"Vor fünf Jahren forderte das Coronavirus bei uns die ersten Opfer und veränderte unser ganzes Leben", erinnert Gazet van Antwerpen auf seiner Titelseite. "Von Staus über das Gesundheitssystem bis hin zum Unterricht - fünf Jahre Corona: Haben wir unsere Lektionen gelernt?", fragt De Morgen. "Ist Belgien bereit, um einer neuen Covid-Krise die Stirn zu bieten?", macht sich auch La Libre Belgique Gedanken über die gezogenen Lehren.
Vor fünf Jahren stürzte Belgien ins Unbekannte, schreibt L'Avenir in seinem Leitartikel, unser Leben wurde auf den Kopf gestellt. Lockdown, kein Unterricht mehr, nicht-essenzielle Geschäfte geschlossen, Homeoffice, wir verbarrikadierten uns zu Hause - so wie auch unsere europäischen Nachbarn. Für einige von uns war das der Beginn eines langen Leidens, für andere aber war es eine Gelegenheit, sich Gedanken zu machen über unser Gesellschaftsmodell und die Lehren, die man aus der Pandemie ziehen konnte. Viele haben sich damals Gedanken über "die Welt danach" gemacht - eine Welt, in der man weniger reisen würde, in der Solidarität und der Planet Prioritäten sein würden, in der das Allgemeinwohl über den individuellen Interessen stehen würde. Was ist fünf Jahre danach davon übriggeblieben? Viele der ehrgeizigen Vorsätze sind wie Schnee in der Sonne geschmolzen. Aber man sollte auch nicht vergessen, dass Corona bewiesen hat, was wir im Angesicht von Katastrophen leisten können. Diese Widerstandskraft ist sicher eine der wichtigsten Lektionen aus der Pandemie - auch für die aktuellen Krisen. Wir mögen es zwar nicht geschafft haben, "die Welt von morgen" zu bauen. Aber nichts hindert uns daran, über "die Welt von übermorgen" nachzudenken, appelliert L'Avenir.
Mehr Transparenz und Aufarbeitung
Das GrenzEcho beklagt, dass die Fehler der Coronakrise nicht ausreichend benannt und aufgearbeitet worden sind. Der wohl größte Fehler war die gesellschaftliche Spaltung, die bereits vorher existierte, durch die Pandemie jedoch massiv vertieft wurde. Corona hat gezeigt, wie fragil unser Zusammenhalt ist. Die Bereitschaft, unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren und konstruktiv zu diskutieren, hat seither weiter abgenommen.
Mehr Transparenz und ehrliche Aufarbeitung wären entscheidend gewesen. Wer Vertrauen zurückgewinnen will, könnte genau hier ansetzen: mit Offenheit darüber, wie in dieser beispiellosen Krise Entscheidungen getroffen wurden, wünscht sich das GrenzEcho.
Fünf Jahre nach Corona eine neue Krise
Fünf Jahre nach dem Ausbruch der Coronakrise erleben wir wieder eine neue Krise, unterstreicht Het Nieuwsblad. Aber anders als bei Corona ist der Feind deutlich diffuser. Russland, klar. Aber in welcher Rolle? Als Aggressor, der weit weg ist? Oder doch als tatsächliche physische Bedrohung? Was ist mit den Vereinigten Staaten unter Trump? Und was mit China, das still und heimlich seine Macht ausbaut? Es gibt auch keine klare Perspektive über ein Ende der Krise, keinen Impfstoff. Aktuell lautet das Mantra: Wiederbewaffnen. Aber mit welchem Ziel? Wird das reichen, um Russland abzuschrecken? Und was danach? "Eine Art neuer Kalter Krieg? Oder müssen wir wirklich einen neuen militärischen Konflikt fürchten, zum Beispiel an der Ostgrenze Europas?", so Het Nieuwsblad.
Es sind astronomische Summen, stöhnt La Dernière Heure. In den kommenden vier Jahren muss Belgien 17 Milliarden Euro finden, um sich gegen ein immer aggressiveres Russland zu wappnen. Staatliche Anteile an Betrieben zu verkaufen, wird dafür nicht reichen, schon jetzt ist klar, dass auch der Steuerzahler zur Kasse gebeten werden muss. Aber bevor den Bürgern wieder in die ohnehin schon ziemlich leeren Taschen gegriffen wird, sollte die Regierung erst einmal die Misswirtschaft in der Armee angehen. Denn jedes Jahr verkaufen die Streitkräfte Fahrzeuge, die kaum genutzt worden sind. Diese Verschwendung ist symptomatisch für das Missmanagement der Landesverteidigung. "Sinnlose Anschaffungen müssen aufhören und existierende Ressourcen müssen besser genutzt werden", fordert La Dernière Heure.
Atomare Aufrüstung
Dass große Krisen zu großer Kreativität führen, hat schon die Coronakrise gezeigt, hält De Standaard fest. Und auch dieser Tage erleben wir das wieder. Verblüffend schnell entstehen Ideen, die noch vor zwei Wochen absolut undenkbar waren. Kaum ist die Militarisierung Europas eine beschlossene Sache, denkt Premierminister Bart De Wever sie schon durch bis zur letzten Konsequenz: Eigene europäische Atombomben, weil der französische nukleare Schutzschirm nicht reichen würde. Es ist ein Signal, wie sich die Zeiten geändert haben, dass Europa aus dem Schatten des Zweiten Weltkriegs tritt und sich mental und emotional von den Vereinigten Staaten löst. "Wir beginnen eine neue Phase des Europäischen Projekts. Hoffen wir, dass wir auch die richtigen Führer dafür haben", mahnt De Standaard.
Es ist gleichzeitig beeindruckend und besorgniserregend, wie schnell sich geopolitische Positionen verschieben, merkt De Morgen an. Aber ist die Forderung nach eigenen europäischen Atomstreitkräften nicht etwas übertrieben, Herr Premier, selbst angesichts der aktuellen Weltlage? Natürlich entbehrt es nicht einer gewissen Logik, wenn De Wever sagt, dass eine glaubwürdige europäische Abschreckung auch Kernwaffen braucht. Besonders mit Trump im Weißen Haus. Für eine gute Idee muss man das dennoch nicht halten: Europas geopolitisches Problem stellt sich kurzfristig mit der Amtszeit Trumps. Die Entwicklung und Anschaffung eigener Kernwaffen wäre hingegen eine langfristige und mit Unsicherheiten behaftete Angelegenheit. Ganz zu schweigen von den enormen Ausgaben, die dafür nötig wären. Ausgaben, die zwischenzeitlich viel sinnvoller für die Landesverteidigung eingesetzt werden könnten. Dazu kommt das Risiko, dass Europa damit den Startschuss geben könnte für ein neues Wettrüsten. "Und Europa hat ja noch nicht mal eine gemeinsame Kommandostruktur", kritisiert De Morgen.
Mit Frankreich und Großbritannien hat Europa schon jetzt genug Atomwaffen, um große Teile Russlands in Schutt und Asche zu legen, führt Gazet van Antwerpen aus. Auch wenn Großbritannien natürlich nicht mehr zur EU gehört. Aber offenbar reicht das nicht: Europa will mehr militärische Garantien und weniger Abhängigkeit von Briten und Franzosen. Denn im Fall der Fälle wären es noch immer die Führer dieser Staaten, die über den Einsatz der Nuklearwaffen entscheiden würden, ohne dass der Rest von Europa ein Mitspracherecht hätte. Das ändert nichts an den praktischen und auch ethischen beziehungsweise politischen Problemen, die eine europäische atomare Bewaffnung mit sich bringen würde. "Eines ist jedenfalls sicher: Auf die leichte Schulter darf so eine Entscheidung nicht genommen werden", betont Gazet van Antwerpen.
Boris Schmidt