"Brüsseler Regierung: Der Clash zwischen Groen und der MR", titelt Le Soir auf Seite eins. "Politische Krise in Brüssel: Groen verlässt die Verhandlungen - "Die MR hat die Bombe platzen lassen"", schreibt La Dernière Heure. "Die politische Krise in Brüssel verschärft sich: Groen will nicht mehr mit der MR verhandeln", so L'Echo. "Verhandlungen in Brüssel: Groen zieht den Stecker. Es ist der Sprung ins Unbekannte", liest man bei La Libre Belgique.
Unverantwortlich - es gibt kein anderes Wort, um das Verhalten der Parteien zu beschreiben, die in Brüssel über die Bildung einer neuen Regionalregierung verhandeln, wettert La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Besonders erwähnenswert sind hier die flämischen Grünen von Groen. Es stimmt zwar, dass die frankophonen Parteien sie in die Defensive gebracht haben, indem sie ohne Rücksprache eine Überarbeitung der Niedrigemissionszone auf die Agenda des Parlaments gesetzt haben. Aber was folgte waren lächerliche und bedauerliche Scharmützel in den sozialen Medien von Parteien, die damit beweisen, dass es ihnen nicht um das Allgemeinwohl der Region geht. Die Regierungsbildnerin auf niederländischsprachiger Seite hat jedenfalls nun einen Vorwand, sich aus den Verhandlungen zurückzuziehen und der MR den Schwarzen Peter zuzuschieben - und dabei zu maskieren, dass sie auf niederländischsprachiger Seite keine Mehrheit zustande bekommen hat. Und alle beteiligten Parteien haben in Wahrheit vor allem die Kommunalwahlen im Sinn - nicht das Wohl der Region und ihrer Bewohner, wie sie immer wieder vorgeben, giftet La Libre Belgique.
Neue Wahl-Realitäten in Flandern
Het Belang van Limburg blickt voraus auf eben diese Kommunal- und Provinzwahlen: In vier Wochen ist es soweit. Bereits jetzt ist klar, dass dieser 13. Oktober ein historischer Tag werden wird - vor allem in Flandern. Denn zum ersten Mal gibt es hier keine Wahlpflicht mehr. Die Bürger dürfen also ihre Stimme abgeben, müssen es aber nicht mehr. Behörden, Zivilgesellschaft und auch Privatpersonen versuchen derweil mit allen möglichen Kampagnen, die Menschen davon zu überzeugen, trotzdem wählen zu gehen. Und das ist auch richtig und wichtig. Denn auf lokaler Ebene werden mehr als auf jeder anderen Ebene Entscheidungen getroffen, die unser Leben direkt beeinflussen, appelliert Het Belang van Limburg.
Auch De Standaard blickt auf die flämischen Wähler: Am vergangenen 9. Juni waren unentschlossene Wähler vor allem auch Wechselwähler. In großen Städten wie Antwerpen und Gent beträgt ihr Anteil beispielsweise zwischen 15 und 20 Prozent. Wenn man die Bürger hinzuzählt, die noch nicht wissen, ob sie wählen gehen sollen, jetzt, da die Wahlpflicht abgeschafft ist, landet man bei über einem Viertel der gesamten Wählerschaft. Sie alle wollen von den Politikern überzeugt werden. Kandidaten, die sich nicht auf diese neue Realität einstellen und alle Register ziehen, um die Wähler zu überzeugen, werden scheitern, prophezeit De Standaard.
Der Zirkus von Mons
La Dernière Heure greift die Saga um Julie Taton auf: Die vor allem als Moderatorin und Ex-Model bekannte MR-Kammerabgeordnete sollte eigentlich bei den Gemeinderatswahlen in Mons als Nummer zwei auf der Liste von MR-Chef Georges-Louis Bouchez antreten. Aber das Gemeindekollegium in Mons hat in einer außerordentlichen öffentlichen Sitzung bekanntgegeben, dass ihre Kandidatur abgelehnt ist, weil sie nicht wirklich in Mons gewohnt habe, als sie sich für die Wahl habe registrieren lassen. Der Zirkus um die quasi eigens für die Wahl nach Mons eingeflogene Julie Taton hört einfach nicht auf, seufzt La Dernière Heure. Wir fühlen uns wirklich veräppelt. Zunächst mal von der MR, die die Bekanntheit Tatons amateurhaft für die Wahl ausbeuten will - und dabei auch, so wie es aktuell aussieht, nicht vor illegalen Schritten zurückgeschreckt ist. Dann von der sozialistischen Mehrheit, die sich so eifrig auf das Dossier gestürzt hat, dass sie der MR damit eine Steilvorlage geliefert hat. Denn die MR kann nun behaupten, dass sich die PS nur rächen wolle und Angst habe, Taton an den Wahlurnen entgegenzutreten. Und schließlich von Taton selbst, die keine Beziehung zu Mons hat und die sowohl in puncto Charakter als auch Wahlprogramm ein eher unbeschriebenes Blatt ist. Das alles ist schon ziemlich grotesk irgendwie - für die Politik, für Julie Taton und für die Bürger von Mons, findet La Dernière Heure.
Holt das Popcorn raus, die Show ist noch nicht zu Ende, stichelt auch L'Avenir. Denn dieser Rückschlag ändert nichts an den Plänen der MR für Mons. Taton hat derweil in jedes Mikrofon, das ihr hingehalten wurde, bedauert, dass es doch wahnsinnig und surrealistisch sei, welche unglaublichen Dimensionen das Ganze angenommen habe. Und da hat sie Recht: Dieser politisch-mediale Zirkus ist in der Tat surrealistisch. Dabei spielt es auch keine Rolle, wer Schuld daran ist. Tatsache ist jedenfalls, dass wir uns immer weiter weg bewegen von den ernsten Alltagsproblemen der Wallonen. Der ganze Rummel schadet dem Ansehen der Politik. Muss das wirklich sein?, fragt L'Avenir.
Baustelle Barrierefreiheit
Ganz anderes Thema dann bei Het Laatste Nieuws: Aktuell sind gerade mal 106 der 555 Bahnhöfe in Belgien zugänglich für Menschen, die einen Lift oder eine Rampe benötigen. Das ist schlicht und ergreifend eine Schande. Denn das Problem betrifft nicht nur Menschen mit körperlichen Einschränkungen, sondern auch alle, die beispielsweise schwere Gegenstände transportieren müssen. Die sogenannten "Ambitionen" der SNCB sind ebenfalls eine Schande - ihr Ziel ist, bis 2032 176 der Bahnhöfe barrierefrei zu machen. Also gerade mal etwa ein Drittel.
Auch andernorts sieht es nicht besser aus. Bei der flämischen Nahverkehrsgesellschaft De Lijn etwa ist nur jede zehnte Bushaltestelle für Menschen mit Behinderungen geeignet. Zum Vergleich: In den Niederlanden sind 90 Prozent der Bahnhöfe absolut barrierefrei. In sechs Jahren sollen es sogar alle sein. Hoffentlich nimmt sich das unsere Politik mal zu Herzen - auch angesichts der zunehmenden Vergreisung der Gesellschaft. Das wäre auch mal eine Chance für die Parteien, um zu beweisen, dass sie wirklich auch ältere Menschen ansprechen wollen, frotzelt Het Laatste Nieuws.
Boris Schmidt