Die Plenarsitzung hat am Mittwochmorgen um kurz nach 10 Uhr begonnen. Seitdem liefern sich die Kammerabgeordneten einen Schlagabtausch nach dem anderen - nur eine kurze, wenn auch sehr verspätete Mittagspause gab es. Allein die Wortmeldungen der ersten beiden Fraktionsführer nahmen fast fünf Stunden in Anspruch - mit Zwischenfragen, Antworten und Exkursen natürlich.
Letztes Jahr hatte die Sitzung im weitläufigeren Europäischen Parlament stattfinden müssen, um die Corona-Sicherheitsabstände einhalten zu können. Dieses Jahr wurde wieder im üblichen Halbrund getagt - vielleicht trug auch das dazu bei, dass die Debatte sehr schnell sehr lebhaft wurde. Die Rollenverteilung ist klassisch wie immer: "The role of the opposition is to oppose", wie das Sprichwort sagt, die Rolle der Opposition ist, eine gegenteilige Anschauung zu vertreten. Während die Mehrheitsparteien versuchen, ihre Koalition und ihr Programm gegen die Angriffe zu verteidigen.
Peter De Roover von der N-VA stieg auch am Mittwoch direkt mit einem Frontalangriff auf Premierminister Alexander De Croo (Open VLD) in den Ring. Er wiederholte seine Beschuldigungen, dass der Premier das Parlament als Kernelement des demokratischen Entscheidungsprozesses missachtet habe, weil De Croo die groben Linien des Haushalts wenige Stunden vor der Regierungserklärung in der Kammer bereits in einer Pressekonferenz vorgestellt hatte. Das sei ein Tiefpunkt bezüglich des Respekts gegenüber der Institution gewesen und sei deswegen auch zu Recht angeklagt worden.
Kammer am Dienstag geschlossen verlassen
Die N-VA-Fraktion hatte am Dienstag aus Protest noch vor dem Verlesen der Regierungserklärung die Kammer geschlossen verlassen. Des Weiteren prangerte De Rover auch erneut an, dass wegen der Corona-Regeln nicht alle Abgeordneten mit im Saal sitzen konnten. Auch das brandmarkte er als einfach "heuchlerisch". Er hoffe zumindest für das kommende politische Jahr auf korrekte Debattenkultur. Mit diesem feurigen Einstieg war der Ton für den Rest der Debatte dann auch gesetzt.
De Roover ließ wie gewohnt keine Gelegenheit aus, um zu sticheln, Salz in Wunden zu reiben und generell in alle Richtungen zu keilen. Von den immer wieder in den Sozialen Medien und in der Presse ausgetragenen Dauerstreitigkeiten zwischen den Vivaldi-Partnern über den Last-Minute-Hickhack, der die Einigung über den Haushalt Dienstagfrüh noch einmal kurz infrage gestellt hatte - De Roover mangelte es wahrlich nicht an Zielscheiben. Dass er die Regierungserklärung des Premierministers nicht gesehen habe, sei außerdem auch nicht wirklich schlimm, weil er ja nicht nur alle Details bereits aus der Pressekonferenz gekannt habe, sondern auch, weil der ganze Regierungsplan - sinngemäß - sowieso von vorn bis hinten nichts tauge.
Die einzigen Menschen, die De Croo mit seiner Erklärung vielleicht angenehm überrascht habe, seien die, die erwartet hatten, dass die Vivaldi gar nichts zustande bringen würde. Bei einer so niedrigen Erwartungshaltung werde man eben schon positiv überrascht, wenn es ein kleines bisschen mehr als nichts werde. Alle Menschen, die hingegen auf echte Projekte gehofft hätten, seien enttäuscht worden.
Keine Schlagkraft
De Croo habe zwar sicherlich den Ehrgeiz und wohl auch die Lust, etwas zu verändern, aber eben keine Schlagkraft. Das warf der N-VA-Fraktionsführer auch den flämischen Liberalen allgemein und auch den flämischen Christdemokraten mehrfach an den Kopf. Schuld daran seien die anderen Koalitionsparteien, die der Open VLD und der CD&V wie ein Klotz am Bein hingen, insbesondere die frankophonen Sozialisten von der PS. Gegen die, die Grünen und alles, was in den Augen der N-VA eben "links" ist, wetterte De Roover ohnehin.
Was die Zahlen im Haushaltsplan anging, unterstellte De Roover, dass das Team von De Croo sich alles schön rechne und die Zahlen so verbiege, bis sie in den Plan passten. Als nächstes nahm er sich die Maßnahmen zur Senkung der Energierechnungen vor: Die Kosten für die Bürger würden nämlich gar nicht gesenkt, sondern nur von einer Kategorie in eine andere verschoben. Die Mittelklasse bekomme Peanuts, damit der Eindruck entstehe, dass für jeden etwas getan werde. Das sei aber rein symbolisch, weil die Mittelklasse 600 Millionen Euro berappen müsse, damit 20 Prozent der Bevölkerung in den Genuss von Erleichterungen kämen. Damit meinte De Roover natürlich die Haushalte mit geringem Einkommen, die Anrecht auf den ausgeweiteten Sozialtarif haben. Er ritt auch die wohlbekannten Attacken auf die Grünen wegen deren Unterstützung für Gaszentralen in der Energiewende und warf ihnen vor, dass sie zur "CO2-Ausstoß-Partei" geworden seien.
Die Regierungserklärung könne vor allem durch die viele heiße Luft, die sie produziert habe, zur Energiedebatte beitragen, so De Roover. Zu den vorgestellten Reformen hatte er natürlich auch eine eindeutige Meinung. Drei Tönchen, die als Symphonie verkauft würden. Ein Parfum, ein ganz, ganz leichter Geruch nach Reformen, also sehr, sehr vorsichtige Ansätzchen. Mehr sei da nicht. Eben weil De Croo wie gesagt zwar Ehrgeiz, aber keine Schlagkraft habe. Leider sei es dann auch dabei geblieben: Zu wenig, zu spät, zu minimal, so das vernichtende Fazit der N-VA zur Regierungserklärung.
Die Debatte in der Kammer läuft noch, sprich die anderen Oppositionsparteien sprechen gerade beziehungsweise sind noch nicht an die Reihe gekommen. Es wird damit gerechnet, dass es noch bis spät in die Nacht dauern wird, bis auch die letzte Partei sich über die Regierungserklärung ausgesprochen haben wird.
Boris Schmidt