"Rücktritt Bekes setzt Karussell in Gang", titelt Het Belang van Limburg. "Ebnet der Rücktritt von Wouter Beke den Weg für eine Verjüngung und Erneuerung?", fragt De Standaard. "Coens setzt Nachfolger Mahdi unter Druck: 'CD&V muss 2024 mehr als 15 Prozent holen'", so die Überschrift auf Seite eins von Het Nieuwsblad.
Man könnte viel sagen zum Rücktritt von Wouter Beke, kommentiert De Morgen. Aber letztlich ist die Wahrheit sehr einfach: Er hat einen Einschätzungsfehler gemacht, als er sich 2019 selbst bei seinem Abschied als CD&V-Vorsitzender mit dem Posten als flämischer Regionalminister belohnt hat. Es ist irgendwie menschlich, sich immer etwas zu lang an die Macht zu klammern. Ganz sicher, wenn man ein Jahrzehnt lang eine Partei geführt hat. Aber schlau ist es deswegen trotzdem nicht. Dass seine Kollegen, wenn auch widerwillig, bereit waren, dabei mitzumachen, sagt angesichts des damaligen historisch schlechten Wahlergebnisses auch etwas über die Angst der CD&V vor schmerzhaften Entscheidungen. Die Folge ist, dass sich die flämischen Christdemokraten jetzt mit Jahren Verzögerung ein neues Gesicht suchen dürfen beziehungsweise müssen, resümiert De Morgen.
Die Malaise ist viel fundamentaler
Wouter Beke verschwindet nicht lautlos in den Kulissen der Macht, hält Het Belang van Limburg fest. Selten hat eine politische Pressekonferenz für so viel Polemik gesorgt wie die anlässlich seines Rücktritts. Zugegeben, einen Schönheitspreis für seinen Parcours als Wohlfahrtsminister wird Beke nicht gewinnen. Auch seine kommunikativen Fähigkeiten haben nicht beeindruckt. Selten hat ein Christdemokrat mit einem schlechteren Gefühl für Timing und Einschätzungsvermögen auf einem Ministersessel gesessen. All diese scharfe Kritik ist sicher berechtigt. Aber das macht aus Beke dennoch nicht den berechnenden machthungrigen Menschen, als der er heute oft dargestellt wird. Seiner Partei, der CD&V, steht jedenfalls eine sehr schwere Aufgabe bevor: Sie wird einsehen müssen, dass es zum echten Klar-Schiff-Machen mehr braucht als die Entsorgung von zwei altgedienten Parteigranden. Die Malaise ist viel fundamentaler. Dem designierten zukünftigen Parteivorsitzenden Sammy Mahdi bleibt nur eine Hoffnung: Eine Partei, die am Boden liegt, kann nicht mehr tiefer fallen, so Het Belang van Limburg.
Sammy Mahdi wird der dritte CD&V-Vorsitzende in Folge sein, der das flämische Regierungsabkommen von 2019 umsetzen muss, erinnert De Standaard. Und der zweite, der erfahren wird, dass wichtige Punkte dieses Abkommens dem im Weg stehen, was seine Partei eigentlich nötig hat, um politisch zu überleben. Dieses Gefühl kann er dann mit Egbert Lachaert von der Open VLD teilen, der das flämische Regierungsabkommen ja ebenfalls von seinem Vorgänger geerbt hat. Auf der föderalen Ebene kann Mahdi dann wiederum mit dem nächsten Vorsitzenden von Groen darüber philosophieren, wie es sich anfühlt, wenn einem die Hände von vornherein gebunden sind. In so zersplitterten Koalitionsregierungen sind die Regierungsabkommen unantastbar und werden zu Knebelverträgen, beklagt De Standaard.
Noch kann der Zug nicht abfahren
Le Soir greift in seinem Leitartikel die Meldung auf, dass der Verwaltungsrat der SNCB den Unternehmensplan und den Mehrjahresinvestitionsplan gebilligt hat, der den Kurs für die nächsten zehn Jahre festlegen soll: Das ist ein Fortschritt, aber noch nicht das Ende des Tunnels. Zunächst muss jetzt noch Schienennetzbetreiber Infrabel nachziehen. Dann muss Föderalminister Georges Gilkinet noch eine politische Einigung hinbekommen in einer Prozedur, an der unter anderem das Parlament, die Nutzer, die Regionen und auch die föderale Ebene beteiligt sind. Das Ziel von zehn Prozent mehr Zügen bis 2032 kann erst wirklich in Angriff genommen werden, wenn gegen Ende des Jahres politisch die Erlaubnis zur Abfahrt des Zuges erteilt werden wird. Falls die Föderalregierung bis dahin nicht stürzt, seufzt Le Soir.
"Ohne Justiz keine Demokratie"
La Libre Belgique kommt auf den jüngsten Hilferuf der Föderalen Gerichtspolizei zurück. Deren Generaldirektor hatte vor den Innen- und Justizausschüssen der Kammer erneut erklärt, dass die Föderale Gerichtspolizei dringend tausend Vollzeitkräfte brauche, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Die personelle Situation sei so dramatisch, dass ganze Kriminalitätsbereiche gar nicht mehr behandelt werden könnten.
Eine Gesellschaft, die entscheiden muss, welche Kriminellen verfolgt werden können und welche vollkommen straffrei und unbelästigt davonkommen, ist krank, schreibt La Libre Belgique dazu. Es ist eine Gesellschaft, die in ihren Grundfesten erzittert, denn ohne Gerechtigkeit beziehungsweise Justiz gibt es keine Demokratie. Und das kann Belgien wirklich nicht gebrauchen!, donnert die Zeitung.
Langzeitkranke und Löhne
L'Avenir beschäftigt sich mit der gestern vorgestellten Reform, mit der die Föderalregierung Langzeitkranke leichter wieder in den Arbeitsmarkt integrieren will: Obwohl der föderale Minister für Volksgesundheit von einem "positiven und nicht stigmatisierenden" Vorgehen spricht, so ist es doch eine "Hexenjagd", findet das Blatt. Allein der Ausgangsgedanke ist schon ekelerregend: Es wird davon ausgegangen, dass es unter den angeblichen Kranken zu viele Betrüger gibt, die wenig Lust haben, wieder arbeiten zu gehen. Das Problem der Langzeitkranken ist aber viel komplexer als das: Die Mehrheit von ihnen leidet unter Burn-out, Depressionen oder psychischer Erschöpfung. Jegliche Form von zusätzlichem Stress, etwa hier in Form angedrohter Sanktionen, wenn sie nicht ausreichend bei ihrer Reintegration mitwirken, ist kontraproduktiv. So ein Vorgehen wird diese Probleme nur verschlimmern. Stattdessen sollte das Übel an der Wurzel gepackt, sprich Stress und Angst bei der Arbeit abgebaut werden. Das sind die wahren Plagen unserer Zeit, kritisiert L'Avenir.
Das GrenzEcho befasst sich mit den Aktionen der Gewerkschaften für den Schutz der Kaufkraft der Bürger beziehungsweise gegen das geltende Lohngesetz: Während man sich in Deutschland und den Niederlanden noch gegen die Lohn-Preis-Spirale stemmt, ist sie in Belgien systeminhärent: wegen der automatischen Kopplung der Löhne und Gehälter an die Entwicklung der Inflation. Kann man in anderen Ländern den Aufwärtstrend stoppen, schreibt er sich hier automatisch fort. Dementsprechend wirken die aktuellen Aktionen der Gewerkschaften ein wenig wie aus der Zeit gefallen: Der Zeitpunkt ist denkbar schlecht, um, über die automatische Indexanpassung hinaus, stärkere Lohnsteigerungen zu fordern. Und sollte der immer noch solide Arbeitsmarkt einbrechen, was angesichts des Ukraine-Kriegs und der Corona-Probleme Chinas nicht mehr ausgeschlossen scheint, dann dürften die Einnahmen der jetzt schon nach Luft ringenden Staaten einbrechen, warnt das GrenzEcho.
Boris Schmidt