Wer hat in den letzten Tagen noch den Überblick behalten, was man noch wo darf? Nachdem am letzten Freitag im Konzertierungsausschuss belgienweite Corona-Regeln beschlossen worden waren, hatten zuerst die Wallonie, dann Brüssel und schließlich (unter massivem öffentlichem Druck) auch Flandern entschieden, regional noch strenger zu sein. Dieser Flickenteppich, gepaart mit einer alles anderen als guten Kommunikationsstrategie, hat für viel Kritik gesorgt. Und deswegen sind die Maßnahmen seit Mitternacht harmonisiert worden.
"Im ganzen Land gelten wieder die gleichen Regeln", kündigte Premierminister Alexander De Croo in einer sehr ernsten und eindringlichen Ansprache die Harmonisierung der Coronavirus-Schutzmaßnahmen an. Mit Ausnahme der nächtlichen Ausgangssperre, die in Flandern nach wie vor kürzer als im Rest des Landes ist.
Und damit komme das gesellschaftliche Leben praktisch zum Erliegen, so De Croo. De facto handele es sich also um einen teilweisen Lockdown. "Lockdown" – der Begriff, den die politisch Verantwortlichen bislang am liebsten vermieden haben. Auch das unterstreicht wohl, wie ernst die Lage ist.
Und es gebe nur eine einzige Priorität, betonte der Premierminister: dem Gesundheitspersonal und den Krankenhäusern zu helfen und die Infektionskurven abzuflachen. Die Ausbreitung des Virus müsse gestoppt werden. Und in diesem kritischen Moment gebe es nichts Wichtigeres als Einheit und Klarheit - und zwar überall im Land. Was man jetzt am allerwenigsten brauchen könne, seien eine Spaltung und Alleingänge, erklärte der Premier.
Es dürfe nur einen Kampf geben – den gegen das Virus. Denn das Virus kümmere sich nicht um Grenzen, Sprache, Hautfarbe, Alter oder das Geschlecht. Es könne alle treffen. Und das war auch die zentrale und mahnende Botschaft an die Bürger, insbesondere an die jungen Menschen im Land. Zu viele von ihnen würden noch immer fälschlicherweise denken, dass das Virus sie nicht betreffe.
Alle müssten die Hygiene- und anderen Regeln respektieren. Alle seien mitverantwortlich für die Gesundheit der anderen. Die Entscheidungen, die jeder privat für sich treffe, seien auch moralische Entscheidungen, appellierte De Croo. Es gehe um Leben und Tod - und um die Zukunft. Die nächsten Tage würden zeigen, ob jeder die Regeln gut befolge oder nicht.
Wenn die Ansteckungen nicht zurückgingen, könne das Gesundheitssystem das nicht mehr verkraften. Dann müssten noch strengere Maßnahmen ergriffen werden, warnte De Croo. Er könne den Menschen auch nicht sagen, wie lange die Situation so ernst bleiben werde. Auf Erleichterungen braucht man jedenfalls erstmal nicht zu hoffen. Denn zu frühe Lockerungen, das hätten die letzten Monate deutlich gezeigt, verstärkten nur die Probleme, gerade auch für die Menschen im Gesundheitssystem, so De Croo.
Kein Zeitrahmen
Was einen konkreten Zeitrahmen angeht, bis wann die Zahlen entweder sinken oder noch strengere Maßnahmen ergriffen werden müssen, äußerte sich De Croo nicht. Allerdings werden die Rufe - gerade aus dem Gesundheitssektor - nach einem allgemeinen Lockdown immer drängender. Was angesichts der nach wie vor steigenden Infektions- und Patientenzahlen nicht verwundert. Viele Krankenhäuser sind fast an ihren Grenzen oder schon darüber. Und bislang scheinen die vor fast zwei Wochen in Kraft getretenen Verschärfungen nicht zu wirken.
Am Freitag ist wieder Konzertierungsausschuss. Offiziell soll dabei die Schließung der Horeca-Betriebe evaluiert werden. Der wallonische Ministerpräsident Elio Di Rupo hat aber bereits gesagt, dass er weitere Einschränkungen will. Eine Position, die nun auch der wallonische Innenminister Christophe Collignon wiederholte. Wenn man nach dem Konzertierungsausschuss nicht überzeugt sei, dass die Regeln ausreichten, um die exponentielle Verbreitung des Virus zu stoppen, werde die Wallonie weitere Maßnahmen ergreifen.
Und dann wären wir irgendwie doch wieder da, wo wir vor der Harmonisierung auch schon mal waren.
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Boris Schmidt