Die Energiekrise sorgt nicht nur unmittelbar für astronomisch hohe Rechnungen, die vielen Haushalten und Unternehmen den Hals zuschnüren. Eine Nebenwirkung ist auch, dass der Streit über den Atomausstieg wieder voll entbrannt ist und das knapp 20 Jahre, nachdem das Parlament die Abkehr von der Kernenergie beschlossen hatte.
Entzündet hat sich das Ganze jetzt an der Tatsache, dass es für den Reaktorblock Doel 3 buchstäblich fünf vor zwölf ist. Es läuft nämlich ein Countdown: Am Freitag geht der Meiler vom Netz. Und das endgültig, so zumindest steht es im Gesetz. Diese Aussicht scheint aber den Einen oder die Andere plötzlich sehr nervös gemacht zu haben.
Denn Doel 3 wird am Freitag nicht nur abgeschaltet. Bei der Gelegenheit sollen auch gleich erste Schritte zur endgültigen Stilllegung eingeleitet werden, quasi der Startschuss für den Rückbau der Anlagen.
Unumkehrbarer Prozess
Das ist ein heikler, hochtechnischer Prozess. Jahrelang wurde diese Phase geplant und vorbereitet. Der Punkt ist: Man beginnt dabei mit den wirklich gefährlichen Bereichen der Anlage, dem Reaktorkern und insbesondere den Brennstäben und die Entfernung bzw. Säuberung der radioaktiv verseuchten Teile. Das sorgt - ganz grob gesagt - dafür, dass die Anlagen relativ schnell unwiederbringlich unbrauchbar werden: Die Stilllegung von Doel 3 wäre also schon sehr bald "unumkehrbar".
Innenministerin Annelies Verlinden hat angesichts dieser Aussicht offensichtlich kalte Füße bekommen und sah sich plötzlich zum Handeln gezwungen. "Ausgerechnet jetzt, wo doch die Versorgungssicherheit und auch die Energie-Unabhängigkeit zu einem brandheißen Thema geworden seien, ausgerechnet jetzt könne und wolle sie nicht einfach eine Option aus der Hand geben", argumentierte die CD&V-Politikerin, die ja als Innenministerin auch für Reaktorsicherheit zuständig ist.
Am Mittwoch vergangener Woche ließ sie eher beiläufig über Twitter verlauten, dass sie die Initiative ergriffen habe. Konkret: Sie habe die Atomaufsichtsbehörde Fank angewiesen zu prüfen, ob die Schritte mit Blick auf die endgültige Stilllegung von Doel 3 nicht ausgesetzt werden könnten. Bei der Fank muss diese Anfrage wie eine Bombe eingeschlagen sein. Keine zwei Wochen vor dem geplanten Beginn der Arbeiten kommt plötzlich die Anfrage, den Prozess doch wieder auszusetzen.
Doch laut der Innenministerin sieht die Fank da prinzipiell kein Problem: Auf den ersten Blick verstehe sie das Gutachten der Atomaufsichtsbehörde so, dass zumindest in den ersten Wochen theoretisch keine Schritte unternommen werden müssten, die dazu führen, dass die Anlagen unwiderruflich unbrauchbar werden, sagte Annelies Verlinden am vergangenen Donnerstag in der VRT.
Das stimmt laut Presseberichten so aber anscheinend nicht. Vielmehr heißt es demnach bei der FANK, dass das Ganze erst sorgfältig geprüft werden müsse. Denn ein Kernkraftwerk kann man nicht einfach ein- und abschalten, wie man will. Kurz und knapp: Laut der Zeitung De Morgen bezeichnet die Fank eine mögliche Aussetzung der Stilllegung als "rêverie", Tagträumerei...
Planänderung kurz vor Zapfenstreich
Annelies Verlinden soll denn auch am vergangenen Freitag von Premierminister Alexander De Croo einen Rüffel bekommen haben. Die Groen-Vizepremierministerin Petra De Sutter drückte sich am Wochenende etwas gewählter aus: Verlinden sei zurückgepfiffen worden.
De Sutter fügte hinzu, dass Doel 3 in keiner der aktuellen Planungen und Simulationen noch eine Rolle gespielt habe. In jedem Fall sei es so, dass Doel 3 nicht dazu beitragen könne, die heutigen Probleme zu lösen. Wenn man über eine Verlängerung reden wolle, dann gehe das frühestens in drei, vier, fünf Jahren.
Aber - fast wie bei einer atomaren Kettenreaktion - war auch die Diskussion über die Zukunft von Doel 3 plötzlich nicht mehr zu stoppen. Erst hieß es, die CD&V stehe "wie ein Mann" hinter Annelies Verlinden. Und dann trat auch der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez auf den Plan. "Hier wird gar nichts stillgelegt. Die Grünen werden sich damit abfinden müssen", zitiert die Zeitung Het Nieuwsblad den Präsidenten der frankophonen Liberalen. Das sind also schon zwei Mehrheitsparteien, die das Gesetz zum Atomausstieg in seiner jetzigen Form infrage stellen. Konkret wollen beide die Laufzeit von Doel 3 und wohl auch von Tihange 2 doch nochmal verlängern. Das, wie gesagt, drei Tage vor Zapfenstreich.
Und die oppositionelle N-VA hat sich noch nie eine Gelegenheit entgehen lassen, um die Mehrheit auseinander zu dividieren. Die Nationalistenpartei will laut Presseberichten einen Gesetzesvorschlag in die Kammer einbringen, um insbesondere die endgültige Stilllegung von Doel 3 erst mal zu verhindern.
Die N-VA will damit natürlich mögliche Abweichler in ihr Boot ziehen, um eine sogenannte Wechselmehrheit herbeizuführen. Das macht die Partei zumal im Zusammenhang mit dem Atomausstieg im Übrigen nicht zum ersten Mal. Die Vivaldi-Koalition steht in jedem Fall mal wieder mächtig unter Strom.
Roger Pint
Was für eine Komödie wird dem Stimmvieh da geboten. Dabei wissen ALLE Beteiligten dass kein KKW abgeschaltet wird ,sie laufen alle weiter – alles andere wäre energiepolitischer Selbstmord. Auf der Internetseite des Belgischen Netzbetreibers „Elia Grid data“ kann sich jeder davon überzeugen, der Weiterbetrieb ist alternativlos. Nur damit gewisse Parteien so etwas wie eine Gesichtswahrung vorspielen können wird dieses Schmierentheater aufgeführt. Die Realität frisst sich durch, das ist schon der dritte Ausstieg vom Ausstieg im Belgischen Kernkrafttheater.
Das ist das Ergebnis, wenn man sich grüne Flöhe in den Pelz setzt. Diese garantieren nicht nur andauernden Juckreiz sondern auch die schrittweise Entwöhnung von der Realität hin zu einer Art "Bullerbü- Illusion".
Hoffentlich merkt's sich der Wähler!