"Historischer Urnengang für die Türkei", titelt De Morgen. "Türkischer Präsident Erdogan kämpft ums Überleben", heißt es im Aufmacher von De Standaard. "Türkischer Thriller auf dem Weg in die zweite Runde", schreibt Het Belang van Limburg auf Seite eins.
Gleich mehrere Zeitungen richten ihre Aufmerksamkeit gespannt auf die Präsidentschaftswahlen in der Türkei. In den Leitartikeln und Kommentaren spielt das Thema allerdings noch keine Rolle. Hier beschäftigen sich die Zeitungen meist mit den Parteikongressen der flämischen Parteien N-VA, OpenVLD und Groen vom vergangenen Wochenende.
Het Belang van Limburg beobachtet: Bis zu den nächsten Wahlen dauert es noch mehr als ein Jahr. Aber trotzdem hat der Wahlkampf mit dem Wochenende schon begonnen. Das, was auf den Veranstaltungen von OpenVLD, Groen und N-VA zu hören war, lässt daran keinen Zweifel. Der Ton ist bei allen der gleiche. Jede Partei versucht, sich von den anderen Parteien zu distanzieren. Die Devise lautet ab sofort: Jeder für sich selbst. Dabei gilt es noch ein Jahr lang, zusammen mit den anderen zu arbeiten, erinnert Het Belang van Limburg.
Antipolitik
Het Nieuwsblad notiert: Besonders zwischen OpenVLD und N-VA ist der Ton sofort rau geworden. Beide Seiten haben aufeinander eingedroschen. Mittlerweile scheint das zum guten Stil in der Politik zu gehören. Frei nach dem Motto: Schuld ist immer der andere. Dieser Negativismus ist allerdings für nichts gut, außer um Applaus von seinen Parteifreunden zu bekommen. Wähler kann man damit kaum gewinnen. Die wollen Parteien, die selbstbewusst für irgendetwas stehen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass viele frustrierte Wähler ihr Glück bei den extremen Parteien suchen. So wie die etablierten Parteien sich verhalten, kultivieren sie selbst die Antipolitik, analysiert Het Nieuwsblad.
Gazet van Antwerpen untermauert das mit Zahlen: Im Vergleich mit den Wahlen von 2019 kommen sowohl N-VA als auch OpenVLD und Groen in der Wählergunst auf niedrigere Prozentwerte. Der Vlaams Belang hingegen kann gut sechs Prozent hinzugewinnen. Zwischen dem Verlust der einen und dem Zugewinn der anderen liegt ein Zusammenhang. Die Wähler sind enttäuscht von den politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre. Sie glauben nicht mehr daran, dass die zurzeit regierenden Parteien die wirtschaftlichen Probleme lösen können. Das kann der Vlaams Belang wahrscheinlich auch nicht. Er hat allerdings den Luxus, keine Kompromisse machen zu müssen, weil keiner mit der Partei regieren will, betont Gazet van Antwerpen.
Wieder einmal Konföderalismus – gähn…
Le Soir hält fest: Die flämischen Parteien haben am Wochenende zu den Flamen gesprochen. So muss man die verschiedenen Äußerungen werten. Es geht darum, die politische Landschaft in Flandern zu bearbeiten. Dort besteht seit den letzten Wahlen eine klare Trennung zwischen Rechts und Links. Auf der einen Seite ein linker Block aus Vooruit, PVDA und Groen. Auf der anderen Seite ein Block aus Rechten und Rechtsextremen, aus N-VA und Vlaams Belang. Dabei wird die N-VA alles daransetzen, so viele Wähler wie möglich von der OpenVLD und CD&V zu gewinnen, um unabhängig vom Vlaams Belang zu bleiben. OpenVLD und CD&V werden sich natürlich dagegen wehren. Man darf sich auf einen heißen Wahlkampf in Flandern einstellen, prophezeit Le Soir.
La Dernière Heure beschäftigt sich mit der erneut von N-VA-Chef Bart De Wever geäußerten Forderung nach einem Konföderalismus und notiert: Bart De Wever holt sein altes Steckenpferd wieder hervor. Jetzt will er seinen ach so geliebten Konföderalismus gerade mit der PS verwirklichen. Eine Mini-Regierung zwischen PS und N-VA auf föderaler Ebene und viel Macht den Regionen. Da kann man nur gähnen. Bart De Wever vergisst, dass man dafür die Zweidrittelmehrheit in der Kammer benötigt. Die hat er in den vergangenen 20 Jahren nicht bekommen. Warum sollte es jetzt klappen?, zuckt La Dernière Heure gelassen mit den Schultern.
Piña Colada zum Vergessen
Het Laatste Nieuws blickt auf den Eurovision Song Contest von Samstagabend zurück und stellt fest: Mit Gustaph hat sich Belgien von seiner besten Seite gezeigt: fröhlich, professionell und inklusiv. Es war ein Genuss, ihn auf der Bühne zu sehen, freut sich Het Laatste Nieuws.
De Morgen meint: Der ESC dieses Jahr war ein guter Gratmesser für den Zustand der europäischen Seele. All der Glitzer, das ausgeflippte Kreischen und die getunten Stimmen kann man mit einem übergeordneten Begriff beschreiben: Eskapismus. Es gibt anscheinend ein großes Bedürfnis, sich in Extravaganz zu flüchten. Selbst in den etwas ruhigeren Songs ging es inhaltlich fast immer ums Vergessen. Deshalb wäre es passend gewesen, wenn tatsächlich Finnland gewonnen hätte mit einem durchgeknallten Lied, in dem es darum geht, Piña Colada zu trinken, um sich nicht länger vor der Welt fürchten zu müssen. Stattdessen hat eine nichtssagende Ballade gewonnen. Aber auch das ist irgendwie bezeichnend, resümiert De Morgen.
Kay Wagner