"Ab dem 1. Oktober tragen Sie die Mundschutzmaske sehr wohl noch: in Zug, Tram, Bus, beim Arzt, im Altenheim, beim Friseur - und nicht mehr: bei der Arbeit, im Café oder Restaurant, in den Geschäften, bei kleinen Veranstaltungen", so die große Überschrift bei Gazet van Antwerpen. Das sind die neuen föderalen, also landesweit einheitlichen Grundregeln zur Mundschutzmaskenpflicht. Die Teilstaaten dürfen aber nach eigenem Ermessen strenger in ihrem Zuständigkeitsbereich sein. Was das bedeutet, bringt La Dernière Heure auf den Punkt: "Flandern befreit, die Wallonie vorsichtig, Brüssel bestraft", liest man hier. "Auch die DG will die Maskenpflicht lockern", ergänzt das GrenzEcho.
Gegen den Rat der Experten
Der Rat des Expertengremiums GEMS, das die politisch Verantwortlichen berät, war deutlich: Die Mundschutzmaskenpflicht sollte soweit wie möglich beibehalten werden, außerdem sollte auf bessere Belüftung gesetzt und ein Notfallplan erstellt werden, falls sich die Corona-Zahlen im Winter stark verschlechtern, erinnert Gazet van Antwerpen. Letzteres, damit bei Bedarf schnell reagiert werden kann. Nun ja, die Masken bleiben, wenn auch in begrenztem Umfang. Das Covid-Safe-Ticket wird nur für Großveranstaltungen und Diskotheken vorgeschrieben. Positiv festzuhalten ist, dass die Teilstaaten nach eigenem Gutdünken strenger sein können. Das ist unter den gegebenen Umständen vollkommen gerechtfertigt. Von einem Notfallplan haben wir beim Konzertierungsausschuss leider nichts gehört, obwohl das sicher keine schlechte Idee wäre. Noch scheint die Situation halbwegs unter Kontrolle. Aber falls sie kippen sollte, ist wohl wieder Improvisieren angesagt, kritisiert Gazet van Antwerpen.
Vereinfacht gesagt bleibt das Tragen von Mundschutzmasken in bestimmten, genau definierten Situationen Pflicht. Für den Rest kann jeder die Maßnahmen selbst entscheiden und modifizieren, resümiert Le Soir. Die Politik hat es also nicht geschafft, die gemeinsame Front der verschiedenen Ebenen des Landes aufrechtzuerhalten, obwohl die Gesundheitsexperten genau das empfohlen hatten. Die politische Energie wird also in Zukunft nicht mehr auf die Schaffung und Anwendung einer gemeinsamen Strategie verwandt werden, sondern auf die "Jagd" auf die Ungeimpften. Die sind nämlich am Freitag von Premierminister De Croo bei der Pressekonferenz nach dem Konzertierungsausschuss zum Staatsfeind Nummer 1 erklärt worden. Die kommenden Tage werden zeigen, was die neue Strategie bringt. Es ist aber schwierig, zu glauben, dass das Virus sich an die Grenzen der Regionen halten wird, ist Le Soir skeptisch.
Die Politik hat sich also schlussendlich für Lockerungen entschieden, obwohl die Experten noch davon abgeraten hatten, konstatiert La Dernière Heure. Aber während der Impf-Grad in Flandern und in der Wallonie eine Rückkehr zu einem fast schon normalen Leben erlaubt, leidet Brüssel weiter unter seinen schlechten Impf-Zahlen. Mehr denn je scheint der Weg ins Reich der Freiheit über die Impfung zu führen, unterstreicht La Dernière Heure.
Harte Worte reichen nicht: Das Problem an der Wurzel packen!
Die Ungeimpften wurden vom Premierminister auf die Anklagebank gesetzt, schreibt L'Avenir. Für De Croo gefährden sie das Leben Anderer, diese Situation sei weder hinnehmbar noch haltbar. Auch der Brüsseler Ministerpräsident Rudi Vervoort nahm kein Blatt vor den Mund: Die Freiheit, sich nicht impfen zu lassen, bedeute, den Anderen die Rückkehr zum normalen Leben zu verweigern, sagte er. Noch ist keine Rede von einer allgemeinen Impf-Pflicht. Für das Gesundheits- und Pflegepersonal hingegen soll die Verpflichtung möglichst schnell kommen. Impf-Verweigerer in diesen Sektoren sollten aufpassen: Wenn sie sich nicht beugen, finden sie sich nicht auf der Anklagebank wieder, sondern vor der Tür, warnt L'Avenir.
Auch Het Belang van Limburg greift die Aussagen De Croos und Vervoorts auf: Diese legen nahe, dass beide genau wissen, dass allein harte Worte wahrscheinlich nicht reichen werden. Der Konzertierungsausschuss wird Mitte Oktober erneut zusammenkommen. Falls die Zahlen in Brüssel und der Wallonie sich bis dahin nicht spektakulär verbessert haben, dann ist eine allgemeine Impfpflicht vielleicht nicht länger undenkbar, glaubt Het Belang van Limburg.
Probleme mit dem Impf-Grad sehen wir vor allem in den großen Städten wie Brüssel, aber auch Antwerpen, analysiert Het Nieuwsblad. Das liegt nicht daran, dass es dort mehr Impf-Gegner gibt. Sondern daran, dass hier, relativ betrachtet, mehr Menschen leben, die keinerlei Verbindung zur belgischen Gesellschaft haben. Anderssprachige, sozial und wirtschaftlich Abgehängte, Menschen in prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen, nicht selten auch Personen, die in der Illegalität leben. Diese Menschen wird die Politik mit scharfen Predigten nicht erreichen. Auch nicht über die belgischen Medien und sicher nicht über Pressekonferenzen nach Konzertierungsausschüssen. Selbst das Covid-Safe-Ticket hätte in diesen Bevölkerungsschichten nur einen sehr begrenzten Effekt. Was es braucht, sind Menschen, die von Haus zu Haus, von Tür zu Tür gehen, um auf die Ungeimpften zuzugehen, sie persönlich anzusprechen und zu überzeugen. Das geschieht zwar teilweise schon, aber es ist ein langsamer Prozess. Hierfür braucht man einen langen Atem, aber es gibt keine Alternative zu dieser absolut notwendigen Vorgehensweise. Wenn die Corona-Krise eines Tages mal vorbei ist, müssen Lehren daraus gezogen werden, dass es in den Städten so große Bevölkerungsgruppen gibt, die isoliert vom Rest der Gesellschaft leben. Es muss darüber nachgedacht werden, wie sie an Bord geholt werden können, fordert Het Nieuwsblad.
Hochwasser: Verwaltung(en) mitverantwortlich
Das GrenzEcho greift in seinem Leitartikel die dritte Sitzung des Untersuchungsausschusses des Wallonischen Parlamentes zur Hochwasser-Katastrophe auf: Dabei wurden der Leiter des Wetterdienstes des Königlichen Meteorologischen Instituts und der Direktor der Wasserverwaltung der Wallonischen Region angehört. Besonders das Exposé und die Antworten von Letzterem ließen viele wichtige Fragen offen und verwiesen bei anderen auf weitere Dienststellen von Region und Provinz. Aber bereits jetzt wird deutlich, dass nicht nur die außergewöhnlichen Niederschläge, sondern auch Haltung und Handeln der zuständigen Verwaltung(en) für das Desaster von Mitte Juli mitverantwortlich waren. Man kann angesichts der menschlichen Opfer nur hoffen, dass die erforderlichen Konsequenzen und Lehren gezogen werden, so das GrenzEcho.
Auch De Standaard blickt auf den wallonischen Untersuchungsausschuss: Nach Katastrophen so eines Ausmaßes gilt, herauszufinden, was genau passiert ist. Wer wann welche Informationen hatte, welche Instrumente vorhanden sind, um diese Informationen zu interpretieren - kurzum: die Schwachstellen zu identifizieren. Wenn die richtigen Lehren gezogen und sie beim zukünftigen Handeln auch berücksichtigt werden, können heftige Regenfälle dadurch vielleicht nicht verhindert, aber der menschliche Preis geringer gehalten werden. Was hingegen keinen Sinn macht, ist, solche Ausschüsse für die Suche nach Schuldigen benutzen zu wollen, mahnt De Standaard.
Boris Schmidt