"Ich habe Kinder gesehen, die in einem furchtbaren Zustand sind", sagt ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen auf Seite eins von L'Avenir. "Das muss aufhören!", so die Schlagzeile von De Morgen. Die Fotos von hungernden und verzweifelten Menschen im Gaza-Streifen, die einige Zeitungen auch heute wieder auf ihren Titelseiten veröffentlichen, sind einmal mehr schrecklich und schockierend.
Schwierig, noch neutral zu bleiben
Angesichts der humanitären Katastrophe im Gaza-Streifen können auch Journalisten nicht mehr neutral bleiben, meint Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Denn, man muss es bei dieser Gelegenheit nochmal betonen: Auch Journalisten haben ein Herz. Natürlich geht es in dem Metier in erster Linie um Fakten. Aber eben diese Fakten rufen natürlich auch Emotionen hervor. Davon abgesehen: Absolute Neutralität, das wäre ohnehin des Guten zu viel, sogar kontraproduktiv. Banales Beispiel: Wenn jemand sagt, dass es regnet und ein anderer behauptet, dass die Sonne scheint, dann es ist nicht die Aufgabe der Medien, nur eben diese beiden Standpunkte wiederzugeben, sondern sie eben auch einzuordnen. Nochmal zurück zum Gaza-Konflikt: Journalisten sind immer auf der Suche nach guten, verlässlichen Quellen. Und sämtliche Augenzeugenberichte aus dem Gaza-Streifen weisen in dieselbe Richtung, ebenso wie Berichte der Vereinten Nationen: Was im Gaza-Streifen passiert, trägt die Züge eines Völkermordes. Auf diese Weise kann man in aller Objektivität feststellen, dass es immer schwieriger wird, bei alledem noch neutral zu bleiben.
L'Echo geht in seinem Kommentar in dieselbe Richtung. Im Journalismus wie auch in der Politik gilt eigentlich die Maxime: Einen kühlen Kopf bewahren und sich nicht von Emotionen leiten lassen. Aber wie kann man seine Emotionen noch ausblenden angesichts der unerträglichen Bilder aus dem Gazastreifen, Bilder von ausgemergelten Kindern mit dünnen Ärmchen, fahlen Gesichtern und leeren Blicken, die offensichtlich am Verhungern sind. Wie kann man noch ruhig bleiben und seine Abscheu unterdrücken, wenn die israelischen Behörden den Vereinten Nationen vorwerfen, die Lebensmittelverteilung zu stören? Wenn doch an der Grenze zum Gazasreifen hunderte Lkws mit UN-Hilfsgütern darauf warten, reingelassen zu werden. All diese Emotionen sorgen dann mitunter für hitzige, politische Diskussionen, die aber eben deswegen ihr Ziel oft verfehlen. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich hier auf das Wesentliche zu fokussieren, nämlich die Nothilfe für die hungernde Bevölkerung. Das hat jetzt absolute Priorität, das muss der Kompass sein.
Frankreich erkennt Palästina an, Belgien bleibt gespalten
Darüber hinaus sorgt die Gaza-Tragödie aber auch weiter für innenpolitische Spannungen: "Die Anerkennung des Staates Palästina ist wieder zurück auf der belgischen Agenda", titelt Le Soir. "Frankreichs Palästina-Pläne haben weitreichende Folgen", so formuliert es das GrenzEcho. Denn es war der französische Präsident Emmanuel Macron, der die Diskussion wieder angestoßen hat.
Macron hat ja angekündigt, dass Frankreich im September Palästina als Staat anerkennen will. Und: "Die Anerkennung Palästinas durch Macron treibt die Spannungen innerhalb der Arizona-Koalition auf die Spitze", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. Die Koalition teilt sich einmal mehr in zwei Lager: CD&V, Les Engagés und Vooruit sind für die Anerkennung, so wie sie auch für Sanktionen gegen Israel sind; N-VA und MR reagieren in beiden Fragen zurückhaltend bis ablehnend. De Standaard bringt es mit seiner Schlagzeile auf den Punkt: "Frankreich wird Palästina anerkennen, Belgien bleibt gespalten".
Anerkennung Palästinas ist "logisch"
Die Ankündigung von Emmanuel Macron ist kein politisches Kabinettsstückchen, sondern einfach nur logisch, ist De Standaard überzeugt. Denn: Wie kann man ernsthaft für eine Zwei-Staaten-Lösung plädieren, und Palästina dann doch die Anerkennung verwehren? Das Eine geht schlichtweg nicht ohne das Andere. Ohne eine Anerkennung als Staat haben die palästinensischen Vertreter keinen Zugang zu genau den internationalen Foren, in denen über ihre Zukunft gesprochen und verhandelt wird. Davon abgesehen wäre Frankreich beileibe nicht allein: 147 der 193 UN-Mitgliedsstaaten haben Palästina bereits anerkannt. Hier geht es also nicht um ein marginales Clübchen von Weltverbesserern, sondern – mal eben – um drei Viertel der Staaten der Welt. Eben vor diesem Hintergrund von einem "anti-israelischen Akt" zu sprechen, ist schlichtweg absurd.
"Macron trifft die richtige Entscheidung", urteilt auch Het Nieuwsblad. Alle Mittel sind gut, um die himmelschreiende Situation in Gaza zu durchbrechen. Und wirklich jedes Argument gegen die Anerkennung des Staates Palästina ist inzwischen zu einer billigen Ausrede geworden. Das sei ein Geschenk für die Hamas, reagierten etwa die israelische Regierung und auch die USA. Welche Hamas denn? Was kann denn von der Organisation nach anderthalb Jahren Krieg noch übrigbleiben? Wann ist die Hamas vernichtet? Wenn kein einziger Palästinenser mehr lebt? Dann ist das kein Krieg mehr, sondern ein Völkermord. Davon abgesehen: Das größte Geschenk für die Hamas ist das Vorgehen der israelischen Armee. Extremisten müssen nicht einmal mehr Gehirnwäsche betreiben, um neue Mitglieder zu rekrutieren. Eine Anerkennung Palästinas sei nur symbolisch und würde auf dem Terrain nichts ändern, sagen andere. Aber haben dem andere Mittel irgendwas verändert? Schlimmer kann es jedenfalls nicht mehr werden. Wie gesagt: Ausreden, um genauso weiterzumachen wie bisher, nämlich tatenlos zuzusehen.
Können die westlichen Staaten noch in den Spiegel schauen?
"Empörung über die Gaza-Tragödie füllt aber auch keine Mägen", bemerkt De Tijd. Israels legitimer Versuch, die Bedrohung durch die Hamas auszuschalten, ist in eine humanitäre Katastrophe enormen Ausmaßes entartet. Das vollkommen unverhältnismäßige Vorgehen, bei dem Israel einem besetzten Gebiet sogar Nothilfe verwehrt, verstößt gegen internationales Recht. Europa beschränkt sich bei alledem auf Worte: Kritik, Verurteilungen, Appelle. Im Grunde untermauert der Alte Kontinent damit aber nur einmal mehr seinen Status als geopolitisches Fliegengewicht. Die Amerikaner machen sich unverhohlen über die europäische "Softpower" lustig. Um diesen Trend umzukehren, muss Europa lernen, sein wirtschaftliches Gewicht einzusetzen, im vorliegenden Falle in Form von Sanktionen gegen Israel. Die Alternative ist wachsende Irrelevanz.
Europa steht vor einem abgrundtiefen moralischen Bankrott, donnert L'Avenir. Die einen waren unfähig, den Terrorangriff der Hamas mit der nötigen Entschlossenheit zu verurteilen. Andere schaffen es nicht, die Unverhältnismäßigkeit und die Brutalität der israelischen Reaktion anzuprangern. In beiden Fällen spielte da auch niederes politisches Kalkül eine Rolle. Können die westlichen Staaten eigentlich noch in den Spiegel schauen? Sanktionen gegen die Regierung Netanjahu und eine Ächtung deren Vorgehens, das stellt doch nicht das Existenzrecht Israels infrage! Vielmehr wird damit einfach nur ein demokratischer Staat daran erinnert, dass solche Akte nicht ungestraft bleiben. Zu versuchen, das Unerträgliche zu stoppen, das ist nicht nur eine Frage des politischen Pragmatismus, hier geht es in allererster Linie um Werte und Würde.
Roger Pint