Wenn es in der Europäischen Union so etwas wie das Amt des offiziellen größten Störenfrieds gäbe, wäre der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán zweifelsohne einer der heißesten Anwärter auf diesen Posten - schon seit Jahren. Ob nun sein Vorgehen gegen unabhängige Medien und Justiz, sein Umbau Ungarns zu einem immer undemokratischeren Staat, seine unverhohlenen Sympathien für Putin, Trump und andere autoritäre Regime - es gibt im Prinzip kein Dossier, bei dem der Rechtspopulist Orbán auf europäischer Ebene nicht querliegen würde. Verlassen will er die Europäische Union allerdings nicht, denn das würde bedeuten, dass Ungarn und damit Orbán und seine Günstlinge keine EU-Gelder mehr einstreichen könnten.
Die Folge ist eine seit Jahren andauernde bittere Fehde zwischen der EU und Orbán. Eine Fehde, die seit Montag ein neues Kapitel hat. Es geht um einen neuen Zwischenfall in einer langen Reihe von Zwischenfällen und Konflikten zwischen Ungarn und der EU, wie Asylstaatssekretärin Nicole de Moor in der VRT erklärt. Es geht um die Anwendung von EU-Regeln. Genauer gesagt um die Anwendung der geltenden EU-Regeln in puncto Migration. Dass Ungarn die Rechte von Migranten mit Füßen tritt, ist seit Langem bekannt. Ungarn ist deswegen auch bereits zweimal vom Europäischen Gerichtshof verurteilt worden. Zuletzt vor einigen Wochen - zu einer saftigen Strafe von 200 Millionen Euro. Plus eine Million Euro für jeden Tag, den Ungarn die EU-Migrationsregeln nicht befolgt.
Weitere Eskalation durch Orbán
Bezahlen will Orbán diese Strafen selbstverständlich nicht - und droht bereits seit Wochen außerdem damit, illegale Migranten per Bus direkt von Ungarn nach Brüssel zu schicken. Am Montag hat sein Regime weiter eskaliert, durch einen Pressetermin vor Bussen, die angeblich für diese Transporte genutzt werden sollen.
Brüssel ist nicht nur die Hauptstadt der Europäischen Union, sondern auch Belgiens. Das bedeutet, dass die Aussicht auf Busse voller Migranten für Unruhe sorgt. Asylstaatssekretärin de Moor betrachtet das Gepolter aus Budapest nach eigenen Angaben zwar vor allem als Show für die Anhänger Orbáns. Aber man könne auch nicht ausschließen, dass Ungarn versuchen könne, die Drohung wahrzumachen. Das werde Belgien aber auf gar keinen Fall zulassen, betont de Moor. Falls Flüchtlingsbusse aus Ungarn nach Belgien kämen, dann müssten diese aufgehalten und zurückgeschickt werden. Belgien werde sich nicht bedrohen und erpressen lassen. Deswegen habe man auch bereits die Europäische Kommission informiert, damit die ebenfalls hart durchgreife.
Innenpolitisches Echo auf Ankündigung
De Moor ist auch nicht das einzige Mitglied der Föderalregierung, das sich eingeschaltet hat: Außenministerin Hadja Lahbib hat die Äußerungen des Orbán-Regimes ebenfalls als Provokation bezeichnet. Aber der Stein, den Orbán in den Brüsseler Teich geworfen hat, verursacht weitere Wellen. Der Brüsseler Bürgermeister Philippe Close hat sich bereits öffentlich an Premierminister Alexander De Croo und Innenministerin Annelies Verlinden gewandt. Die Busse müssten an der belgischen Grenze gestoppt werden, so die Forderung des PS-Bürgermeisters. Außerdem müsse die Frage gestellt werden, wie lange man noch die Provokationen eines Landes tolerieren wolle, das man subventioniere.
Das wiederum rief den belgischen Störenfried vom Dienst auf den Plan. Der Vorsitzende der frankophonen Liberalen MR, Georges-Louis Bouchez, ergriff öffentlich Partei für Orbán und lobte Orbán dafür, dass er den "linken Gutmenschen" zeige, welche Folgen ihre Politik habe. Damit ist wohl der richtige Zeitpunkt gekommen, um daran zu erinnern, dass Bouchez eigentlich sowohl mit einer linken Partei als auch mit der CD&V von Asylstaatssekretärin de Moor gerade über die Bildung einer föderalen Regierung verhandelt. Es ist also nicht auszuschließen, dass die ungarischen Busse auch auf diesem Parkplatz noch Blechschäden anrichten könnten.
Boris Schmidt