"Umfrage: Vlaams Belang, stärkste Kraft in Flandern", titelt heute Le Soir. "Vlaams Belang größte Partei", ist auch bei Het Laatste Nieuws zu lesen. Außerdem steht in der Wallonie ja seit Donnerstag die neue Regierung. Für die Leitartikler vieler Zeitungen sind die Geschehnisse dieser Woche Anlass für eine ausgiebige Analyse der belgischen Politik.
"Die Hindernisse auf dem Weg des neuen Dreier-Bündnisses in der Wallonie sind zahlreich", stellt Le Soir mit Blick auf die Koalition aus PS-MR und Ecolo fest. Ecolo ist wackelig, die Partei ist für die Mehrheit nicht nötig. Die grünen Minister müssen sich besonders hervortun, um ihre Anwesenheit zu rechtfertigen. Und die beiden Partner PS und MR warten nur darauf, dass sie dabei versagen und wieder an Wählern verlieren. Die PS steckt fest zwischen dem Vormarsch der PTB und der ausgestreckten Hand der N-VA auf nationaler Ebene. Die MR wiederum muss aufpassen, dass es bei einer Wahl eines neuen Vorsitzenden nicht wieder zu internen Konflikten kommt. Außerdem ist die Gefahr schwarz: Unsere Umfrage für heute sieht in Flandern den Vlaams Belang vorne, stellt Le Soir fest.
Ein aufrichtiges "Fuck you" der unzufriedenen Flamen, ein ausgestreckter Mittelfinger – so sieht Het Laatste Nieuws diese neuesten Umfrageergebnisse. Und dennoch ist das Signal zu heftig, als dass es ignoriert oder relativiert werden könnte. Ein Blick auf die anderen flämischen Parteien: Die N-VA kommt in der Umfrage noch auf 22 Prozent. Der Wähler scheint es strenger, härter und rechter zu wollen. Muss Theo Francken eigentlich beunruhigt sein von dieser Umfrage? Dann ist da noch die CD&V, die sich mit elf Prozent der Bedeutungslosigkeit annähert. Und die SP.A mit acht Prozent: Liegen die Sozialisten im Koma oder sind die schon klinisch tot?, fragt Het Laatste Nieuws provokativ.
Es wird Zeit für eine Föderalregierung
Gazet van Antwerpen blickt auf die nationale Ebene, genauer gesagt auf das Ringen der beiden wichtigsten Parteichefs des Landes, nämlich Bart De Wever und Elio Di Rupo. Di Rupo ist Ministerpräsident einer Regenbogen-Koalition in der Wallonie. De Wever ist Bürgermeister der größten Stadt Flanderns. Alle beide sind Unterhändler ihrer Parteien für eine Föderalregierung und haben sich in ihren jeweiligen Regionen eine gute Stellung gesichert. Da am Schachbrett sitzen zwei schlaue Politiker, die sich schon seit Jahren gegenüberstehen. Zwei Strategen, die das politische Spiel in- aus auswendig kennen. Rund 100 Tage nach den Wahlen mag so ein Schachspiel für Politikanalysten interessant sein, aber für die meisten Belgier ist es einfach an der Zeit, dass eine Regierung gebildet wird, schließt Gazet van Antwerpen.
L'Echo konzentriert sich auf die Wallonie. Die Wallonie muss mehr und mehr alleine klarkommen. Die europäischen Geldtöpfe werden sich erschöpfen und der belgische Föderalstaat wird immer kleiner, während Flandern mehr und mehr Autonomie anstrebt. Politisch wird die regionale Ebene deshalb immer wichtiger. Das Kabinett der jetzt gebildeten wallonischen Regierung zeigt, dass die Parteien das verstanden haben. Denn sie haben ihre politischen Schwergewichte nominiert.
Endlich Geschlechterparität
Für die Wallonie ist es die letzte Chance. In fünf Jahren werden ihre finanziellen Mittel deutlich schrumpfen, weil dann das Gesetz der zuletzt beschlossenen Staatsreform anfängt zu greifen. Die Verluste belaufen sich auf rund 60 Millionen Euro jährlich. Die einzige Möglichkeit, dem zu begegnen, liegt darin, wirtschaftliche Aktivität und Beschäftigung zu schaffen. Das ist nun die Aufgabe der Regierung Di Rupo, analysiert L'Echo.
La Libre Belgique freut sich darüber, dass endlich einmal nahezu gleich viele Männer und Frauen in der wallonischen Regierung vertreten sind. Es stimmt schon, dass das nicht ganz dem Wahlergebnis entspricht: Es wurden mehr Männer als Frauen ins Parlament gewählt, obwohl gleich viele Männer und Frauen zur Wahl standen. Aber wenn es nun Usus wird, dass in allen wichtigen Funktionen Geschlechterparität herrscht, können wir davon ausgehen, dass auch das Wahlvolk irgendwann denselben Weg gehen wird. Vielleicht ist es dann irgendwann auch nicht mehr nötig, am 8. März den Tag der Rechte der Frauen zu begehen, hofft La Libre Belgique.
Wir bezahlen mit Blankoscheck
De Tijd beschäftigt sich mit dem Phänomen, dass persönliche Daten mehr und mehr eine Art Wahrung sind. Das Smartphone ist eine Blackbox, wir wissen nicht, wie viele persönliche Daten an wen weitergegeben werden. Diese Debatte ist dabei nicht neu. Wir wissen schon lange, dass wir bei Gratisdiensten mit Daten bezahlen. Aber wir wissen meist nicht, mit welchen Daten und mit wie vielen und wie lange. Anders gesagt: Das Problem ist nicht per se, dass persönliche Daten die Währung sind, sondern dass allerorts mit einer Art Blankoscheck bezahlt wird.
Hintergrund von diesem Problem ist ein unausgewogenes Kräfteverhältnis. Man muss sich das vorstellen wie ein Rennen, bei dem der Verbraucher mit dem Fahrrad fährt, die staatlichen Regulierer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und die Firmen aus dem Silicon Valley mit dem Formel-1-Wagen. Es sind in letzter Zeit gute Schritte in die richtige Richtung unternommen worden. Zum Beispiel mit der Europäischen Datenschutzverordnung. Aber der Weg ist noch weit, konstatiert De Tijd.
Peter Eßer