"Wenn's unterirdisch ginge: gerne! Aber der Bericht schafft doch jetzt eindeutig Klarheit". Damit hatte die flämische Umweltministerin Zuhal Demir am Mittwoch im flämischen Parlament eigentlich alles gesagt. Nämlich mit anderen Worten "Ventilus wird kommen; und zwar oberirdisch".
Im Namen Ventilus steht schon das lateinische Wort für Wind. Ventilus ist eine geplante Hochspannungsleitung, die Strom aus den Windparks vor der Küste ins Inland bringen soll. Das wäre dann die zweite Stromautobahn dieser Art, neben der sogenannten Stevin-Leitung. Beide sollen sich gegenseitig ergänzen. Da Belgien gerade im Begriff ist, seine Offshore-Kapazitäten merklich zu vergrößern, wird Ventilus eigentlich dringend benötigt, sagte in der VRT Joannes Laveyne, Energieexperte von der Uni Gent. Wichtig wäre die neue Trasse auch mit Blick auf die geplante neue Anbindung an das britische und auch an das dänische Stromnetz.
Ventilus ist also ein wichtiger Eckstein, um die Strominfrastruktur an der Küste zu vervollständigen. Nur ist es wie so häufig bei Infrastrukturprojekten: Niemand sieht solche Anlagen gerne ausgerechnet in seinem Garten. Die Anwohner in den betroffenen Gemeinden in Westflandern laufen Sturm gegen Ventilus - das erst recht, weil die Trasse oberirdisch verlaufen soll. Sie verweisen auf die Gesundheitsrisiken, die damit verbunden sein könnten. Elektromagnetische Strahlen stehen im Verdacht, dass sie bei Kindern Leukämie auslösen können; wobei der endgültige wissenschaftliche Beweis dafür noch fehlt.
Triftige Gründe
Für eine oberirdische Leitung gibt es allerdings triftige Gründe. Es ist so: Eigentlich wird die bestehende Stevin-Hochspannungsleitung gedoppelt. Heißt: Im Notfall, wenn Stevin ausfällt, soll Ventilus dafür sorgen, dass in den Küstengemeinden nicht das Licht ausgeht. Genau das ist der Knackpunkt. Eine unterirdische Trasse wäre zwar theoretisch möglich, erklärt Energieexperte Joannes Laveyne. Das geht allerdings nur mit Gleichstrom. Das Elektrizitätsnetz funktioniert aber mit Wechselstrom. Wenn Ventilus die Küstenregion notfalls mit Strom versorgen soll, ist es nicht sicher, dass eine Ventilus-Leitung mit Gleichstrom den Verlust schnell genug auffangen kann:
Für die Experten kann Ventilus nur oberirdisch verlaufen. Technisch ist es nicht anders möglich. Diese Feststellung hat man sich sogar mehrmals schriftlich geben lassen: Die Gutachten kamen immer zum selben Ergebnis. Weil das Urteil der Fachleute so eindeutig ist, gibt es eigentlich kein Vertun, so das Fazit der N-VA-Umweltministerin Demir. "Die Prozedur muss jetzt in eine neue Phase eintreten."
Regelrechtes Dilemma für CD&V
Das sahen die beiden Koalitionspartner Open VLD und CD&V offensichtlich genauso. Gerade für die CD&V war die Akte Ventilus ein regelrechtes Dilemma. Die Provinz Westflandern ist eine der letzten Hochburgen der flämischen Christlichsozialen. Die Bürgermeister, die am lautesten gegen das Projekt mobil gemacht haben, waren quasi allesamt CD&V-Mitglieder. Der flämische CD&V-Minister Benjamin Dalle hatte denn auch in der VRT hörbar Kreise gefressen. Auch er verwies auf die Expertengutachten, die eben eindeutig ausfielen. Er habe durchaus Verständnis für die Sorgen der Bürgermeister. Aber jede Machtebene müsse nunmal ihre Rolle spielen. es sei im vorliegenden Fall die Rolle der flämischen Regierung, den Knoten jetzt zu durchschlagen und eine Entscheidung zu treffen.
"Gut, dann werden wir uns wohl fügen müssen", sagte resigniert Bart Dochy, CD&V-Bürgermeister von Ledegem und der Sprecher der betroffenen Gemeinden. Dochy machte in der VRT zugleich klar, dass der Kampf für ihn noch nicht vorbei ist. "Wir gehen davon aus, dass sich die flämische Regierung an ihre eigenen Regeln hält. Sprich: Dass die Genehmigungsverfahren so verlaufen, wie es sich gehört". Wenn jemand gegen das Projekt klage, dann behalte er sich das Recht vor, sich solchen Klagen anzuschließen.
Das Ventilus-Projekt ist eigentlich schon in Verzug. Hinzukommen könnte jetzt eine Schlacht vor den Gerichten um Genehmigungen und Enteignungen. Hochspannungsnetzbetreiber Elia hofft seinerseits immer noch darauf, dass die Ventilus-Leitung 2027 in Betrieb genommen werden kann.
Roger Pint