Bei fast 1.391 Corona-Infektionen pro 100.000 Einwohner bezogen auf die vergangenen 14 Tage liegt Belgien jetzt - und hat Tschechien, das den Spitzenplatz über Wochen innehatte, überholt. Die nächsten Länder in der Statistik haben in etwa halb so hohe sogenannte Inzidenz-Werte. Dritter ist etwa Luxemburg mit 760 Fällen. Und zum Vergleich: Deutschland hat mit 144 nur rund ein Zehntel der belgischen Fälle pro 100.000 Einwohner.
Diese Zahlen des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) unterscheiden sich aber leicht von der offiziellen belgischen Zählung (den Daten des Instituts für Volksgesundheit Sciensano). Nach diesen ist Belgien nach wie vor knapp unter Tschechien. Letztlich wäre aber auch das nur ein sehr schwacher Trost. Genauso, wie dass in Tschechien weiterhin viel mehr Menschen an dem Virus sterben als in Belgien, nämlich bezogen auf die Bevölkerungszahl mehr als doppelt so viele.
Von diesen Sterbeziffern ist Belgien glücklicherweise noch weit entfernt. Aber ein Grund zum Jubeln ist das dennoch nicht. Belgien steht bei dieser Rangliste auch bereits auf Platz zwei. In konkreten Zahlen heißt das: Tag für Tag sterben hierzulande im Durchschnitt 49 Menschen am Coronavirus, insgesamt bewegt sich Belgien damit in Richtung von bald 11.000 Todesopfern seit Beginn der Pandemie.
Auch in den Krankenhäusern ist das Bild ähnlich düster: Eine Steigerung von erschreckenden 88 Prozent musste hier bei den Neuaufnahmen im Vergleich zu den vorherigen sieben Tagen verzeichnet werden. Über 800 Patienten müssen zurzeit wegen der Schwere ihrer Covid-19-Symptome auf der Intensivstation behandelt werden, davon benötigt die Hälfte künstliche Beatmung.
Und was vielleicht nicht alle realisieren, ist die Tatsache, dass Belgien mittlerweile teilweise noch schlechter dazustehen droht, als beim Höhepunkt der ersten Corona-Welle im Frühjahr. Das Universitätskrankenhaus Gent beispielsweise meldete, dass es die damaligen Rekordwerte inzwischen wieder fast erreicht hat.
Schwierige Entscheidungen
In anderen Krankenhäusern wie den Cliniques de l'Europe in Brüssel hat man die Zahlen von März/April, also während des ersten Lockdowns, bereits überschritten. Der Direktor der Kliniken, Peter Fontaine, befürchtet das Schlimmste, da noch immer keine Auswirkungen der in Brüssel bereits seit dem 7. Oktober geschlossenen Cafés und Kneipen zu beobachten sei.
Es werde zu wenig getan, um die sozialen Kontakte zu reduzieren, so Fontaine. Und binnen einer Woche würden, falls nicht eiligst neue Maßnahmen beschlossen würden, auch die flämischen Krankenhäuser voll ausgelastet sein. Und dann werde es auch keine Möglichkeiten für Patiententransfers mehr geben und man werde zu Entscheidungen gezwungen sein, wer noch behandelt wird. Und das werde nicht nur für Covid-Patienten gelten.
Diese Notrufe aus Krankenhäusern aus allen Ecken des Landes häufen sich. Andere wiederum bereiten sich auf steigende Patientenzahlen vor. So etwa das CHR-Krankenhaus in Verviers, das am Mittwoch ein Feldlazarett auf einem seiner Parkplätze in Betrieb nehmen will. Er wolle nicht, dass Patienten aus Platzmangel in Krankenwagen oder in den Fluren liegen müssten, erklärte Generaldirektor Stéphane Lefebvre in der RTBF.
Noch kein Effekt spürbar
Nun kann man Belgien nicht vorwerfen, gar nichts unternommen zu haben. Die Maßnahmen sind bereits landesweit deutlich verschärft worden. Hinzu kommen zusätzliche, noch strengere Vorgaben auf regionaler Ebene in der Wallonie und in Brüssel. Flandern wird voraussichtlich am Dienstagabend nachziehen.
Das Problem ist allerdings die zeitliche Verschiebung zwischen Inkrafttreten der Maßnahmen und einem möglichen Effekt. Noch ist davon nämlich leider nichts zu sehen. Man geht davon aus, dass Auswirkungen erst nach frühestens zehn Tagen sichtbar werden. Auch aus diesem Grund hatte der Konzertierungsausschuss am vergangenen Freitag keine breiten weiteren Maßnahmen beschlossen.
Kommenden Freitag wird er wieder zusammenkommen, das hat am Dienstag der föderale Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke bestätigt. Offiziell soll dabei unter anderem die Schließung der Horeca-Betriebe evaluiert werden. Nicht wenige gehen aber angesichts der aktuellen Zahlen davon aus, dass dann tatsächlich ein zweiter allgemeiner Lockdown auf dem Tisch liegen könnte.
Die absolute Dringlichkeit einer entsprechenden Entscheidung betonte auch Yves Van Laethem, selbst Infektiologe und interföderaler Sprecher für den Kampf gegen das Coronavirus, in der RTBF. Wenn es bis zum Ende der Woche keine Verringerung der Krankenhausaufnahmen gebe, dann sei das seiner Meinung nach vielleicht die letzte Chance, um noch eingreifen zu können.
Und das wohlgemerkt mit einer Umsetzung eines solchen Beschlusses innerhalb von 24 Stunden. Man könne es sich dann nicht erlauben, zwei oder drei Tage zu vergeuden angesichts der möglichen dramatischen Konsequenzen, warnte Van Laethem.
Boris Schmidt