"Limburg hat Chancen auf drei Minister in der neuen flämischen Regierung", titelt Het Belang van Limburg. "Verbot von Öl- und Gasheizungen in Neubauten könnte kommen", heißt es im Aufmacher von De Tijd. "Jan Jambon: Der 'Hardliner' verwirklicht seinen Traum", schreibt De Morgen auf Seite eins.
Besonders die flämischen Zeitungen beschäftigen sich am Mittwoch ausführlich mit dem Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen N-VA, CD&V und OpenVLD zur Bildung einer neuen Regierung in Flandern. Am Dienstag hatte ein erstes Treffen der Unterhändler stattgefunden. Ab Mittwoch soll hinter verschlossenen Türen über die Inhalte gesprochen werden.
Die Chinesische Mauer ist durchbrochen
De Morgen zieht in seinem Leitartikel eine erste Bilanz der Regierungssuche in Flandern und hält fest: Die größte Erkenntnis der vergangenen Wochen ist, dass der Vlaams Belang als möglicher Regierungspartner nicht mehr von vornherein ausgeschlossen wird. Aufschlussreich waren in dieser Hinsicht die Worte, mit denen N-VA-Chef Bart De Wever begründete, warum er keine Koalition mit den Rechtsextremen vom Vlaams Belang versuchen wollte. Erstens, so De Wever, gebe es keine dritte Partei, die einer Koalition aus N-VA und Vlaams Belang zur Mehrheit verhelfen würde. Zweitens sei der Vlaams Belang selbst noch nicht bereit zum Regieren. Beides kann sich ändern. Das Signal von De Wever ist auf jeden Fall gewesen: An der N-VA lag es nicht – sie ist zur Zusammenarbeit mit dem Vlaams Belang bereit. Die Chinesische Mauer, die den Vlaams Belang bislang ausgegrenzt hat, ist durchbrochen, analysiert De Morgen.
Het Laatste Nieuws hat sich mit der siebenseitigen Note beschäftigt, die Bart De Wever als Grundlage für die Koalitionsverhandlungen verfasst hat. Die Zeitung stellt fest: Erstaunlicherweise ist über Klimapolitik kaum etwas zu lesen in dieser Note. Dabei hatte es doch in den Monaten vor den Wahlen den Anschein, als ob die Protestbewegungen für eine bessere Klimapolitik dazu führen würden, dass keine Partei mehr am Thema Klima vorbeikommt und diesem Thema großes Gewicht zukommen würde in den kommenden Regierungsprogrammen. Gerade junge Menschen hatten sich dafür eingesetzt. Sie alle werden enttäuscht. Statt eine bessere Klimapolitik zu bekommen, sollen die jungen Menschen jetzt einen Kanon über die flämische Identität lernen. Also zum Beispiel Daten, Ereignisse und Personen aus der Geschichte Flanderns, die zur Formung der "flämischen Nation" geführt haben. Schade, dass Klimapolitik darin nicht vorkommt, findet Het Laatste Nieuws.
Seinem Traum ordnet De Wever auch besseres Wissen unter
Auch Het Nieuwsblad beschäftigt sich mit diesem "Kanon" und führt aus: Grundsätzlich spricht nichts gegen einen solchen Kanon. Aber "Identität" lässt sich nicht nur durch den Rückblick in die Vergangenheit formen. Sondern auch durch Gemeinsamkeiten, die man in der Gegenwart teilt, und durch Projekte, die man für eine gemeinsame Zukunft entwirft. Das bietet der Kanon, den Bart De Wever vorschlägt, allerdings nicht, bedauert Het Nieuwsblad.
Kritisch äußert sich auch Het Belang van Limburg: Bart De Wever will die sogenannte flämische Identität dazu nutzen, um über den flämischen Kanon das öffentliche Leben zu politisieren. Bis in das Schulwesen, bis in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk soll der Kanon wirken. Dadurch sollen die Menschen lernen, dass Flandern immer schon eine eigenständige Nation war, mit eigener Geschichte und eigener Identität. Der Historiker Bart De Wever weiß selbst nur allzu gut, dass das nicht stimmt. Doch seinem Traum, eines Tages ein unabhängiges Flandern zu erleben, ordnet er diese Erkenntnis unter, stichelt Het Belang van Limburg.
De Standaard berichtet mit Blick auf den französischsprachigen Landesteil: Im frankophonen Belgien hat die Idee eines flämisch-nationalistischen Kanons einen Schock ausgelöst. Die sicherlich nicht unberechtigte Angst besteht, dass dadurch der Graben zwischen Flandern und dem Rest des Landes noch größer wird. Diese Analyse ist sicher richtig, doch wo bleibt die Reaktion der Frankophonen? Sie wollen den belgischen Staat erhalten. Aktuell sind es aber gerade frankophone Parteien, die die Bildung einer Föderalregierung blockieren. Über einen wie auch immer gearteten Konföderalismus wollen sie nicht sprechen. Ihnen fehlt eine Strategie. Den Kopf einfach in den Sand zu stecken, löst die Probleme nicht, weiß De Standaard.
Auch Politiker haben Pflichten
La Dernière Heure ärgert sich, dass es bei der Bildung einer Föderalregierung nicht vorangeht und notiert: Einige rufen jetzt nach Neuwahlen. Aber warum? Die Belgier haben doch gewählt. Und jetzt ist es an den Politikern, aus dem Ergebnis etwas zu machen. Jeder Bürger hat Pflichten, das gilt auch für Politiker. Unser Land ist für die typischen Kompromisse bekannt, die wir schließen können – also ran an die Sache, fordert La Dernière Heure.
Auch La Libre Belgique gibt sich zuversichtlich: Lösungen gibt es, schreibt die Zeitung. Ohne die N-VA? Das wagen die anderen flämischen Parteien nicht. Mit der N-VA? Das lehnt die PS ab. Mit der Zeit werden sich aber Lösungen aufzwingen. Irgendwann muss man auch mal wieder an die Arbeit gehen, erinnert La Libre Belgique.
Kay Wagner