"Herr Premierminister, Ihre Minderheitsregierung wird schon immer kleiner". Die CDH-Fraktionsvorsitzende Catherine Fonck legte den Finger in die Wunde. Denn gerade war die OpenVLD mit Pauken und Trompeten aus der Koalition ausgeschert.
Zumindest in Bezug auf das neue Rahmentarifabkommen. Das sieht nicht nur die Erhöhung der Löhne und gewisser Sozialleistungen vor, ein Kapitel ist auch der Vorruhestandsregelung gewidmet. Demnach soll es in diesem Jahr doch noch möglich sein, unter gewissen Bedingungen mit 58 Jahren in den Vorruhestand zu gehen. Eigentlich hatte die Regierung vereinbart, dass das Mindestalter in diesem Jahr schon auf 59 angehoben werden sollte, 2020 dann auf 60 Jahre. Laut dem Rahmentarifabkommen soll das alles mehr oder weniger um ein Jahr verschoben werden. "Kommt nicht in Frage, nicht mit uns!", wetterte aber der OpenVLD-Abgeordnete Egbert Lachaert:
Lang anhaltender Applaus; auch aus den Reihen der N-VA, die jetzt in der Opposition sitzt. Die Nationalistenpartei sieht das genau wie der einstige Koalitionspartner: Die Regierung Michel II ist gerade im Begriff, das Erbe von Michel I zu verwässern, sagte der N-VA-Fraktionsvorsitzende Peter De Roover.
Da singen also N-VA und OpenVLD plötzlich in einem Chor - wobei man sich doch eigentlich gegenüberstehen müsste. "Herr Premierminister, pfeifen Sie doch bitte dieses Kartell aus OpenVLD und N-VA zurück", wandte sich der Groen-Abgeordnete Kristof Calvo an Charles Michel. "Wir brauchen Feuerwehrleute, keine Pyromanen."
Eben dieser Charles Michel gab sich unbeeindruckt. Gewohnt sachlich erklärte er, dass die angebliche Aufweichung der Kriterien für die Vorruhestandsregelung eigentlich keine ist. Eigentlich würden die Bedingungen verschärft. Hier gehe es unterm Strich nur um 200 Personen. Und deshalb solle man jetzt auch nicht das Rahmentarifabkommen aufs Spiel setzen, sagt Michel. Für den Sozialen Frieden und damit auch die Betriebe sei es von größter Bedeutung, den Beweis zu erbringen, dass das belgische Sozialmodell noch immer funktioniert. "Fortsetzung folgt", kann man also sagen.
Libysche Gelder
Da kam aber schon gleich die nächste Breitseite: "Nennen wir die Dinge beim Namen", sagte der PS-Abgeordnete Ahmed Laaouej: "Das hier ist eine Staatsaffäre". Zum vierten Mal quasi hintereinander spricht die linke Opposition den Premier auf die libyschen Gelder an. Seit dem Sturz des Gaddafi-Regimes sind 14 Milliarden Euro in Belgien blockiert. Nur wurde irgendwann entschieden, die Rendite dieser Gelder freizugeben. Die Zinsen sind also abgeflossen. Wohin? Fragezeichen.
Die Vereinten Nationen haben Belgien wegen der Missachtung von UNO-Sanktionen gerügt. Nach einem Bericht der Zeitung De Standaard wurde diese Rüge auch vom Sanktionen-Ausschuss des UN-Sicherheitsrates bestätigt. Das war am 17. Dezember. Michel hatte diese Episode bislang aber nie erwähnt. "Wissen Sie warum?", sagte der SP.A-Altmeister Dirk Van der Maelen. "Wahrscheinlich, weil Ihr eigener Außenminister Sie nie darüber in Kenntnis gesetzt hat".
Charles Michel fegte alle Kritik einmal mehr vom Tisch. Es gebe keine wirklich neuen Erkenntnisse; die Opposition wirke vielmehr, als habe sie sich festgebissen, sagte Michel sinngemäß. Er sei gerne bereit, mit dem Parlament zusammenzuarbeiten, aber nicht für diesen Zirkus.
Kurzatmig wirkt er, aufgewühlt. Einige Zeitungen meinten sogar, Michel habe sich verhalten, als sei er von einer Wespe gestochen worden. Er selbst versprach jedenfalls Aufklärung. "Mal wieder", erwiderte die Opposition.
Fazit der Kammersitzung: Michel wirkte am Donnerstag irgendwie fast schon ein bisschen einsam.
Roger Pint