Es ist soweit: Die ehemals als indische Variante berüchtigte Virusmutation ist in Belgien für mehr als die Hälfte der Neuansteckungen verantwortlich. Der bekannte Biostatistiker Geert Molenberghs geht auch davon aus, dass der Anteil der Delta-Variante im Juli weiter rasant steigen wird - auf 80, 90 oder gar 100 Prozent. Inwiefern das zu einer Zunahme der Ansteckungen führen wird, bleibt abzuwarten - und wird wohl in erster Linie von unserer eigenen Vorsicht und unserem Verhalten abhängen. Dabei hat Belgien aber gewissermaßen noch Glück im Unglück: Weil wir das am schnellsten impfende Land in Europa sind, stehen wir der Delta-Variante wesentlich besser gegenüber als beispielsweise unsere französischen Nachbarn.
Das bedeutet aber natürlich nicht, dass man freiwillig auf jeden möglichen zusätzlichen Puffer verzichten sollte. Das meint zumindest sinngemäß der Föderalminister für Volksgesundheit, Frank Vandenbroucke (Vooruit). Deswegen hat er sich bereits vergangene Woche energisch dafür eingesetzt, dass sich Menschen, die sich in Portugal aufgehalten haben, nach ihrer Einreise nach Belgien mindestens ein Mal testen lassen müssen. Mit dieser Forderung ist er allerdings am Widerstand der flämischen und wallonischen Ministerpräsidenten Jan Jambon (N-VA) und Elio Di Rupo (PS) gescheitert, die statt belgischer Alleingänge lieber auf eine gemeinsame europäische Position warten wollten.
Koordination
"Koordination" ist auch das Schlagwort, das EU-Justizkommissar Didier Reynders am Montagmorgen bei Radio Eén am häufigsten in den Mund genommen hat. Man versuche, auf europäischer Ebene eine Koordination zu erreichen, so Reynders - also exakt die gleichen Regeln in allen europäischen Ländern. Das sei beispielsweise bindend für das sogenannte digitale europäische Covid-Zertifikat der Fall. Nicht bindend, sondern lediglich eine Empfehlung, die von den 27 Mitgliedsstaaten der Union gutgeheißen worden sei, sei hingegen die Position zu Reisebeschränkungen. Man habe sich darauf geeinigt, dass es den Ländern möglich sei, strengere Regeln zu erlassen, wenn sich die Corona-Situation negativ entwickle, zum Beispiel bei der Delta-Variante. Aber eben nur in Absprache mit allen anderen europäischen Ländern und wenn man sich dabei auf Maßnahmen beschränkt, die wirklich notwendig seien - zum Beispiel ein Test, aber keine Quarantäne – und schon gar nicht bei Menschen, die vollständig gegen das Coronavirus geimpft seien.
Die Europäische Kommission verlange von den Mitgliedsstaaten eine Koordination und außerdem, über Maßnahmen in Kenntnis gesetzt zu werden, bevor diese in Kraft treten. Laut dem geltenden Reglement beziehungsweise der aktuellen Empfehlung seien die Länder verpflichtet, die Kommission 48 Stunden im Voraus zu informieren. Aber normalerweise müsse es möglich sein, mit dem europäischen Covid-Zertifikat ohne zusätzliche Einschränkungen zu reisen.
Der Vorschlag Vandenbrouckes, in Belgien einen Test zu verlangen, das sei vielleicht möglich. Aber eine Pflichtquarantäne oder ein Reiseverbot wie in Deutschland, das ginge zu weit, betont der Justizkommissar. Die Bundesrepublik hatte diesbezüglich einen Alleingang hingelegt, der bereits für forsche Kritik von der EU gesorgt hat. Die Slowakei hatte sogar einfach eine allgemeine Pflichtquarantäne von 14 Tagen für Einreisende aus allen Ländern eingeführt, die keine vollständige Impfung nachweisen können. Die Europäische Kommission stehe in Kontakt mit diesen Ländern, um diese Auflagen, die nach Meinung von Reynders eben viel zu weit gehen, wieder zu lockern und um darauf zu dringen, sich in Zukunft zunächst mit Europa zu koordinieren.
Boris Schmidt