"Mit der N-VA ohne die PS oder mit der PS ohne die N-VA", titelt Le Soir. Dieser etwas verwirrend anmutende Satz ist ein Zitat von PS-Chef Elio Di Rupo. Der schließt also klipp und klar eine Koalition zwischen seiner Partei und der N-VA nach der kommenden Wahl aus. Wie Le Soir weiter berichtet, deckt der PS-Vorsitzende nicht ganz freiwillig einen Teil seiner Karten auf: Di Rupo fühle sich von der MR von Charles Michel unter Zugzwang gesetzt, da die Liberalen bei jeder Gelegenheit vor einer angeblich schon ausgemachten Koalition zwischen PS und N-VA warnen.
In De Tijd und L'Echo, die ebenfalls große Interviews mit dem PS-Präsidenten bringen, hält sich Di Rupo noch bedeckt. Dort sagt er lediglich: "Es ist unser Ziel, nicht mit der N-VA an einem Tisch sitzen zu müssen." Zuvor hatte N-VA-Chef Bart De Wever bereits eine Koalition mit den Grünen ausgeschlossen. Schon jetzt scheint sich also schon abzuzeichnen, dass die Koalitionsverhandlungen nach dem 26. Mai wegen dieser Vorab-Ansagen wohl schwierig werden dürften.
Mehr Schein als Sein
Het Belang van Limburg hält das alles für Theater: Bestes Beispiel war der Auftritt des amtierenden Premierministers Charles Michel am Donnerstag in der Kammer. Der tauschte urplötzlich seine Mützen: Aus dem Premierminister wurde der Parteivorsitzende der MR. Michel drohte, sich notfalls im Alleingang der Freigabe einiger gemeinschaftspolitisch relevanter Verfassungsartikel zu widersetzen. Auf der flämischen Bühne bezeichnen sich N-VA und CD&V bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegenseitig als der Teufel in Person. Dabei ist eigentlich die Fortsetzung der Schwedischen Koalition aus den Liberalen, N-VA und CD&V nach wie vor die plausibelste aller möglichen Optionen. Deswegen, wendet sich Het Belang van Limburg an seine Leser: Lassen Sie sich nichts weismachen. Was wir im Moment sehen und hören, ist mehr Schein als Sein.
Auch Le Soir kommt in seinem Leitartikel noch einmal zurück auf den Streit über die sogenannte Revisionserklärung: Die Gemeinschaftspolitik ist wieder da, kann das Blatt nur feststellen. Spätestens seit dem vergangenen Donnerstag sind wir wieder im alten Schema: Die Flamen sind wieder der Feind; der frankophone Charles Michel ist für die Flamen nicht mehr der Premierminister aller Belgier. Charles Michel wollte wohl gegenüber der frankophonen Wählerschaft sein Image wieder gerade rücken: Er, dem man in den letzten Jahren häufig unterstellte, vor der N-VA zu Kreuze zu kriechen, dieser Charles Michel hat sich jetzt wieder als der beste Verteidiger Belgiens positionieren wollen. Und er konnte dabei frei aufspielen: Seine Regierung konnte ja nicht mehr stürzen, der Stecker war ja schon raus. Bedauerlicher Nebeneffekt ist allerdings: Indem Michel die Verfassung zum Tabu erklärt, um eine mögliche Spaltung des Landes zu verhindern, macht er jegliche Verfassungsreform unmöglich, auch die, die nötig wären.
Die Prioritäten der PS und die Stimmung in der CDH
Noch mal zurück zu PS-Chef Elio Di Rupo: Der skizziert in Le Soir und L'Echo nämlich auch die sozialistischen Prioritäten im Wahlkampf. Die PS hat eine Bürgerbefragung durchgeführt und auf dieser Grundlage Forderungen formuliert: Insbesondere wollen die Sozialisten für mehr Steuergerechtigkeit kämpfen. Konkret wäre das die Verschärfung des Kampfs gegen Steuerhinterziehung sowie die Einführung einer Vermögenssteuer, die rund 1,5 Milliarden Euro einbringen soll.
La Libre Belgique und La Dernière Heure haben ihrerseits mit dem CDH-Vorsitzenden Maxime Prévot gesprochen: "Wer kündigt, soll Anrecht auf Arbeitslosenunterstützung bekommen", so das gleichlautende Zitat auf den Titelseiten der beiden Zeitungen. Bislang gilt ja, dass man das Recht auf Arbeitslosenunterstützung verliert, wenn man freiwillig seinen Job aufgibt.
La Libre Belgique hat sich auch gleich noch bei anderen CDH-Leuten nach der Stimmung innerhalb der Partei erkundigt. In den letzten Tagen und Wochen hat die CDH ja mehrere bekannte Gesichter verloren: Aus verschiedenen Gründen werden Joëlle Milquet, Francis Delpérée und Dimitri Fourny bei der nächsten Wahl nicht mehr kandidieren. "Wir sind inzwischen an einem Punkt angelangt, an dem wir über all diese Rückschläge nur noch lachen können", sagt ein nicht genanntes CDH-Mitglied.
Alles geht vorbei außer der Vergangenheit
"Zurück nach Ruanda, 25 Jahre nach dem Völkermord", schreibt derweil De Tijd auf Seite eins. Viele Zeitungen erinnern an den Genozid, der vor genau 25 Jahren seinen Anfang nahm. Als Schlüsselereignis gilt der Abschuss des Flugzeugs des damaligen ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana am 6. April 1994. Habyarimana, ein gemäßigter Hutu, kam dabei ums Leben. Die direkte Folge war, dass Hutu-Milizen gnadenlos Jagd machten auf Angehörige der Tutsi-Minderheit und auch auf gemäßigte Hutu. Insgesamt fielen dem Blutrausch in kürzester Zeit nach Schätzungen rund 800.000 Menschen zum Opfer.
Die wahren Hintergründe sind aber nach wie vor unklar, stellt De Standaard in seinem Leitartikel fest. Die Frage etwa, wer die zwei Raketen auf die Präsidentenmaschine abgefeuert hat, ist nach wie vor ungeklärt. Und auch darüber hinaus gibt es noch viele Dunkelzonen. Fest steht wohl, dass nicht nur Hutus sich schuldig gemacht haben an großflächigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 25 Jahre nach dem Völkermord wäre es vielleicht an der Zeit, der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen.
Und das Land hat sich immer noch nicht von den tragischen Ereignissen erholt, konstatiert La Libre Belgique. Zugegeben: Wirtschaftlich steht Ruanda vergleichsweise gut da. Das Land ist aber weit davon entfernt, eine Demokratie zu sein. Die herrschende Klasse um den Dauerpräsidenten Paul Kagame zeigt sich aber beratungsresistent gegenüber ausländischer Kritik. Hintergrund ist vielleicht, dass man um jeden Preis den inneren Frieden erhalten und eine neue Katastrophe verhindern will. Es sollte aber eigentlich nicht so sein, dass nur ein autoritärer Staat das Land vor einem Zurückfallen in das Chaos bewahren kann.
Aber auch die internationale Gemeinschaft hat nach wie vor Schwierigkeiten damit, die Vergangenheit zu verarbeiten, meint Het Nieuwsblad. Belgien hat schon im Jahr 2000 um Verzeihung gebeten für die Rolle, die die Brüsseler Regierung in der Tragödie gespielt hat. Belgien hatte ja nach dem Tod von zehn seiner Blauhelme Hals über Kopf alle Soldaten aus Ruanda abgezogen, was den Mördern erst freie Bahn ließ. Frankreich beginnt demgegenüber erst mit der kritischen Aufarbeitung. In Ruanda selbst gilt: Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Dabei wird leider nicht zurückgeblickt. Und man darf nicht vergessen: Alles geht vorbei außer der Vergangenheit. Man muss sich ihr stellen, wenn man vermeiden, dass sich die Geschichte wiederholt.
Roger Pint