"Startschuss für einen fünf Monate langen Balanceakt", titelt L'Echo. "Fünf Monate Zeit für die geschäftsführende Regierung", heißt es bei Le Soir.
Am Freitag hat König Philippe nach Gesprächen mit verschiedenen Parteichefs den Rücktritt von Premierminister Charles Michel angenommen. Vorgezogene Neuwahlen soll es aber nicht geben, stattdessen soll Michel bis zu den regulär anstehenden Wahlen im Mai die Regierung geschäftsführend weiter leiten.
Logisch wäre es gewesen, wenn die Wähler jetzt zu den Urnen gerufen worden wären, meint Le Soir in seinem Kommentar. Aber Logik sucht man vergeblich in dieser Regierungskrise, die hauptsächlich und aus schlechten Gründen von der N-VA provoziert worden war. Die Entscheidung des Königs ist nicht perfekt, aber fünf Monate vor den regulären Wahlen wohl die vernünftigste. Jetzt liegt der Ball im Feld der Parteien. Allesamt haben sie geschworen, die Bürger gehört zu haben und verantwortlich handeln zu wollen. So hat der Königspalast die belgische Politik zu einem doppelten Reifetest geladen. Inhaltlich haben die Politiker jetzt fünf Monate Zeit, um die zahlreichen Herausforderungen anzugehen. Und was die Form angeht, müssen die beiden Schlüsselinstitutionen – das Parlament und die Regierung –zeigen, dass sie die Demokratie wiederbeleben können, analysiert Le Soir.
Noch nie so viel Reformwillen
Das GrenzEcho ist da skeptisch: Langsam lichtet sich der Nebel über dem Brüsseler Regierungsviertel, aber die Sonne tritt nicht hervor. Im Rückblick haben sich weder das Geschehen noch der Stil einer soliden Politik als würdig erwiesen. Den größten Vorwurf muss man der N-VA machen: Sie hat das Thema "UN-Migrationspakt" hochgeschaukelt, weil sie festgestellt hat, dass sie daraus das größte politische Kapital schlagen kann. Premier Charles Michel hat sich gerne provozieren lassen, weil er es leid war, sich und seine MR als Marionette eines Bart De Wever diskreditieren zu lassen. Die anderen Parteien haben den Ball gerne aufgenommen - vor allem auf frankophoner Seite, wo man seit Tag eins ein Problem damit hatte, dass sich die MR mit der N-VA eingelassen hatte. Dabei gibt es so viele Politikfelder, auf denen Belgien Nachholbedarf hat. Unverantwortlich, dass die Politik dem Land in so einer Situation lange Monate Stillstand auferlegt, beklagt das GrenzEcho.
Doch nach Stillstand sieht es im Moment gar nicht aus, findet L'Avenir. Noch nie hat es zu diesem Zeitpunkt der Legislaturperiode so viel Reformwillen gegeben wie dieses Mal. "An die Arbeit! Keine Zeit verlieren!", rufen die Grünen. Die CDH möchte sofort den Wohlstand der Bürger fördern und die PS hat sich fünf Monate gegeben, um die Kaufkraft zu erhöhen. Da muss man beinahe glauben, dass es eine geschäftsführende Regierung braucht, damit die Sorgen der Belgier gehört werden. Man könnte fast hoffen, dass der Rekord der 541 Tage politischer Krise bald gebrochen wird, so ironisch L'Avenir.
Erfolg nicht vorprogrammiert
Die flämischen Zeitungen beschäftigen sich heute vor allem mit der Koalitionsbildung in Antwerpen. Het Nieuwsblad schreibt dazu: Was nach den Kommunalwahlen am 13. Oktober noch so gut wie undenkbar war, ist jetzt Realität geworden - eine Koalition zwischen N-VA und SP.A in Antwerpen. Die OpenVLD ist auch mit dabei, muss sich aber mit einer Nebenrolle zufriedengeben. Es ist eine Vereinbarung geworden, mit der Links und Rechts zusammen probieren können, zu regieren. An allen Ecken und Enden ist darin viel guter Wille zu sehen. Aber der Erfolg ist keineswegs vorprogrammiert. Die Frage ist jetzt, ob die SP.A den N-VA-Chef Bart De Wever, der politisch einige Klassen höher spielt, zu echten Zugeständnissen bewegen kann. Die Antwort ist nicht unbedingt Ja, prophezeit Het Nieuwsblad.
Gazet van Antwerpen ist optimistisch: Die Einigung zwischen SP.A und N-VA erscheint zwar merkwürdig, die beiden Erzfeinde haben in den letzten Jahren kein gutes Haar aneinander gelassen. Aber es kann funktionieren. Der Wähler hat die Karten eindeutig gelegt: Alleine Rechts ist nicht möglich, alleine Links genauso wenig. N-VA und SP.A wollen zusammen Verantwortung übernehmen. Die Machtverhältnisse sind in der Abmachung perfekt widergespiegelt: ein strenges, solides, aber nicht zu ehrgeiziges Projekt mit einigen sozialen Akzenten. Heute legen die Unterhändler ihren Parteien die ausgehandelte Vereinbarung vor. Für viele von der SP.A wäre diese Zusammenarbeit Verrat. Aber können die Sozialisten jetzt noch ablehnen? Was in Gottes Namen könnte die Partei damit gewinnen? Sie ist jetzt schon geschwächt, in der Opposition bliebe ihr nichts. Und in jedem Fall kann Antwerpen in allen Bereichen mehr Zusammenarbeit gebrauchen, meint Gazet van Antwerpen.
Er hat es getan
La Libre Belgique kommentiert den angekündigten Rückzug der US-Truppen aus Syrien und Afghanistan: Jeder US-Politiker hofft darauf, vor Weihnachten ankündigen zu können, dass die "Jungs" nach Hause kommen. Donald Trump hat es getan. Aber ist er sich der Konsequenzen bewusst? In Syrien lässt er die Kurden im Stich. Jetzt haben dort der Iran, Russland und die Türkei freie Hand. In Afghanistan haben die Taliban nur darauf gewartet, das Land wieder in ein Paradies für Dschihadisten verwandeln zu können.
Zudem lassen die USA mit ihrer einseitig getroffenen Entscheidung ihre Partner vor Ort - darunter auch Belgien - im Stich, kritisiert La Libre Belgique.
Peter Eßer