrittig, fast schon als Ausdruck des gesunden Menschenverstands, während die Frankophonen hier ideologische Grabenkämpfe ausfechten. Ergo: Im nördlichen Landesteil findet die Opposition nicht statt, im Süden ist sie fast überpräsent: Zwei unterschiedliche Situationen also. Vorläufig.
Dunkle Wolken über Arizona
Doch zeichnet sich jetzt schon ein handfester Streit über die neue NATO-Quote ab. Mark Rutte, der Generalsekretär der Allianz, will ja den Mitgliedsstaaten vorschlagen, dass künftig der Gegenwert von fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung investiert werden muss. Für viele Länder ist das schwierig bis unmöglich. Und das gilt vor allem für Belgien; die Nationalbank hat ja gerade noch die Haushaltssituation als "untragbar" bezeichnet.
Über Arizona ziehen dunkle Wolken auf, meint sinngemäß La Dernière Heure. Seit die NATO-Verteidigungsminister ein großes Aufrüstungsprogramm beschlossen haben, das Kosten im Gegenwert von fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes produzieren könnte, ist es endgültig vorbei mit dem Koalitionsfrieden. Der N-VA Verteidigungsminister unterstützt die Idee, CD&V und Vooruit haben aber gleich ernste Bedenken angemeldet. Und die MR hat sogar mit beiden Füßen auf die Bremse getreten: Ein fünf-Prozent-Ziel, das wäre kollektive Hysterie, wurde schon MR-Chef Georges-Louis Bouchez zitiert. Hier droht also ein handfester Clash. Und diesmal wäre auch die N-VA mit in der Kampfarena.
Ein zu hoher Preis für eine willkürliche Zahl
Im Zusammenhang mit dem möglichen neuen Ausgabeziel der Nato hat Verteidigungsminister Theo Francken am Donnerstag die Untertreibung des Jahres geliefert, giftet De Standaard in seinem Kommentar. Der N-VA-Politiker nannte eine Nato-Quote von fünf Prozent "logisch", und fügte dann beschwichtigend hinzu, über das Timing ja noch diskutiert werden kann, und das ja auch Straßen oder Brücken mit eingerechnet werden dürfen, was das Ganze dann doch viel realistischer macht. Das kann Francken doch nicht ernst meinen. Wir müssen uns also glücklich schätzen, dass wir künftig nicht 30, sondern nur noch 20 Milliarden pro Jahr in die Rüstung stecken müssen. 20 Milliarden! Die vier Milliarden, die die Regierung jetzt quasi über Nacht zuschießen musste, selbst die sind ja schon nicht gegenfinanziert. Das ist ein ungedeckter Scheck. Besagtes fünf-Prozent-Ziel ist im Übrigen nicht "logisch", sondern wurde von Donald Trump aus dem Hut gezaubert. Letztlich will er damit seinen Kampf gegen staatliche Behörden nach Europa exportieren, Den Kontinent also, den er mit seinen Zöllen ohnehin in die Knie zwingen will.
De Morgen sieht das ähnlich. Die Regierung schafft es noch nicht, eine Nato-Quote von zwei Prozent zu bezahlen. Fünf Prozent, und selbst abgeschwächte 3,5 Prozent, das ist absolut unrealistisch. Der Preis dafür wäre zu hoch, denn dafür müsste in allen anderen Bereichen regelrecht gesäbelt werden: Justiz und Sicherheit, Gesundheit, soziale Sicherheit und Klimaschutz. Dafür gibt es keine Akzeptanz. Nicht vergessen: besagte fünf Prozent hat Trump völlig willkürlich in den Raum gestellt. Wir müssen dieses Spiel nicht mitspielen; Europa ist stark genug, um seine eigene geopolitische Strategie zu entwickeln. Am liebsten mit der Nato, wenn das geht; aber notfalls auch ohne die Nato, wenn es sein muss.
Das Ende der 'Bromance'
Einige Zeitungen schließlich beschäftigen sich mit dem Bruch zwischen Donald Trump und Elon Musk. "Das Ende der 'Bromance' droht hässliche Züge anzunehmen", orakelt etwa De Standaard auf Seite eins.
Was wir hier sehen, das ist eine regelrechte Wild-West-Scheidung, frotzelt sinngemäß La Libre Belgique. Da hagelt es plötzlich Beleidigungen, Beschuldigungen und Bedrohungen. Jeder verweist darauf, dass der jeweils andere ihm doch so viel verdankt. Letztlich stimmt das ja auch. Und doch konnte die Allianz zwischen den beiden nicht lange gut gehen. Musk verkörpert eine globalisierte, technikbegeisterte, fast transhumanistische Vision, in der die Technik den Menschen geradezu veredelt. Trump hingegen steht für eine konservative, nationalistische und protektionistische Politik, die also eher rückwärtsgewandt ist.
Der Rosenkrieg, den sich beide jetzt liefern, der ist allerdings filmreif und dabei zugleich desaströs. Hier zeigt sich nämlich, dass eine Demokratie, die sich von reichen Narzissten kapern lässt, sehr schnell zur Geisel ihrer Launen und Kapriolen wird.
Roger Pint