Wer wird Premierminister? Es hat Zeiten gegeben, da war die Frage erstaunlich offen, da schien sich keiner wirklich um den Job zu schlagen. Die einen, weil sie keinerlei Ambitionen hatten auf den Posten des föderalen Regierungschefs - die Rede ist von der N-VA. Und die anderen, weil sie sich womöglich keinerlei reelle Chancen ausgerechnet hatten.
Man darf behaupten, dass die beiden letzten Premierminister - Charles Michel und davor Elio Di Rupo - im Vorfeld nicht allen Ernstes damit rechnen konnten, eines Tages Premierminister zu werden - wenn es nur ist, weil beide frankophon und zudem Wallonen sind. Ein solches Profil hatte man seit Jahrzehnten nicht mehr in der Rue de la Loi, Nummer 16, gesehen.
Bei beiden scheint das den Appetit geweckt zu haben. Von Elio Di Rupo weiß man, dass er nur allzu gerne wieder den Posten des Premierministers übernehmen würde. Charles Michel hatte sich seinerseits bislang noch bedeckt gegeben. In der VRT hat der MR-Chef aber jetzt doch das Versteckspiel beendet: Wenn es ein ehrgeiziges Regierungsprogramm gibt, das keine Gemeinschaftspolitik enthält und sich stattdessen die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen auf die Fahnen geschrieben hat, und wenn das von einer starken Equipe getragen wird, dann gehöre er zu denen, die in solchen Momenten Verantwortung übernehmen würden.
Michel kandidiert also ausdrücklich für seine eigene Nachfolge. Nur gibt es da durchaus Leute, die ihm den Posten nicht kampflos überlassen würden. Das beginnt schon bei den liberalen Kollegen aus dem Norden. Wenn der Posten des Premiers ihrer Partei zufallen würde, dann würde sie dieses Angebot selbstverständlich nicht ausschlagen, sagte die OpenVLD-Vorsitzende Gwendolyn Rutten. Dann bekäme das Land ganz nebenbei endlich die erste Premierministerin.
Vor einigen Wochen hatte aber auch schon ein anderer in einem Internet-Clip Ansprüche angemeldet: Er sei bereit, die Dinge persönlich in die Hand zu nehmen, sagt Jan Jambon, und wird dann deutlicher: Wenn die N-VA nach der nächsten Wahl wieder die stärkste Partei sein sollte, dann wäre es doch normal, dass sie dann auch den Premierminister stellt. Und das wäre dann eben er, Jan Jambon.
Wenn man genau zugehört hat: Jambon spricht von der stärksten "Partei". Kein Wunder, dass die anderen plötzlich die "Familie" wiederentdeckt haben. "Wir haben gute Aussichten, die stärkste politische Familie des Landes zu werden, sagte Paul Magnette in der VRT. Und dann würden die Sozialisten das Heft in die Hand nehmen und nach Partnern suchen für eine Koalition. "Und wer würde dann Premierminister?", fragt die VRT-Journalistin. "Sie, oder doch Elio Di Rupo?". "Och wissen Sie: Für den Posten des Premierministers bewirbt man sich nicht", antwortet Magnette. Für seine Partei gehe es allein um Inhalte. Man wolle erst sicherstellen, dass die roten Prioritäten umgesetzt werden, dass es zu einem tatsächlichen Politik-Wechsel kommt. Wer dann welchen Posten übernimmt, das wird ganz am Ende entschieden.
Die politische "Familie" haben auch schon die Zentrumsparteien CD&V und CDH beschworen. In deren Fall war das auch nötig: Vor viereinhalb Jahren gingen beide Parteien getrennte Wege: Die CD&V beteiligte sich an der Koalition, die frankophone CDH entschied sich ihrerseits für die Opposition.
Andere müssen derweil nichts aus der Mottenkiste kramen, die funktionieren längst nach diesem Vorbild: Die Grünen aus dem Norden und dem Süden des Landes treten seit einiger Zeit konsequent gemeinsam auf. Und auch sie könnten vielleicht am Ende zur stärksten Familie aufsteigen. Doch auch die Groen-Vorsitzende Meyrem Almaci will nicht über Pöstchen reden. Für das Amt des Premierministers kandidiert man nicht.
In der Zwischenzeit werben alle unter Hochdruck um die Gunst der Wähler. Am Wochenende waren die flämischen Parteivorsitzenden im VRT-Kinderfernsehen Ketnet und mussten am Ende sogar einen Skibidi aufs Parket legen.
Roger Pint