"Die Stunde der Wahrheit", titelt Le Soir. "Vivaldi 2 oder De Wever 1 – Sie haben die Wahl", schreibt Gazet Van Antwerpen auf Seite eins. "Wie stark wird der Rechtsruck werden?", fragt sich in ihrem Aufmacher die Wirtschaftszeitung De Tijd.
Einen Tag vor dem Superwahlsonntag drehen sich fast alle Aufmachergeschichten und Leitartikel der Zeitung um die anstehenden Wahlen.
De Standaard glaubt: Wir stehen vor einer Zeitenwende, einer Veränderung von Paradigmen. Dem Vlaams Belang wird ein hoher Sieg vorausgesagt. Dieser Vlaams Belang hat sein Gesicht verändert. Zu Beginn des Wahlkampfs schien er noch eine fast normale Partei zu sein. Am Ende des Wahlkampfs ist er zu einem Klub von Extremisten geworden mit bösen, harten Standpunkten zu ethischen Fragen, über die man eigentlich mit Feingefühlen reden muss. Menschlicher Respekt ist dem Vlaams Belang fremd. Rassisten und Neofaschisten treiben in der Partei ihr Unwesen. Am Sonntagabend wird die Zeitenwende ein Fakt sein. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Politiker, die Regierungsverantwortung übernehmen, gut gerüstet sind, um diese neue Epoche zu gestalten, notiert De Standaard.
Sternstunde für Tom Van Grieken
Het Belang van Limburg zweifelt: Wird es wirklich der schwärzeste Sonntag, den wir jemals hatten? Werden wir uns an dem 9. Juni 2024 in 30 Jahren noch erinnern, als den Wendepunkt in der Geschichte Belgiens? Wenn es so kommt, wie die Umfragen voraussagen, wird der Vlaams Belang am Montag versuchen, eine flämische Regierung zu bilden. Eine Sternstunde für Parteivorsitzenden Tom Van Grieken. Solange bis N-VA-Vorsitzender Bart De Wever tatsächlich das tut, was er in den vergangenen Wochen wiederholt angekündigt hat, wovon man aber nicht weiß, ob er das machen wird, nämlich: Dem Vlaams Belang die kalte Schulter zu zeigen, analysiert Het Belang van Limburg.
Het Laatste Nieuws blickt zurück: 2019, kurz nach den Wahlen war der Vlaams Belang in der Wählergunst bereits zu Flanderns Nummer Eins geworden. Alle anderen Parteien wollten die Popularität der Partei durch gutes Regieren schmälern. Das hat nicht geklappt. Viele Wähler des Vlaams Belang sind sauer darüber, dass keiner mit der Partei regieren möchte. Wir als Zeitung finden, dass es dafür schon gute Gründe gibt und der Vlaams Belang im Wahlkampf kein Niveau gezeigt hat. Aber bitte: Sie, der Bürger sind der Souverän. Sie dürfen am Sonntag allein in der Wahlkabine abstimmen, wie Sie wollen. So funktioniert Demokratie, meint Het Laatste Nieuws.
"Wichtigste" Wahl fast vergessen
La Libre Belgique warnt: Die Kopfschmerzen könnten am Tag nach den Wahlen groß sein. Nicht nur, weil der 9. Juni dann wegen des großen Erfolgs des Vlaams Belang in die Geschichte eingegangen sein wird. Sondern weil für alle Parteien nach den Wahlen irgendwann das Alltagsgeschäft wieder beginnt. Und da droht eine Frage, der fast alle Parteien im Wahlkampf tunlichst aus dem Weg gegangen sind. Nämlich die Frage, wie die unhaltbare Situation der öffentlichen Finanzen verbessert werden kann. Je länger die Parteien damit warten, Lösungen dafür zu finden, desto schmerzhafter werden die Maßnahmen werden, die eines Tages getroffen werden müssen, prophezeit La Libre Belgique.
De Morgen schreibt: Bei allen Debatten über die Wahlen in Flandern und zum Föderalparlament sind die Europawahlen in den Hintergrund gerückt. Dabei haben die Stimmen, die die Wähler dort abgeben werden, das größte Gewicht. Denn die 22 Belgier, die wir am Sonntag ins Europaparlament wählen, werden mit darüber entscheiden können, wie Europa wichtige Weichen für die Zukunft von uns allen stellt. An Themen mangelt es nicht. Von den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt über die Stärkung der europäischen Wirtschaft, den Umgang mit Klimawandel, Einwanderung und Künstlicher Intelligenz bis hin zur immer älter werdenden Gesellschaft und einer möglichen Erweiterung der EU - all das muss von der neuen Mannschaft im Europaparlament angegangen werden. Erfolg wird sie dabei nur haben, wenn auch ihre Wähler nicht vergessen, wofür Europa steht. Nämlich für Demokratie, Friede, Freiheit und Wohlstand, unterstreicht De Morgen.
Es könnte sehr schnell gehen
Das GrenzEcho kommentiert zu den Wahlen zum Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft: Weil die Regierung aus ProDG, SP und PFF diesmal ohne klare Koalitionsaussage in die Wahlen geht, ist das Rennen um die Sitze im PDG so spannend und offen wie schon lange nicht mehr. Müssen wir uns deshalb auf lange Gespräche einstellen, wenn die Ergebnisse einmal da sind? Nicht unbedingt - es könnte auch sehr schnell gehen, weil niemand der Beteiligten Gefahr laufen möchte, "daneben gesetzt" zu werden, überlegt das GrenzEcho.
Le Soir stellt fest: Viele Bürger stellen sich die Frage, warum sie überhaupt noch wählen gehen sollen. Unsere Antwort: Weil jede Stimme zählt. Sie kann dazu führen, dass eine Partei, ein Politiker, ein gesellschaftliches Projekt gewinnt oder verliert. Eine Wahl ist der Moment, wo der Bürger Politik nicht erleidet, sondern gestalten kann. Am Sonntag verteilen Sie die Karten. Warum darauf verzichten?, fragt Le Soir.
Kay Wagner