"Der Vlaams Belang wird drittstärkste Kraft in Flandern", titeln Het Laatste Nieuws und De Morgen.
Das freilich ist nur eine Projektion. Beide Zeitungen veröffentlichen zusammen mit Le Soir und den Fernsehsendern VTM und RTL eine neue Umfrage. Und die könnte eine Woche vor der Wahl doch zumindest eine grobe Richtung andeuten. In Flandern steht die N-VA demnach weiterhin unangefochten an der Spitze. Die 30-Prozent-Marke knackt sie aber nicht. Die CD&V würde ein respektables Ergebnis einfahren. Liberale, Sozialisten und Grüne rangieren in einer Schere zwischen elf und zwölf Prozent. Eindeutiger Gewinner wäre aber der rechtsextreme Vlaams Belang mit knapp 15 Prozent. "Auf dem Weg zu einem zweiten "Schwarzen Sonntag"?", fragt sich denn auch Het Laatste Nieuws. Das ist ein Verweis auf die Wahl von 1991, bei der der Vlaams Blok seinen Durchbruch schaffte.
Für Groen dürfte die Umfrage doch eine Ernüchterung sein: Zwölf Prozent, das wäre nicht der Höhenflug, den man den Grünen landesweit vorhergesagt hatte. Die "Grüne Welle" scheint sich aber im frankophonen Landesteil doch zu bestätigen: "Ecolo festigt seine Spitzenposition in Brüssel", bemerkt etwa Le Soir. Laut der Umfrage bekäme Ecolo knapp 23 Prozent und würde die Sozialisten und MR weit hinter sich lassen. In der Wallonie stünden die Grünen bei 19 Prozent. Das ändert aber nichts an den dortigen Kräfteverhältnissen, da auch PS und MR im Vergleich zur vorherigen Umfrage wieder zulegen können.
Es ist "nur" eine Umfrage, so das relativierende Mantra von Le Soir. Auffallend ist vor allem der hohe Anteil der noch unentschlossenen Wähler. Deren Wahl kann noch mal alles auf den Kopf stellen, das haben zuletzt noch die Wahlen in Spanien gezeigt. Und nicht vergessen: In der Politik kann eine Woche verdammt lang sein. Aber apropos lang: Die Regierungsbildung könnte sich dann doch hinziehen. Laut der Umfrage dürfte die Bildung neuer Mehrheiten auf regionaler Ebene vielleicht noch ein Kinderspiel werden. Auf der föderalen Ebene droht aber eine Pattsituation. Kurz und knapp: Flandern wählt rechts, die Wallonie links.
"Puzzeln für Fortgeschrittene"
"Na dann viel Glück, Majestät", meint auch Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Man darf annehmen, dass König Philippe sich auf die Wahlen freut wie der Truthahn auf Weihnachten. Sollten sich die Umfrageergebnisse bewahrheiten, dann werden die nächsten Koalitionsverhandlungen auf föderaler Ebene so etwas wie "Puzzeln für Fortgeschrittene". Kurz umrissen: Eine Neuauflage der Mitte-Rechts-Koalition hätte selbst mit der CDH keine Mehrheit. Beide Mitte-Links-Optionen hätten auch keine Mehrheit. Und die Koalitionen, die über eine komfortable Mehrheit verfügen würden, die sind undenkbar. Philippe ist König eines gespaltenen und politisch zersplitterten Landes. Im schlimmsten Fall haben wir am Ende sogar acht Parteien nötig, um das Land noch zu regieren. Am 27. Mai, dem Tag nach der Wahl, droht auch im Palast von Laeken ein böses Erwachen.
In der Mitte des Betts
Der Samstag ist ja traditionell auch der Tag der großen politischen Interviews. "Fünf Jahre lang sind wir von Links beschossen worden", beklagt Charles Michel in De Morgen. "Mit der N-VA zu verhandeln, das wird schwierig", sagt der CD&V-Spitzenpolitiker Kris Peeters auf Seite eins von La Libre Belgique. De Standaard bringt ein Doppelinterview von Charles Michel und dem CD&V-Vorsitzenden Wouter Beke: "Zusammen liegen wir in der Mitte des Betts", sagen beide. Heißt wohl: Irgendwie scheinen beide eine Achse bilden zu wollen, um die sich dann die anderen Parteien scharen sollten. "Und wir werden nicht das Rad zurückdrehen", sagen Michel und Beke: Die Entscheidungen der letzten Regierung würden nicht rückgängig gemacht.
"Wir werden nicht die Bürger rupfen", das sagt derweil Elio Di Rupo auf Seite eins von La Dernière Heure. Der PS-Chef erläutert die Pläne der Sozialisten mit Blick auf eine Reichensteuer. Und er wolle die Lügen der MR mal geraderücken, so Di Rupo.
Auf der Zielgeraden
"Wir gehen jetzt in die letzte Woche", stellt De Tijd in ihrem Leitartikel fest. Die letzte Woche eines Wahlkampfes, den man wohl nur als "befremdlich" bezeichnen kann. Eine Woche vor dem Wahltermin wirkt es so, als hätten alle Parteien schon alles gesagt. Was vor allem seltsam war: Wir haben eigentlich nicht über die Frage gesprochen, wie der Staat finanziell über die Runden kommen soll. Keine Diskussionen etwa über Steuerreformen oder Sparmaßnahmen. Und das kann sich als Problem erweisen. Keine Partei hat nämlich den Wähler um ein Mandat gebeten, um das zu tun, was unvermeidlich ist: Die "schwarze Null" zu erreichen, das wird nicht ohne Einschnitte gehen. Wer sich heute schon betrogen fühlt, weil vor fünf Jahren niemand eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre angekündigt hatte, dem droht ein Déjà-vu, das sich gewaschen hat.
La Libre Belgique hat da nur eine Empfehlung: Lesen Sie das Programm, verdammt noch mal! Die letzte Woche hat die inneren Widersprüche der Parteien ans Licht gebracht. Und auch einige Programmpunkte, die sie am liebsten totschweigen würden. Deswegen sollte der Wähler eben ganz genau hinschauen, bevor er sein Kreuzchen macht.
Auch De Standaard wundert sich über den Verlauf des Wahlkampfs: Noch nie haben die Parteien soviel Energie aufgewendet, um die Schwächen ihrer Gegner offenzulegen. Und mehr denn je wurden Vetos proklamiert, wurde also die Zusammenarbeit mit der einen oder anderen Partei grundsätzlich ausgeschlossen. Wie soll der Wähler denn jetzt damit umgehen? Was macht man denn mit all den Parteien, die sich jetzt in die Mitte des Betts legen und die dann nach der Wahl entweder nach links oder nach rechts rollen? Beim Wähler kann sich da so ein Gefühl der Ohnmacht breitmachen.
Het Nieuwsblad hat seinerseits eine Knuddel-Kampagne beobachtet: Was waren sie doch zuweilen nett! Zwischen der CD&V-Spitzenkandidatin Hilde Crevits und dem N-VA-Favoriten Bart De Wever ging es fast schon freundschaftlich zu. Insgesamt hat die N-VA die CD&V auffallend geschont. Auf der Zielgeraden sehen wir weniger die Konfrontation von Ideen, als vielmehr einen politischen Paarungstanz. Warum denn nicht gleich? Fünf Jahre lang sind sich die flämischen Mitte-Rechts-Parteien gegenseitig ans Leder gegangen. Die Knuddel-Kampagne soll wohl das Kabbel-Kabinett vergessen machen. Dafür ist es aber leider zu spät.
Roger Pint