Das Paradebeispiel für politische Polarisierung, zumindest in der westlichen Welt, sind für viele Menschen die Vereinigten Staaten. Wohl nirgendwo sonst ist in den letzten Jahren so offensichtlich geworden, wie viel Abneigung Anhänger der zwei großen Parteien füreinander empfinden.
Weil das Hauptmotiv für die Abneigung in solchen Fällen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe von Wählern ist, sprechen Experten hier auch von einer gruppenbezogenen Polarisierung. Dabei geht es nicht nur um Unterschiede in politischen Vorstellungen oder Ideologien, unterstreicht Jochem Vanagt in der VRT. Der Politikwissenschaftler gehört zur Forschergruppe verschiedener belgischer Universitäten, die das Phänomen hierzulande unter die Lupe nehmen. Es gehe wirklich um negative Gefühle zwischen den Wählern verschiedener Parteien.
Um sich ein Bild von der aktuellen Lage zu machen, haben die Forscher rund 8.000 Bürger befragt. Die Befragten sollten auf einer Skala angeben, wie sympathisch sie generell Wähler einer bestimmten Partei finden. Auch das eigene Wahlverhalten wurde abgefragt. Das Ergebnis ist eindeutig: Wie auch in vielen anderen europäischen Ländern seien vor allem die Wähler extremer Parteien besonders unbeliebt, fasst Vanagt zusammen. Das treffe also vor allem auf den rechtsextremen Vlaams Belang im Norden des Landes zu und in geringerem Maß auch auf die linksextreme PTB-PVDA. Das gilt in beide Richtungen, betont der Forscher. Wähler extremer Parteien werden nicht nur besonders unsympathisch gefunden von anderen Wählern, sie selbst mögen Menschen ebenfalls nicht, wenn die nicht ihre extreme Partei wählen.
Kommunikationsstil der Parteien
Die Forscher haben in diesem Zusammenhang auch den Kommunikationsstil der Parteien auf "X", früher Twitter, analysiert. Die Untersuchung zeige, dass vor allem die Rechtsextremen bei ihrer Kommunikation auf Konfrontation und negative Gefühle setzten. Vielmehr in jedem Fall als traditionelle Zentrumsparteien. So greift der Vlaams Belang beispielsweise in einem Drittel aller Posts auf "X" direkt andere Parteien an. Die Taktik werde zwar auch regelmäßig von Groen, N-VA und PVDA angewandt, aber längst nicht in so einem großen Maßstab wie beim Vlaams Belang.
Die Forscher haben auch einen regionalen Unterschied festgestellt: Zumindest aktuell ist die Polarisierung in Flandern stärker als in der Wallonie. Das sei wohl vor allem auf die Anwesenheit des Vlaams Belang im Norden zurückzuführen. Es gebe im Süden mit Chez Nous zwar mittlerweile auch eine rechtsextreme Partei. Aber Chez Nous sei noch ziemlich neu und auch ziemlich klein. Dadurch polarisiere die Partei weniger als der Vlaams Belang.
Polarisierung stabil geblieben
Die Forscher haben aber auch gute Nachrichten. Aus den Daten, die die Forscher in den letzten Jahren gesammelt haben, geht demnach hervor, dass die Polarisierung in Belgien eigentlich ziemlich stabil geblieben ist. Eine starke Zunahme der Polarisierung wie in den Vereinigten Staaten oder Nachbarländern wie den Niederlanden und Frankreich habe man in Belgien nicht feststellen können.
Die Forscher haben auch gefragt, ob das Wahlverhalten dem Schließen von Freundschaften im Weg steht. Woraufhin die meisten Befragten mit einem deutlichen "Nein" geantwortet haben. Zwar ist auch hier festzustellen, dass das Wählen von extremen Parteien zu mehr Zurückhaltung seitens anderer Wählergruppen führt - aber eben nicht zu einer schnellen sozialen Ausgrenzung der betreffenden Personen.
Eines bleibt zum Schluss aber trotzdem noch festzuhalten, auch wenn man noch dabei sei, Daten zu sammeln, so Vanagt. Normalerweise sei es schon so, dass sich die Polarisierung intensiviere, je näher der Wahltag rücke.
Boris Schmidt