Schlusspunkt: Charles Michel gibt auf. Das ist am Dienstag vor Weihnachten im Parlament. Die Regierung ist damit definitiv am Ende. Gestürzt ist die Koalition letztlich über den UN-Migrationspakt. Das war eigentlich schon zehn Tage zuvor. Michel hatte es noch mit einer Minderheitsregierung versucht. Die Kammer gab dazu aber nicht ihren Segen.
Im Grunde war der Themenkreis Asyl und Migration das ganze Jahr über im Fokus - wohl auch, weil die N-VA das so wollte oder genauer gesagt der Staatssekretär für Asyl und Migration, Theo Francken. Der steht Anfang des Jahres erstmal mächtig unter Druck. Die Polemik war aus dem alten Jahr ins neue herübergeschwappt. Francken hat die Ausweisung von Sudanesen angeordnet. Das Problem ist nur: Die Menschen riskieren, in ihrem Heimatland gefoltert zu werden. Es gibt auch Presseberichte, wonach das schon passiert sei.
Hinzu kommt aber: Francken hat eine sudanesische Delegation kommen lassen, um Landsleute zu identifizieren, die sich im Brüsseler Maximilianpark aufhalten. Das Regime in Khartum gilt als lupenreine Diktatur, es laufen sogar Ermittlungen wegen Völkermordes. Anfang des Jahres wird der Ruf nach einem Rücktritt von Theo Francken immer lauter.
Bis sich N-VA-Chef Bart De Wever höchstpersönlich hinter seinen Staatssekretär stellt. "Ich lasse Theo Francken nicht fallen", sagt De Wever. "Dann lassen Sie lieber die Regierung platzen?", unterbricht ihn eine Journalistin. Darauf De Wever: "Ich lasse keine einzige Regierung platzen. Ich sage nur Nein zu einem Rücktritt von Theo Francken." Irgendwie ist dieser Satz ein Omen. Fast auf den Tag elf Monate später liegen fast genau diese Zutaten wieder auf dem Tisch.
Transitmigranten und Maximilianpark
Theo Francken kann jedenfalls weitermachen. Und das tut er auch. Immer noch im Januar kocht auch das Problem der Transitmigranten wieder hoch. Seit die französischen Behörden den "Dschungel" von Calais geschlossen haben, suchen die Menschen nach anderen Wegen, um nach Großbritannien zu gelangen. Einige davon führen naturgemäß über Belgien - mit allem, was dazu gehört.
Auf Rastplätzen entlang der E40-Autobahn kommt es zu Übergriffen, am 18. Januar wird ein Polizist attackiert. Innenminister Jan Jambon verspricht Gegenmaßnahmen. Man müsse sich vor allem auf die Menschenschmuggler konzentrieren, sagt Jambon. In den darauffolgenden Monaten wird die Jagd auf Schleuser also massiv verschärft. Das soll im Mai zu einer Tragödie führen.
Der Brüsseler Maximilianpark wird derweil zu einer Art Sammelpunkt. Von dort aus starten die Migranten ihre Versuche, nach Großbritannien zu gelangen. Und es entsteht eine regelrechte Solidaritätsbewegung um den Park. Dutzende von Privatpersonen erklären sich bereit, Migranten bei sich aufzunehmen.
"Wohnungsbetretungen"
In diesem Zusammenhang wirkt ein neuer Gesetzesvorschlag der Regierung fast schon wie eine Drohung. Hinterlegt wird der Text von Asylstaatssekretär Theo Francken und Justizminister Koen Geens. Konkret: Um einen illegalen Migrant ausweisen zu können, sollen "Wohnungsbetretungen" möglich gemacht werden. Grundbedingung sei selbstverständlich eine entsprechende Ermächtigung durch einen Untersuchungsrichter, sagt Francken. "Wohnungsbetretungen - von wegen!", wettern die Kritiker. "Das sind Hausdurchsuchungen!", entgegnet unter anderem Manuela Cadelli, Präsidentin des Gewerkschaftsverbands der Magistrate.
Und es entsteht der Eindruck, dass die Regierung letztlich alle Leute, die sich mit Migranten solidarisch zeigen wollen, kriminalisieren will. Manche sehen sogar Parallelen mit der Nazizeit. "Totaler Quatsch", erwidert Asylstaatssekretär Theo Francken. Es gehe doch gar nicht um besagte Bürgerplattform, hier würden die Dinge vermischt.
Und nicht nur die linke Opposition läuft Sturm. Auch die frankophonen Liberalen bekommen mehr und mehr Bauchschmerzen. Anfang Februar: Premierminister Charles Michel beschließt, das Thema zur Chefsache zu machen. Er werde jetzt persönlich die verschiedenen Akteure anhören, um sich die juristischen Einwände noch einmal genauer darlegen zu lassen, kündigt Michel an. Damit kauft der Premier erstmal Zeit. Im September kündigt Justizminister Koen Geens an, dass der Gesetzesvorschlag definitiv zurückgezogen wird.
Proteste I
Im Grunde liefern die ersten Wochen des Jahres weitgehend einen Vorgeschmack auf die darauffolgenden Monate. Ein weiterer Dauerbrenner sind die anhaltenden Proteste gegen die Politik der Föderalregierung. Die Wut der Gewerkschaften richtet sich vor allem gegen die Rentenreform. Die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre ist da nur der sichtbarste Teil.
Die Bahngewerkschaften protestieren ihrerseits gegen den geplanten Minimaldienst im Streikfall. Der wird in diesem Jahr endgültig auf die Schienen gesetzt. Ende Juni wird das System erstmals angewandt - und es scheint zu funktionieren.
Königlicher Appell
Ebenfalls schon im Januar lancieren Premier Michel und König Philippe einen Appell für mehr Toleranz und gegen jegliche Form von Rassismus und Diskriminierung. Insbesondere das Staatsoberhaupt hat da wohl rassistische Anfeindungen vor Augen, deren Opfer die neue Miss Belgien geworden war. Angeline Flor Pua hat chinesisch-philippinische Wurzeln und deshalb gibt es in Sozialen Netzwerken haufenweise Hasskommentare gegen die junge Antwerpenerin.
"Wenn wir die Harmonie innerhalb der Gesellschaft fördern, tragen wir zu ihrer Stabilität bei", unterstreicht aber König Philippe. Und auch das soll sich als Omen erweisen. Es ist nämlich leider nicht das letzte Mal, dass über Rassismus gesprochen wird. Und auch das Plädoyer für Stabilität wirkt aus heutiger Sicht wie ein Zeichen an der Wand.
Des Königs Familienärger
Apropos Königshaus. König Philippe muss sich auch in diesem Jahr wieder mit innerfamiliärem Stress herumärgern. Erst sorgt sein Bruder Laurent wieder für Aufsehen. Die Kammer will dem Prinzen die Dotation kürzen - zur Strafe, weil Laurent sich mal wieder über geltende Regeln hinweggesetzt hatte. Unter anderem hat er an einem Empfang in der chinesischen Botschaft teilgenommen, trägt dabei sogar eine Marineuniform. Nur ist dieser Auftritt nicht mit der Regierung abgesprochen.
Allerdings will Laurent sich verteidigen. In einer Demokratie ist das auch sein gutes Recht, das Parlament gibt dem Antrag statt. Im März präsentiert sich Laurents Anwalt vor der Kammer. Eine absolute Premiere. Der Anwalt macht dabei vor allem Formfehler geltend, eine ganze Latte sogar. Und eigentlich hätte man die Sitzung aus eben diesen Gründen sogar verschieben müssen. Es hilft aber nichts: Die Kammer beschließt, die Dotation des Prinzen einmalig um 15 Prozent zu beschneiden.
Im November rückte dann wieder König Albert II in den Fokus. Ein Gericht entscheidet, dass er sich einem Gentest unterziehen muss. Hintergrund ist natürlich die Vaterschaftsklage der Künstlerin Delphine Boël.
Lebensmittelskandal
"Was wir hier sehen, das sind keine harmlosen Schummeleien, das ist schon ein ausgewachsener Skandal", sagt der föderale Landwirtschaftsminister Denis Ducarme. Der Monat März ist geprägt von einem neuen Lebensmittelskandal. Im Mittelpunkt steht der Schlachthof Veviba in Bastogne. Und in der Tat: Die Liste der Vorwürfe ist lang. "Hier wurden sanitäre Grundregeln missachtet", so Ducarme. "Hier wurden Etiketten gefälscht und mit falschen Daten versehen. Hier wurden Fleischabfälle unerlaubt in Form von Hackfleisch in die Nahrungskette gebracht."
Die großen Supermarktketten beschließen, mit sofortiger Wirkung alle von Veviba gelieferten Produkte aus dem Handel zu nehmen. Schnell gerät aber auch die föderale Agentur für Nahrungsmittelsicherheit (Afsca) ins Zwielicht. Denn es stellt sich heraus, dass die Missstände längst bekannt waren, dass die Afsca aber viel zu spät aktiv wurde. Man habe der Justiz nicht in die Quere kommen wollen, begründet Afsca-Chef Herman Diricks die Untätigkeit seiner Behörde. Landwirtschaftsminister Denis Ducarme ist jedenfalls unzufrieden mit der Afsca und kündigt Reformen an.
F-16-Saga
Doch hat auch noch ein anderer Föderalminister mächtig Ärger mit seinem Ressort: Verteidigungsminister Steven Vandeput. Bei der Armee platzt am 20. März eine Bombe. Gezündet hatte die der SP.A-Vorsitzende John Crombez.
Die Regierung muss über den Ankauf neuer Kampfflugzeuge als Nachfolger für die in die Jahre gekommenen F-16 entscheiden. Aber sind die wirklich so alt, dass sie bald nicht mehr fliegen können? Das hat die Regierung bislang immer als Argument angeführt.
"Das stimmt aber nicht", sagt nun John Crombez. Er präsentiert eine Studie von Lockheed Martin, dem Hersteller der F-16. Und darin steht, dass die Kampfflugzeuge sechs Jahre länger halten. Zeit genug also, um den Neukauf gründlich zu prüfen, anstatt jetzt rubbedidupp einen Vertrag über 15 Milliarden Euro abzuschließen.
Der eigentliche Hammer ist aber: Anscheinend hat die Armeeführung von dem Geheimbericht gewusst. Schlimmer noch: Sie hat Verteidigungsminister Steven Vandeput nicht darüber in Kenntnis gesetzt. Das sei von Seiten der Armeeführung ein schwerer Einschätzungsfehler gewesen, sagt ein sichtlich wütender Steven Vandeput. Und das werde haarfein untersucht. "Von wegen Einschätzungsfehler, das ist Manipulation!", wettert dagegen die Opposition.
Die zuständigen Verantwortlichen bei den Streitkräften reagieren und geben die Akte vorläufig ab. Doch es hilft nichts: Man kriegt den Brand nicht in den Griff. Vandeput steht gewaltig unter Druck: Entweder hat er sein Departement nicht unter Kontrolle, oder er wusste von dem Bericht, heißt es da. Ein Audit wird später immerhin zu dem Schluss kommen, dass Vandeput tatsächlich nichts von dem Geheimbericht gewusst hat. Und doch ist seine Position enorm geschwächt.
Nato-Gipfel in Brüssel
Ein Aufschub kommt eigentlich nicht infrage. Seit Jahren machen die Amerikaner Druck. Sie wollen, dass die europäischen Nato-Verbündeten aufrüsten, damit die USA die Last nicht alleine tragen. Im Juli beim Nato-Gipfel in Brüssel wird US-Präsident Donald Trump die Partner noch einmal nachdrücklich an ihr Versprechen erinnern, mittelfristig zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in ihre Streitkräfte zu investieren. Premierminister Charles Michel bekennt sich im Juli nochmal ganz klar dazu und kündigt an, die Zeit der Sparmaßnahmen sei beendet.
Er meint damit in erster Linie den Ankauf neuer Kampfjets. Offiziell sind noch zwei Flugzeuge im Rennen. Am 25. Oktober gibt Verteidigungsminister Steven Vandeput hochoffiziell die Entscheidung bekannt: Es wird die amerikanische F-35. 34 Maschinen dieses Typs wird Belgien anschaffen. Gesamtpreis: zwischen 3,8 und 4 Milliarden. Die F-35 galt von Anfang an als Favorit der N-VA. Wegen des Schleuderkurses beim Entscheidungsverfahren wird wohl immer ein Geschmäckle bleiben.
Proteste II
Auch an der Sozialfront ist das Frühjahr heiß. Beim Discounter Lidl kommt es Ende April zu einem ziemlich giftigen Streik. Spontane Protestaktionen gibt es auch beim Bierbrauer AB Inbev in Löwen, beim flämischen Telekomanbieter Telenet und bei Bpost. Zudem droht bei Brussels Airlines ein handfester Konflikt, der im Mai in einem zweitägigen Streik gipfelt.
Und auch im Öffentlichen Dienst ist das Klima vergiftet. Die föderalen Beamten legen aus Protest gegen die Reformpläne des zuständigen Föderalministers Steven Vandeput wiederholt die Arbeit nieder. Insgesamt hängt der soziale Haussegen schief, es brodelt an der Sozialfront. Und auch das soll nicht das letzte Mal sein.
Fall Mawda
"Ein zweijähriges Mädchen ist tot" - die tragische Nachricht aus dem Mund des Sprechers der Staatsanwaltschaft Tournai. Das Drama ereignet sich in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai. Der Polizei ist auf der E42-Autobahn in der Nähe von Namur ein verdächtiger Kleinbus aufgefallen. Die Beamten bleiben dran. Nur macht der Fahrer keine Anstalten, zu stoppen. Die Fahrzeuge donnern also durch die Nacht. In der Nähe von Mons fallen Schüsse. Das bringt das Fahrzeug schließlich zum Stehen. In dem Kleinbus befinden sich 30 Menschen, allesamt kurdische Migranten. Darunter ist die zweijährige Mawda. Doch ist die schwer verletzt und stirbt wenig später im Krankenwagen.
Erst sagt der Justizsprecher noch, das Mädchen sei an den Folgen eines Schädel-Hirn-Traumas gestorben. Einen Tag später muss er seine Aussage korrigieren: Das Mädchen sei doch durch eine Kugel getötet worden. Die Bestürzung ist groß. Ein totes Mädchen, wahrscheinlich getroffen durch eine Polizeikugel. Menschenrechtsorganisationen und die linke Opposition sehen in dem Drama eine indirekte Folge der Nulltoleranz der Politik der Regierung.
N-VA-Chef Bart De Wever beklagt seinerseits, dass der Tod eines Mädchens politisch instrumentalisiert wird. Dabei geht er so weit, dass er den Eltern eine indirekte Mitschuld am Tod ihrer Tochter gibt. Sie hätten ihr Kind unkalkulierbaren Gefahren ausgesetzt, indem sie illegal reisten und sich wiederholt in die Hände von Schleppern begeben hätten. Die linke Seite tobt vor Empörung. Wieder so ein Moment der Polarisierung, wieder im Zusammenhang mit der Problematik Migration. Und immer noch nicht zum letzten Mal.
Attentat von Lüttich
Ein paar Tage später sind mitten in Lüttich auf dem Boulevard d'Avroy Schüsse zu hören. Am 29. Mai um 10:30 Uhr beginnt ein Mann, zwei Polizistinnen zu verfolgen. Bis er mit einem Messer von hinten mehrmals auf die beiden Beamtinnen einsticht. Im Anschluss nimmt der Täter die Dienstwaffen der verletzten Polizistinnen an sich und zielt auf die beiden Frauen. Beide werden dabei getötet. Dann läuft er zu Fuß weiter und kommt an einem Auto vorbei, auf dessen Beifahrersitz ein 22-jähriger Mann sitzt. Der Täter eröffnet das Feuer und tötet auch ihn.
Danach dringt der Täter in das nahegelegene Athenäum ein und nimmt dort eine Bedienstete als Geisel. Diese Geiselnahme wird von einem Sondereinsatzkommando der Lütticher Polizei beendet. Der Täter geht dabei auf die Beamten los, schießt auf sie und verletzt mehrere. Die Spezialkräfte erwidern daraufhin das Feuer. Dabei wird der Täter getötet. Laut Augenzeugen soll er "Allahu Akbar" gerufen haben, "Allah ist groß". Die Föderale Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen auf wegen Terrorismusverdachts. Der IS soll später auch den Anschlag für sich reklamieren.
Schnell kann man die Identität des Täters ermitteln: Es handelt sich um den 35-jährigen Benjamin Herman aus Rochefort. Der Mann ist einschlägig vorbestraft und verbüßte gerade eine Gefängnisstrafe in der Haftanstalt von Marche-en-Famenne. Nach einem Freigang habe er sich aber nicht fristgerecht im Gefängnis zurückgemeldet.
Das sorgt naturgemäß für eine Mischung aus Befremden und Wut. Justizminister Koen Geens gerät unter Druck. Zwei Tage später wankt sein Stuhl. Im Parlament nimmt er aber seine Dienste in Schutz. Der Freigang sei nach gründlicher Prüfung genehmigt worden. Einen flagranten Fehler sehe er nicht. Und nach reiflicher Überlegung habe er beschlossen, nicht zurückzutreten, sagt Geens. Er sei nicht der Typ, der in der Krise aufgibt. Er wolle alles tun, um noch bessere Arbeit abzuliefern.
EU-Gipfel in Brüssel
Juni 2018: Wieder wird über die Migrationspolitik diskutiert, diesmal bei einem EU-Gipfel in Brüssel. Das Thema sorgt inzwischen europaweit für Verkrampfung. Geradezu stellvertretend steht da die Irrfahrt des Rettungsschiffes Aquarius, das 629 Migranten an Bord hat, aber nirgendwo anlanden darf.
In Brüssel geht es Ende Juni aber auch und vor allem um die Zukunft der deutschen Bundesregierung in Berlin. Der CSU-Innenminister Horst Seehofer hat die Bundeskanzlerin Angela Merkel unter Druck gesetzt. Wenn Angela Merkel mit leeren Händen aus Brüssel zurückkehrt, droht die deutsche Regierung zu zerbrechen. Seehofer will eine deutlich angespitzte Migrationspolitik, die in letzter Konsequenz auf sogenannte Push-Backs hinausläuft.
Diese Idee, die unter anderem von Asylstaatssekretär Theo Francken oder dem neuen italienischen Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega-Partei propagiert wird, läuft darauf hinaus, dass man Flüchtlinge oder Migranten einfach wieder dahin zurückbringt, wo sie hergekommen sind. Das widerspricht allerdings der Genfer Flüchtlingskonvention und auch der EU-Menschenrechtskonvention, zumindest in dem Moment, wo Menschen in Staaten ausgewiesen werden, in denen ihnen Folter oder andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.
Und doch gehen die Gipfelbeschlüsse erste kleine Schritte in diese Richtung. Man einigt sich etwa auf die Möglichkeit, Sammelpunkte außerhalb der EU zu schaffen und spricht auch von Anlandezentren. Dorthin sollen Migranten gebracht werden, die auf See gerettet wurden, sagt für die österreichische Ratspräsidentschaft Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Daneben geht es aber auch um die so genannte "Sekundärmigration". Gemeint sind die Bewegungen der Migranten innerhalb Europas. Und das war ja genau der Punkt, weswegen der deutsche Innenminister Horst Seehofer die deutschen Grenzen schließen wollte. "Auch dieser Punkt steht in den Gipfelbeschlüssen", betont die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Ein wirklicher Durchbruch ist das alles aber nicht. Die wichtigsten Probleme im Zusammenhang mit der Asyl- und Migrationspolitik hat die EU immer noch nicht lösen können.
Historische Fußball-WM
Viele haben in diesen Junitagen aber nur noch Augen für ein Ereignis: die Fußball-WM. Emotional wohl einer der Momente des Jahres ist, als die Roten Teufel das 3:2 gegen Japan erzielen. Der Siegtreffer fällt buchstäblich in letzter Sekunde. Das ganze Land steht Kopf. Dieses Japan-Spiel ist ein Eisbrecher. Jetzt glaubt endgültig jeder daran, dass die Fußballnationalmannschaft tatsächlich etwas reißen und vielleicht sogar Weltmeister werden kann.
Im Viertelfinale wartet allerdings das vermeintlich übermächtige Brasilien. Das Land steht wie ein Mann hinter den Roten Teufeln - und die machen die Sensation perfekt. Es weht ein Hauch von Nationalstolz durch das Land. Das ist auch dem Premier nicht entgangen. Er spüre die außergewöhnliche Begeisterung, die das ganze Land erfasst. Diese Leidenschaft und dieser Zusammenhalt legten alle Differenzen beiseite, sagt Michel.
Die tolle Leistung der Roten Teufel bei der WM habe das ganze Land mitgerissen, sagt auch König Philippe fast schwärmerisch in seiner Rede zum Nationalfeiertag. Unvergessliche Momente seien es gewesen. Natürlich weiß jeder, dass auch eine erfolgreiche WM die gemeinschaftspolitischen Streitigkeiten nicht mit einem Mal wegzaubern kann. Ein halbes Jahr später schwadroniert Bart De Wever auch schon wieder indirekt über die Spaltung des Landes. Am Ende werden die Roten Teufel bekanntlich WM-Dritte. Mehr wäre schön gewesen, historisch war es trotzdem.
Sommerabkommen
Die Föderalregierung scheint derweil den Schwung mitnehmen zu wollen. Wie es inzwischen fast schon Tradition ist, schließt sich die Koalition in diesen Juli-Wochen ein und schnürt das Haushaltspaket. Auf dem Tisch liegt aber auch noch eine ganze Reihe von neuen Reformen und Maßnahmen, über die in den letzten Wochen und Monaten schon viel diskutiert worden war. Am 24. Juli, viel schneller als gedacht, legt die Regierung "ihr" Sommerabkommen vor. "Wir haben noch einmal den Beweis erbracht, dass wir eine Reformregierung sind, die Entscheidungen treffen kann", sagt sichtlich stolz Premier Charles Michel.
Herzstück des Reformpakets ist der Jobdeal. Die Regierung will Maßnahmen ergreifen, um das Problem des Fachkräftemangels aus der Welt zu schaffen. Die wohl sichtbarste dieser 27 Maßnahmen ist eine Reform des Arbeitslosengelds. "In einer ersten Phase wird das Arbeitslosengeld angehoben", erklärt der CD&V-Vizepremier Kris Peeters. "Wenn sich der Arbeitslose dann aber nicht aktiv um einen Job bemüht, speziell mit Blick auf die Mangelberufe, dann nimmt das Arbeitslosengeld schneller ab, als das bisher der Fall ist."
Der Plan sorgt für einen regelrechten Aufschrei: Die Gewerkschaften und auch die linken Oppositionsparteien sind empört. Diese "Degressivität" des Arbeitslosengeldes werde die Menschen in die Armut treiben, toben die Kritiker.
Heute weiß man: Dieses Sommerabkommen wird erst einmal weitgehend Makulatur bleiben. Die Regierung hat nämlich nicht mehr die Möglichkeit bzw. die Zeit, es in die Tat umzusetzen.
Heißer Sommer
Der Sommer ist heiß. Es gibt knackige Temperaturen, lachende Gesichter und Menschen, die auf Terrassen die Seele baumeln lassen, Wasserratten, die es an Meer oder an die Badeseen zieht, wo man sich herrlich entspannen kann. Der Sommer 2018 in Belgien lässt Rekorde purzeln. Ende Juli werden sogar 38 Grad erwartet. "Und dann sind wir endgültig auf Rekordkurs", sagt der VRT-Wetterfrosch Frank Debosere.
Eine Hitzewelle folgt der nächsten. Irgendwann ist dieser Sommer dann aber buchstäblich des Guten zu viel. Einige Berufsgruppen wie Landwirte oder Obstbauern sprechen von einer regelrechten Katastrophe. In Flandern ist Wasser flächendeckend rationiert und zum Beispiel auch verboten, Wiesen oder Felder zu bewässern. Und auch in der Wallonie wird die Lage langsam aber sicher knifflig.
Streik bei Ryanair
Heiße Zeiten aber auch beim Billigflieger Ryanair. Ende Juli, mitten in der Hochsaison, wird das Unternehmen von einem ersten grenzüberschreitenden Streik erschüttert. In Charleroi und in Brüssel sind rund 24.000 Fluggäste betroffen. Hoher Arbeitsdruck bei dürftiger Bezahlung: Die Gewerkschaften protestieren gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Die erklären sich zum Teil dadurch, dass die Mitarbeiter in der Regel irische Arbeitsverträge bekommen.
Das irische Arbeitsrecht ist nicht so restriktiv wie etwa das belgische. Deswegen fordere man denn auch, dass die Mitarbeiter, die ihre Heimatbasis in Charleroi oder Brüssel haben, künftig belgische Arbeitsverträge bekommen sollen. Die Direktion gibt aber nicht nach. Beide Seiten graben sich in ihren Positionen ein. Zwei Monate später, Ende September, kommt es wieder zu einem Streik in sieben europäischen Ländern. Der schillernde Ryanair-Gründer Michael O'Leary verliert die Geduld: "Sie sind unseriös und Unruhestifter", giftet Ryanair-Chef O'Leary in Richtung eines Gewerkschafters. Zwar macht die Direktion letztlich Zugeständnisse, beigelegt ist der Konflikt aber immer noch nicht.
Polizist in Spa getötet
Ende August sorgt ein brutaler Mord für Entsetzen: In Spa wird mitten im Zentrum ein Polizist bei einer nächtlichen Kontrolle erschossen. "Das ist schrecklich und bringt uns auf tragische Weise wieder auf den Boden der Tatsachen zurück", sagt Innenminister Jan Jambon. Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um einen Niederländer.
Für die Polizisten ist das Maß voll. Erst die zwei Kolleginnen in Lüttich, jetzt schon ein dritter toter Beamter. Das sei nur der sichtbare Teil des Eisbergs, beklagen die Polizeigewerkschaften. Man könne nur feststellen, dass sich die Fälle von aggressivem Verhalten gegen Polizisten häuften. Das gelte im Übrigen auch für Mitglieder der Rettungsdienste. Vincent Gilles von der Gewerkschaft SLFP fordert deshalb eine Politik der Nulltoleranz.
Bei der Polizei ist offensichtlich ein Fass übergelaufen. Für Wut und Ärger sorgt auch der anhaltende Mangel an vor allem personellen Mitteln. Die Beamten haben den Eindruck, dass sie und ihre Arbeit von der Politik nicht ausreichend wertgeschätzt werden.
Kinder hinter Gittern
Hinzu kommt etwa auch der Dauereinsatz im Kampf gegen die Schleuserkriminalität. Auch den ganzen Sommer über fällt das Wort "Transitmigranten" quasi jeden Tag. Anfang September beschließt die Regierung, das Vorgehen weiter zu verschärfen. Asylstaatssekretär Theo Francken und Innenminister Jan Jambon legen einen entsprechenden Aktionsplan vor.
Quasi zeitgleich sorgt aber auch noch eine andere Maßnahme für hitzige Diskussionen. Auf Beschluss von Theo Francken werden jetzt auch Familien in geschlossenen Abschiebezentren interniert. Belgien war genau dafür in der Vergangenheit schon diverse Male verurteilt worden. "Die Familie hat alle legalen Prozeduren durchlaufen. Sie hat mehrmals versucht, unterzutauchen. Das Flüchtlingsgesetz gilt aber auch für Familien mit Kindern", rechtfertigt Francken sein Vorgehen. So umstritten die Maßnahme auch ist, die Praxis dauert bis heute an.
https://www.facebook.com/ceciledjunga/videos/coup-de-gueule-stopracisme/309535186268643/
Rassismus(förderung?)
Der eine oder andere mag hier die beiden Seiten ein und derselben Medaille sehen, aber vor allem im Sommer wird auch viel über Rassismus diskutiert. Schon Anfang Juli kommt es zu einem äußerst brutalen Zwischenfall in Anderlues in der Provinz Hennegau. Eine junge Frau wird brutal misshandelt - und das offenbar nur, weil sie Muslima ist. Die Täter reißen dem Opfer erst das Kopftuch vom Kopf, dann auch andere Kleidungsstücke, bis ihre Brust entblößt ist. Dann bringen sie der Frau auch noch diverse Stichwunden bei: im Gesicht, an den Armen und Beinen, auf der Brust. Man darf das wohl als Folter bezeichnen. Das Ganze untermalt von rassistischen bzw. islamophoben Beschimpfungen.
Presse und Opposition geben denen eine Mitschuld, die nichts lieber tun als zu polarisieren, die Menschen gegeneinander aufzustacheln. Gemeint ist damit die N-VA, genauer gesagt die Staatssekretäre für Asyl bzw. Chancengleichheit und Rassismusbekämpfung, Theo Francken und Zuhal Demir. Demir will das nicht auf sich sitzen lassen, im Parlament schimpft sie wie ein Rohrspatz. Bis sie von der Rednerin, der SP.A-Abgeordneten Monica De Coninck, zurechtgewiesen wird: "Wir sind hier nicht auf dem Marktplatz":
Diese Auseinandersetzung steht symbolisch für das politische Klima: Die Regierung rückt zusehends nach rechts und die Opposition wirft ihr vor, dadurch Rassismus zu befördern. Im September erreicht diese Debatte ihren Höhepunkt. Auf beiden Seiten der Sprachgrenze zeigt der Rassismus seine hässliche Fratze. Im frankophonen Landesteil wird die RTBF-Wetterfee Cécile Djunga wiederholt in Sozialen Netzwerken gemobbt, weil sie schwarz ist. "Ständig muss ich rassistische Anfeindungen über mich ergehen lassen", sagt Cécile Djunga. "Und jetzt habe ich es satt!"
Schild en Vrienden
In Flandern sorgt eine explosive VRT-Reportage für gewaltigen Wirbel. Im Mittelpunkt steht die Organisation "Schild en Vrienden", Schild und Freunde. Die galt bislang als "gemäßigt rechts" und wertkonservativ. Die Journalisten können aber einen Blick hinter die Kulissen werfen, bekommen Einblick in eine geheime Chatgruppe. Und dabei blicken sie in Abgründe.
Zutiefst rassistisch durchtränkte Posts, immer wieder Hakenkreuze und Fotos von Adolf Hitler, empörende Aussagen über den Holocaust oder Menschen anderer Hautfarbe. Kurz: ultrarechtes, braunes Gedankengut, das auf einen tiefsitzenden Rassismus bzw. Antisemitismus schließen lässt. Obendrauf kommt dann noch eine offensichtliche Faszination für Waffen. Die Mitglieder werden ermuntert, den Umgang mit Feuerwaffen zu trainieren. Gründer und sogenannter "Endboss" der Gruppe, das ist Dries Van Langenhove. Von dem wird später noch die Rede sein.
Die Sache ist in Flandern ein Politikum. Nicht nur, weil die Organisation gezielt Gremien unterwandert hat, wie z.B. den flämischen Jugendrat. Eine Reihe von Mitgliedern von Schild en Vrienden steht auch auf Wahllisten. Besonders die N-VA ist offensichtlich peinlich berührt, denn zwischen Schild en Vrienden und der Partei gibt es eine gewisse Nähe. Theo Francken will aber von eventuellen inhaltlichen Parallelen nichts wissen. Er könne doch nicht für die Gesinnung aller seiner Anhänger verantwortlich gemacht werden, sagt er.
Kommunalwahlen
In diesem Klima geht es an die Wahlurnen. Am 14. Oktober stehen die Kommunalwahlen an. Politisch gesehen stand das ganze Jahr schon im Schatten dieses Ereignisses. Dass die N-VA immer wieder Themen wie Identität oder die Verschärfung der Asyl- und Migrationspolitik in den Vordergrund gestellt hat, ist wohl kein Zufall. Doch geht die Rechnung nicht wirklich auf. Für die N-VA wird es nicht der erhoffte Siegeszug durch die Rathäuser. Und auch der frankophone Koalitionspartner MR war schonmal fitter. Denkzettel kassieren im Übrigen ebenfalls die Sozialisten.
Eindeutige Gewinner der Kommunalwahlen sind die Grünen, und das auf beiden Seiten der Sprachgrenze. Doch noch ein Trend: Überall im Land legen die Extreme zu. In der Wallonie und in Brüssel hat die marxistische PTB den Wind in den Segeln. Und in Flandern darf sich der rechtsextreme Vlaams Belang eindeutig zu den Gewinnern zählen. Beobachter sind sich einig, dass diese Erkenntnisse des 14. Oktober wohl die wichtigste Erklärung sind für die politischen Ereignisse am Ende des Jahres.
Wieder droht Stromknappheit
Erstmal dreht sich aber alles um Energie. Im Herbst gibt es ein Déjà-Vu. Die schlechte Nachricht aus dem Mund der Sprecherin des föderalen Planbüros: "Die Chance, dass einige Gemeinden oder Gebiete zeitweilig keinen Strom mehr haben könnten, ist größer geworden", sagt die Sprecherin. Im Winter droht wie schon vor einigen Jahren wieder ein Blackout.
Wieder liegt der Großteil der belgischen Kernkraftwerke still. Aus den verschiedensten Gründen. Die meisten Reaktoren leiden an Betonsklerose: Bunkeranlagen im nicht-nuklearen Teil der Anlagen sind baufällig. Energieministerin Marie-Christine Marghem steht enorm unter Druck. Doch sie sieht die Schuld beim Betreiber Engie-Electrabel. Und sie droht: Ihrer Ansicht nach sollen die finanziellen Auswirkungen einer möglichen Stromknappheit vom Energielieferanten übernommen werden.
Der Zustand der belgischen AKW war das ganze Jahr über ein Dauerbrennerthema. Gerade musste Doel 4 vom Netz genommen werden, nachdem der Reaktor kurz zuvor wieder angefahren worden war. Die Gefahr eines Blackouts ist nach wie vor nicht gebannt. Verhindert wurde das bislang wohl auch nur, weil die Nachbarländer den Belgiern unter die Arme gegriffen haben. Bei einer Kältewelle, die ganz Westeuropa erfassen würde, sähe das vielleicht anders aus.
Gilets jaunes
Richtig heiß ist der Herbst an der Sozialfront, da brodelt es sogar. Die Gewerkschaften protestieren immer noch gegen die Politik der Regierung. Doch sieht man plötzlich neben den Farben grün, rot und blau auch gelb in den Straßen. Aus Frankreich ist ein Protest herübergeschwappt, der von keiner Organisation ausgeht. Bürger ziehen sich Sicherheitswesten über und protestieren zunächst gegen die hohen Kraftstoffpreise. Mehr und mehr zeigt sich aber, dass es Fundamentalkritik ist, ein Protest "gegen das System". Wegen der Farbe der Sicherheitswesten spricht man von den "gilets jaunes", den Gelbwesten.
Wie in Frankreich gibt es auch in Brüssel gewaltsame Ausschreitungen, die schlimmsten am 30. November. "Geplünderte Geschäfte, zwei ausgebrannte Polizeifahrzeuge, eine Schneise der Verwüstung", beklagt sinngemäß die Sprecherin der Brüsseler Polizei. Das Signal richtet sich natürlich an die Regierung. Es ist insbesondere die Forderung nach einer Stärkung der Kaufkraft.
UN-Migrationspakt
Doch in diesen Tagen hat die Regierung ganz andere Sorgen. Die Regierung, die sich (wie gewohnt, muss man sagen) das ganze Jahr über gekabbelt hat, beginnt, endgültig den Faden zu verlieren. Den Startschuss gibt Anfang Oktober ein Österreicher: "Österreich wie auch Ungarn verwerfen den UN-Migrationspakt", sagt der Wiener Kanzler Sebastian Kurz. Bis dahin hatten nur die wenigsten von dem Pakt gehört. Das Dokument ist rechtlich nicht bindend, gilt aber als Ausdruck eines politischen Engagements. Im Wesentlichen geht es um das Bekenntnis zu internationaler Zusammenarbeit in Migrationsfragen.
Die Erklärung von Sebastian Kurz gilt allgemein als eine Art Weckruf für diejenigen, denen die eigene Souveränität wichtiger ist als internationale Verpflichtungen. Dazu gehört auch die N-VA - trotz der Tatsache, dass der UN-Migrationspakt eine zweijährige Ausarbeitungsphase durchlaufen hatte, bei der sich auch Belgien sogar aktiv eingebracht hatte. Premier Michel hatte im September sogar vor der UN-Vollversammlung feierlich versprochen, dass Belgien den Pakt annehmen würde.
Doch stellt sich die N-VA quer und gibt sich kompromisslos. Am ersten Montag des Dezembers wird es kritisch: Er werde keine Regierung unterstützen, die diesen Pakt bei der Flüchtlingskonferenz in Marrakesch gutheißen werde, droht N-VA-Chef Bart De Wever. Doch Premier Charles Michel gibt sich unbeeindruckt. Bei ihm geht es um die Wahrnehmung auf frankophoner Seite. Zu oft hat er den Eindruck vermittelt, vor der N-VA in die Knie zu gehen.
Und die Wogen glätten sich nicht mehr. Alle möglichen Kompromisse werden durchgespielt und von einer der beiden Seiten jeweils verworfen. Eine Sitzung des Ministerrates wird mehrmals verschoben. Am 8. Dezember kommt die Regierung dann doch zusammen. Eine halbe Stunde später verlassen die N-VA-Minister den Regierungstisch. Erst tritt die N-VA-Spitze vor die Kameras. Bart De Wever stellt ein neues Ultimatum: Sollte Charles Michel am Sonntag nach Marrakesch aufbrechen, dann startet er als Chef der schwedischen Regierung, er landet dann aber als Premier einer Koalition ohne die N-VA.
Orange-blau
Anderthalb Stunden später zeigt sich aber, dass Michel sich schon entschieden hat. Er könne nur feststellen, dass die N-VA die Regierung verlassen habe, sagt Michel. Und er schafft Fakten: Um den Abgang der N-VA-Leute aufzufangen, werden zwei Staatssekretäre zu Ministern gemacht. Der Bruch ist vollzogen. Aber was jetzt? Charles Michel gibt gleich zu erkennen, dass er und seine jetzt "orange-blaue" Koalition weitermachen wollen - als Minderheitsregierung.
Das Parlament verlangt aber bei erster Gelegenheit, dass diese Regierung die Vertrauensfrage stellen müsse. Eine Woche vergeht. Michel wirbt offensichtlich in erster Linie bei der N-VA um die erforderliche Unterstützung, um doch noch in einigen wichtigen Punkten eine Mehrheit zusammenzubekommen. Die N-VA stellt aber Bedingungen, die Michel lesbar ungehalten als "inakzeptabel" zurückweist.
Dienstag, 18. Dezember: Michel versucht noch einmal, das Parlament auf eine Minderheitsregierung einzuschwören. Er appelliert an das Verantwortungsbewusstsein aller und wirbt um Unterstützung. Dabei macht er bemerkenswerte, fast erstaunliche Zugeständnisse an die Opposition. Die Sozialisten und Grünen trauen dem Braten nicht. Sie beantragen ein Misstrauensvotum, um den Druck zu erhöhen. Abgestimmt würde erst 48 Stunden später.
Charles Michel wartet den offiziellen Antrag aber nicht ab und kündigt ziemlich abrupt seinen Rücktritt an. Dabei betonte er noch einmal, dass sein Appell aufrichtig und ernst gemeint gewesen sei - im Sinne der Interessen des Landes und seiner Bürger. Der König wird später den Rücktritt akzeptieren. Darüber hinaus wird festgelegt, dass keine vorgezogenen Neuwahlen einberufen werden. Dafür gibt es schlichtweg keine Mehrheit, trotz der Proteste insbesondere von N-VA und Vlaams Belang. In seiner Weihnachtsrede appelliert König Philippe an das Verantwortungsbewusstsein der politischen Klasse in ihrer Gesamtheit.
Pro Klima, Anti Migration und #metoo
Neben den Gelbwestenprotesten gab es Ende des Jahres noch zwei weitere Kundgebungen, die so ein bisschen die Windrichtung andeuten könnten: Am 2. Dezember demonstrieren 75.000 Menschen für eine entschlossenere Klimapolitik. Es ist eine Großkundgebung ohne Zwischenfälle.
Zwei Wochen später protestieren dann 5.500 Menschen gegen den UN-Migrationspakt. Hinter diesem sogenannten "Marsch gegen Marrakesch" steckt unter anderem Dries Van Langenhove, der Chef der rechtsradikalen Organisation Schild en Vrienden. Die Kundgebung gilt als eine der grimmigsten der letzten Jahre, es gibt zahlreiche Ausschreitungen.
Das Hashtag #metoo hat uns auch das ganze Jahr über begleitet: Frauen, die immer wieder auf sexuelle Übergriffe von Männern in Entscheidungspositionen aufmerksam machen oder auf sexistische oder sexuelle Zwischenfälle im Alltag. In diesem Zusammenhang sind im September auch Vorwürfe gegen den flämischen Künstler Jan Fabre laut geworden.
2019: Jahr des Stillstands?
Eigentlich viel zu tun für die Politik. Aber bis zur großen Wahl am 26. Mai ist nur noch eine geschäftsführende Regierung im Amt. Deren Handlungsspielraum ist stark eingeschränkt. Politisch dürfte 2019 auch aufgrund der Koalitionsverhandlungen nach der Wahl wohl ein Jahr des Stillstands werden.
Dabei warten einige handfeste Herausforderungen: Die USA werden als Partner immer unverlässlicher. Eine neue Finanz- und Wirtschaftskrise scheint um die Ecke zu gucken. Und dann ist da noch der Brexit, der womöglich ohne abschließende Einigung erfolgen wird. Da ist Chaos wohl vorprogrammiert. Nicht die besten Aussichten für 2019.
rop/km