"Patrick Dewael hat den Vlaams Belang subtil im Schatten gelassen", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Der Vlaams Belang hat in der Kammer doch keine Bühne bekommen", titelt L'Echo. "Eklat bei der Vereidigung in der Kammer bleibt aus", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins.
Genau das hatten viele befürchtet: Beobachter hatten damit gerechnet, dass die konstituierende Sitzung der Kammer von Zwischenfällen überschattet sein würde.
Hintergrund war eine Polemik um den Vlaams Belang-Abgeordneten Dries Van Langenhove. Als einer der beiden jüngsten Parlamentarier hätte er eigentlich dem Alterspräsidenten assistieren und bei der Zeremonie neben ihm Platz nehmen sollen. Für diesen Fall hatten einige frankophone Politiker mit Boykott gedroht.
Besagter Alterspräsident, das war der OpenVLD-Politiker Patrick Dewael. Und der hat "das Problem Dries Van Langenhove mit einem klugen Schachzug gelöst", lobt De Standaard auf Seite eins.
De Morgen wird konkreter: "Dewael lässt Van Langenhove auf der Bank sitzen", schreibt das Blatt. Tatsächlich blieb Patrick Dewael an seinem Platz und leitete von dort aus die Sitzung. Damit war das Thema Beisitzer vom Tisch.
"Patrick Dewael dribbelt Dries Van Langenhove aus", meint Het Belang van Limburg. Nachdenkliche Schlagzeile demgegenüber auf Seite eins von De Tijd: "Van Langenhove kriegt, was er will". Denn eines ist sicher: Alle Aufmerksamkeit galt dem 26-jährigen Vlaams Belang-Abgeordneten.
"Der Fuchs und das Küken"
"Bedankt, Patrick Dewael!", wendet sich La Libre Belgique auf Niederländisch an den OpenVLD-Politiker.
Wir hatten das Schlimmste befürchtet. Hitzige Debatten, wütende Zwischenrufe, vielleicht sogar Frankophone, die sich weigern, den Eid abzulegen. Nichts davon ist passiert. Im Gegenteil.
Und das ist allein einem Mann zu verdanken, der durch Ernsthaftigkeit, Geschick und Autorität geglänzt hat. Eben Patrick Dewael.
Bemerkenswert war aber auch, dass mehr Parlamentarier denn je ihren Eid in den drei Landessprachen abgelegt haben. Da soll mal einer sagen, dass Belgien im Eimer sei, und dass niemand mehr über ein nationales Bewusstsein verfüge.
Auch Het Laatste Nieuws stimmt eine Lobeshymne auf Patrick Dewael an: Wie ein Fisch im Wasser hat sich Patrick Dewael in der Kammer bewegt. Es ist sein politisches Zuhause. Er ist der geborene Regisseur, der natürliche Kapellmeister, der Herbert von Karajan der Kammer.
Und auch ein bisschen Harry Houdini, der berühmte Entfesselungskünstler. Mit Geschick befreite er sich und die Kammer gestern aus einer Zwangslage. Mit Stil und Klasse, sauber gemacht!
Und auch Het Laatste Nieuws ist nicht entgangen, dass sehr viele Abgeordnete ihren Eid auf Französisch, auf Niederländisch und auch auf Deutsch abgelegt haben. Fazit: Gestern trübte in diesem schönen Land scheinbar kein Wölkchen den Himmel.
Die konstituierende Sitzung der Kammer hatte sich angekündigt als ein drittklassiger Horrorfilm, verlief schlussendlich aber wie eine Fabel, meint auch Het Belang van Limburg. Der könnte man auch einen Namen geben, vielleicht so etwas wie "Der Fuchs und das Küken".
Die Rolle des schlauen, ergrauten Fuchses, die hat Patrick Dewael übernommen. Als Alterspräsident hat er dem jungen Vlaams Belang-Abgeordneten seinen Moment des Ruhms verhagelt. Der schlaue Fuchs hat das Küken am Piepen gehindert.
Vielleicht sollten die Parlamentarier ihren Eid öfter leisten
Die Ruhe im Halbrund wurde allein durch eine Frage auf die Probe gestellt, bemerkt Gazet van Antwerpen: "Wer wird der nächste Kammervorsitzende?"
Patrick Dewael ist ja nur der Alterspräsident. Innerhalb der nächsten zwei Wochen muss das Parlament einen regulären Vorsitzenden aus seinen Reihen wählen.
Gleich drei Fraktionen haben gestern Kandidaten ins Rennen geschickt: N-VA, CD&V und Groen. Die N-VA-Bewerberin Valerie Van Peel hat gleich angekündigt, alles umkrempeln zu wollen. Sie will das altehrwürdige Parlament "entstauben".
Klar gibt es Reformbedarf. Man sollte es aber nicht übertreiben. In einer Institution wie dem Parlament sind einige Traditionen unantastbar.
Beispiel: Die Eidesleistung von 150 Abgeordneten ist bestimmt kein spannender Fernsehmoment, aber sollte bitte doch so bleiben. Eine Zeremonie, bei der die gewählten Volksvertreter versprechen, im Rahmen der Verfassung ihr Bestes zu geben. Insofern könnte man fast schon sagen, dass die Parlamentarier ihren Eid vielleicht häufiger leisten sollten.
Die ominöse "Zivilgesellschaft"
Die frankophonen Zeitungen blicken derweil auf die Situation in der Wallonie. Dort bleiben die Grünen dabei, dass die Zivilgesellschaft in die Arbeiten zur Bildung der nächsten Regierung einbezogen werden muss.
Aber was heißt das eigentlich, Zivilgesellschaft?, fragt sich La Dernière Heure. Machen wir uns nichts vor, hier geht es immer noch letztlich um die Tatsache, dass eine Regierung aus PS und Ecolo keine Mehrheit hätte. Und um von dieser Tatsache abzulenken, haben die Grünen die ominöse "Zivilgesellschaft" aus dem Hut gezaubert.
Aber sind wir nicht "die Zivilgesellschaft"? Die Bürger haben am 26. Mai ihren Volksvertretern ein Mandat gegeben. Die Politiker haben die Aufgabe, Verantwortung zu übernehmen und die Wallonie in die richtige Richtung zu steuern. Die "Zivilgesellschaft", das sind nicht einige NGOs oder VoEs, das sind wir alle.
Auch Le Soir sieht die grünen Pläne kritisch: Natürlich ist es eine Tatsache, dass der Graben zwischen der Politik und den Bürgern immer tiefer wird. Und da ist es legitim, dass man sich die Frage stellt, wie man die Demokratie neu beleben kann.
Die "Klatschmohn"-Regierung von Ecolo verfolgt aber auch ein anderes Ziel. Hier erscheint die Öffnung der Zivilgesellschaft gegenüber in erster Linie wie ein Ersatzrad, ein Plan B in Ermangelung einer parlamentarischen Mehrheit. Die Zivilgesellschaft verdient aber mehr, als nur ein Plan B zu sein.
Roger Pint