"Energie-Krise: Es wird heiß auf allen Ebenen", titelt Le Soir. "Gas-Krieg", notiert De Standaard auf Seite eins. "Städte schalten das Licht aus", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws.
Die Herausforderungen der aktuellen Energie-Krise greifen viele Zeitungen auch in ihren Leitartikeln auf. Le Soir richtet dabei den Blick auf die Europäische Union und ruft "Hallo Europa? Ist jemand zu Hause?" Alle warten darauf, dass die EU endlich etwas tut. Zeit genug dafür hatte sie. Sowohl im März als auch im Mai und Juni haben verschiedene EU-Gipfel die EU-Kommission aufgefordert, konkrete Vorschläge im Kampf gegen die Energie-Krise vorzulegen. Bislang vergeblich. Ergebnis: Zurzeit versucht jedes Land sich auf seine Weise durch die Krise zu manövrieren. Jeder will jetzt Ausnahmen für sich, von Gemeinschaft keine Spur. Die Kommission macht sich durch ihr langes Zögern schuldig, ärgert sich Le Soir.
Strukturelle Lösungen aus Europa
De Tijd beobachtet: Alle Augen richten sich auf den EU-Energie-Gipfel am kommenden Freitag und die Rede von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur Lage der Union am 14. September. Danach muss es Lösungen geben. Mehrere Vorschläge liegen auf dem Tisch: Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis, ein europäischer Preisdeckel für Energie, eine europäische Definition von Übergewinn, damit dieser Übergewinn dann extra besteuert werden kann, Verpflichtungen für die Mitgliedsstaaten, ihren Energie-Verbrauch zu senken. Jeder von diesen Vorschlägen hat Vor- und Nachteile, aber klar ist: Es muss etwas geschehen, unterstreicht De Tijd.
Auch L'Echo findet: Tatsächlich müssen strukturelle Lösungen jetzt von Europa kommen. Wunder darf man dabei nicht erwarten. Aber ohne richtungsweisende Entscheidungen geht es nicht. Das wird auch unseren belgischen Politikern helfen, endlich wirkungsvoll zu handeln. Das haben sie bislang nicht getan. Die Ergebnisse des Konzertierungsausschusses am vergangenen Mittwoch waren auch wegen fehlender Klarheit aus Europa sehr enttäuschend, erinnert L'Echo.
L'Avenir zeigt sich ebenfalls enttäuscht von der belgischen Regierung und fragt rhetorisch: Besteht die Rolle eines Staates nicht darin, zuallererst die Schwächsten aller Bürger zu schützen? Natürlich wissen auch wir, dass die Staatskassen nicht gut gefüllt sind. Aber gerade die untersten Einkommensschichten brauchen jetzt finanzielle Hilfe vom Staat. Energie ist mittlerweile für immer mehr Familien zu einem Luxusgut geworden. Immer mehr können sich diesen Luxus nicht mehr leisten, behauptet L'Avenir.
Geldquelle für die Regierung
La Dernière Heure hat eine Idee für mehr Geld in der Staatskasse und berichtet: Zurzeit fahren Tausende von Belgiern lieber 30 Kilometer nach Frankreich, um dort billiger zu tanken als 500 Meter von ihrer Haustür entfernt. Das ist aus zwei Gründen schlecht: Erstens erreicht Belgien damit nicht sein Ziel, den CO2-Ausstoß zu senken. Zweitens entgehen dem Staat Einnahmen bei jedem Liter, der nicht in Belgien getankt wird. Damit verzichtet die Regierung auf Einnahmen, mit denen sie die Haushalte entlasten könnte. Denn die Regierung könnte eine ähnliche Preispolitik wie Frankreich führen und für niedrigere Preise an der Tankstelle sorgen, rät La Dernière Heure.
Mehrere flämische Zeitungen beschäftigen sich mit dem Vorhaben, eine Hochspannungsleitung von der Küste über Westflandern ins Landesinnere zu bauen. Das Projekt trägt den Namen Ventilus und ist in Westflandern höchst umstritten. Am Freitag waren Mitglieder der flämischen Regionalregierung in Westflandern, um sich ein Bild vor Ort zu machen.
De Morgen kommentiert: Objektiv und rational gedacht, ist Ventilus absolut notwendig. Denn irgendwie muss die Energie, die in den Windparks vor der belgischen Küste gewonnen wird, ja ins Landesinnere gelangen. Bei dem großen Widerstand der Bevölkerung gegen das Projekt wird Ventilus jetzt aber zur Zerreißprobe für die Regierung. Genehmigt man den Bau, treibt man die Wähler zu den extremen Parteien. Verschiebt man wieder das Projekt, ist gerade in der aktuellen Energiekrise niemandem geholfen, unterstreicht De Morgen.
Der Strommast vorm Haus
Het Laatste Nieuws analysiert: Ventilus ist vor allem ein Problem für die CD&V. Westflandern ist die letzte Bastion der Partei. Wenn sie in Regierungsverantwortung jetzt gegen den Willen der Westflamen handelt, wird auch diese CD&V-Bastion fallen, prophezeit Het Laatste Nieuws.
Het Nieuwsblad erinnert: Menschen finden Veränderungen immer dann gut, solange sie selbst nicht davon betroffen sind. Von Ventilus sind jetzt viele Menschen betroffen. Und selbst ein eingefleischter Grüner wäre sicher nicht übermäßig begeistert, plötzlich einen Strommast vor seinem Haus stehen zu haben. Aber wir alle müssen uns darauf einstellen, mit Veränderungen zu leben. Anders wird die Energie-Versorgung in Belgien nicht klappen. Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen zwingen uns zu diesen Veränderungen. Sie hinauszuzögern, so wie die flämische Regierung das am Freitag getan hat, weil sie jetzt noch einmal über Ventilus nachdenken will, ist kontraproduktiv, urteilt Het Nieuwsblad.
Kay Wagner