Zu Beginn seiner Rede am frühen Donnerstagabend hatte Charles Michel noch den Eindruck vermittelt, dass er sich wohl nicht beugen wird. Er spreche hier als Premierminister. Und als ein Mann mit Überzeugungen, ungeachtet politischer Planspiele. Da konnte man den Eindruck haben, dass sich Charles Michel nicht auf das Spiel der N-VA einlassen wollte.
Zunächst machte er einen Rückblick, schilderte die Vorgeschichte. Michel erklärte, wie der Pakt zustande gekommen ist. Eben das, was auch schon die Koalitionspartner CD&V und Open VLD getan hatten. Eben um zu zeigen, dass dieser Pakt nicht vom Himmel fällt. Dass die Regierung regelmäßig über den Verlauf der Verhandlungen informiert wurde.
Dann kam er zurück ins Hier und Jetzt: Er bleibe dabei, dass das Parlament im Grunde der Ort jeglicher politischer Legitimität ist. Das Parlament sei im Zentrum der Demokratie. Also: Es sei durchaus legitim, das Parlament um seine Meinung zu bitten. Und wenn das Parlament den UN-Migrationspakt unterstützt, dann sei das ein starkes Signal.
Er werde nach Marrakesch fahren. Der belgische Stuhl bleibe nicht leer. Aber es gebe auch die Verfassung. Und das sei nicht nur ein Stück Papier. Und er werde die Verfassung respektieren, so Michel.
Er werde zum Ausdruck bringen, dass es ein starkes Signal des Parlaments gebe. Er werde auch seine Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass er den Pakt unterstützt. Aber wenn Michel sagt, dass er die Verfassung respektiert, dann sagt er, dass er nicht formal unterschreiben wird. Denn laut Verfassung ist die Außenpolitik alleine Sache der Regierung, die eben nicht geschlossen hinter dem Pakt steht.
Dabei wies Michel darauf hin, dass man, im Sinne der Bürger dieses Landes, eine Regierung brauche. Und dass man sich eben eine Krise nicht leisten könne.
Die Rede des Premiers war sehr kurz und es gab das eine oder andere verdutzte Gesicht. Was man festhalten muss, das ist, dass der Premierminister nicht den Sturz seiner Regierung riskieren möchte.
Äußerst hitzige Debatte - unverhohlene Kritik an N-VA
Zuvor hatten die verschiedenen Fraktionen ihren Standpunkt verdeutlicht. Für neue Brisanz sorgt eine Regierungsnote, laut der Außenminister Didier Reynders angeblich bereits vor einiger Zeit die Anweisung gegeben haben soll, den Pakt zu unterzeichnen. Mehrere Oppositionsparteien gingen darauf ein. Andere stellten erneut die Frage, weshalb sich die N-VA nicht schon früher gegen den Migrationspakt gestellt habe.
Neben der MR haben auch CD&V und Open VLD betont, dass Premier Michel den UN-Migrationspakt im Namen des Landes unterzeichnen müsse. Ihrer Deutung nach hat die Regierung bereits ihr Einverständnis gegeben.
CD&V-Fraktionschef Servais Verherstraeten verwies auf die Vorgeschichte. Belgien habe sich sogar in die Abfassung des Textes eingebracht; es habe regelmäßige Kontakte gegeben zwischen der belgischen UN-Delegation und der Regierung. Dass die N-VA jetzt plötzlich ausschere, das sei nicht nachvollziehbar. Obendrauf habe die N-VA dann eine Kampagne im Internet lanciert, die jegliche Menschlichkeit habe vermissen lassen. "Geschmacklos", sagte Verherstraeten.
Wer einen Rückzieher mache, müsse die Konsequenzen ziehen, sagte Patrick Dewael (Open VDL). Im Klartext: Er fordert den Rückzug der N-VA aus der Regierung. Patrick Dewael zitierte den französischen Politiker Jean-Pierre Chevènement: "Un ministre ferme sa gueule ou démissionne" (Ein Minister hält die Klappe oder tritt zurück).
Plötzlich ergriff auch der CD&V-Vorsitzende Wouter Beke das Wort. Und auch er erklärte, dass es innerhalb der Regierung durchaus einen Konsens über den UN-Migrationspakt gegeben habe. Ein Parteichef, der in der Kammer interveniert, das zeigt wohl, wie ernst die Lage ist.
Der N-VA-Fraktionschef Peter De Roover löcherte seinerseits alle Vertreter der Mehrheitsfraktionen mit immer den gleichen Fragen: Wann soll der Pakt in der Regierung formal verabschiedet worden sein? Diesen Moment habe es nicht gegeben. De Roover forderte jedenfalls Premier Charles Michel auf, sich klar zu positionieren. "Werden Sie in Marrakesch klar und deutlich darauf hinweisen, dass es keinen Konsens innerhalb der belgischen Regierung gibt und dass sie demzufolge den Pakt nicht unterschreiben können?" fragte der N-VA-Fraktionschef. Jetzt gibt es die Antwort.
rtbf/km/rop