"PS und Ecolo: Jetzt wird verhandelt", so die Schlagzeile von L'Avenir. "PS und Ecolo stürzen sich in ein bisher nie gesehenes Abenteuer", titelt Le Soir.
Die Sozialisten und Grünen schalten jetzt also einen Gang höher. Ab jetzt wird tatsächlich über den sogenannten "Klatschmohn" verhandelt. Diesen Begriff hatte ja der Ecolo-Co-Vorsitzende Jean-Marc Nollet Anfang dieser Woche in den Raum gestellt. Gemeint ist damit eine rot-grüne Regierung, die aber um die Zivilgesellschaft erweitert werden soll. Das erstmal schon während der Verhandlungen. So soll bereits eine Synthese-Note, die die groben Leitlinien des Koalitionsabkommens enthalten soll, der Zivilgesellschaft unterbreitet werden. Und am Ende des Weges soll die Regierung ebenfalls für Nicht-Politiker geöffnet werden. Rein politisch betrachtet bleibt es aber immer noch eine Minderheitsregierung, da PS und Ecolo zusammen keine Mehrheit haben. Wie Le Soir berichtet, hofft man offensichtlich weiterhin auf die Unterstützung zumindest von Mitgliedern der CDH. Das alles heißt aber auch im Umkehrschluss, dass die MR bis auf Weiteres an der Seitenlinie bleibt. Entsprechend ungehalten reagieren denn auch die Liberalen. "Der 'Klatschmohn', das ist ein Weg, um die Demokratie und das Wahlergebnis zu umschiffen", sagt etwa die MR-Spitzenpolitikerin Christine Defraigne auf Seite eins von La Libre Belgique.
Die Grille und die Ameise
Der Rückgriff auf die Zivilgesellschaft ist wohl nicht mehr als ein Vorwand, meint L'Echo in seinem Leitartikel. Zunächst wird damit aber das traditionelle Kräfteverhältnis in einer Demokratie mal durchgeschüttelt. Neben den drei Gewalten gibt es ja noch die Wachhunde. Und dazu zählt eben diese ominöse "Zivilgesellschaft": Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen und andere Vereinigungen von engagierten Bürgern. Im Normalfall werden diese Gruppen konsultiert. Ecolo will sie jetzt miteinbeziehen. Der Punkt ist: Das mag vielleicht aus Überzeugung geschehen, wirkt im vorliegenden Fall aber wie ein strategischer Winkelzug. Sozialisten und Grüne hoffen wohl, über diesen Weg eine Art gesellschaftlichen Konsens zu suggerieren, der dann Parlamentarier anderer Parteien überzeugen könnte, die Minderheitsregierung zu unterstützen. Da könnten Ecolo und PS sich aber kräftig auf die Nase legen, nämlich dann, wenn sie am Ende doch gezwungen werden, die MR mitzunehmen. Und wer glaubt allen Ernstes, dass die Liberalen mal einfach so ein Koalitionsabkommen unterschreiben würden, das hinter ihrem Rücken ausgehandelt wurde?
Der eine oder andere mag wohl trügerische Sommergefühle haben, warnt Le Soir. Sonne, das Ende der Prüfungen, gepackte Koffer: Ferienzeit eben. Und da mag sich der eine oder andere sagen: "Och, dann können wir ja mal ein bisschen experimentieren". Konkret: Dann haben wir ja Zeit, mal eine "Klatschmohn"-Konstellation durchzuexerzieren. Das Ganze erinnert irgendwie an die Fabel von der Grille und der Ameise: Während die Ameise gearbeitet und für den Winter vorgesorgt hat, glaubte die Grille, alle Zeit der Welt zu haben und keine Vorräte anlegen zu müssen. Jetzt mal konkret: Wir haben keine Zeit! Spätestens im September warten große Herausforderungen: der Haushalt und das Klima, um nur die wichtigsten zu nennen. In beiden Bereichen muss Belgien bei der EU-Kommission Pläne einreichen, die Hand und Fuß haben sollten. Bezeichnend: Die CSC-Generalsekretärin Marie-Hélène Ska, die doch eigentlich Teil der famosen "Zivilgesellschaft" ist, meinte beißend: "Wir wollen keine Ministerposten, wir wollen Entscheidungen".
Drama in Flandern
Flandern ist derweil schockiert angesichts eines tragischen Unglücks: "Brent starb wegen eines Fehlers auf einem Blatt Papier", titelt Het Laatste Nieuws. Es ist so: Vorgestern Abend wurde in Aarschot ein Auto von einem Zug erfasst. Der junge Brent kam dabei ums Leben. Nur hat sich herausgestellt, dass die Sicherheitsprozedur am Bahnübergang nicht funktioniert hat. Im Klartext: Die Schranken waren oben. Nur: Das war kein technisches Problem. Laut Het Laatste Nieuws hätte der Lokführer wissen müssen, dass die Schranken offenstanden. Die Anordnung, entsprechend langsam zu fahren, ist aber irgendwie nicht bei ihm angekommen. "Der Lokführer war nicht informiert über die Notprozedur", schreibt auch Het Nieuwsblad.
"Außer Spesen nichts gewesen"
Einige Zeitungen beschäftigen sich mit dem Posten-Poker bei der EU. Den Staats- und Regierungschefs ist es ja bei ihrem Gipfel in Brüssel nicht gelungen, sich auf die Besetzung der Spitzenjobs zu einigen. Insbesondere muss ja ein neuer EU-Kommissionspräsident benannt werden. Nach Lesart des Parlaments kann das nur einer der Spitzenkandidaten werden, am ehesten Manfred Weber, der für die EVP ins Rennen gegangen war, die nach wie vor stärkste Kraft im Parlament ist. Die Staats- und Regierungschefs konnten sich aber auf keinen dieser Spitzenkandidaten verständigen. Und hier zeigt sich einmal mehr das demokratische Defizit der EU, kritisiert De Standaard. Die Gefahr ist groß, dass am Ende Politiker auf Verantwortungspositionen gehievt werden, von denen der Bürger noch nie gehört hat. Das fördert nicht wirklich die Identifizierung mit den europäischen Idealen.
Das GrenzEcho sieht das ähnlich: "Außer Spesen nichts gewesen", moniert das Blatt. Das Ganze erinnert irgendwie an den Untergang der Titanic. Beim Dinner in Brüssel streiten sich 28 Staats- und Regierungschefs über die Besetzung der Spitzenposten. Währenddessen kreuzen amerikanische Kampfbomber im Golf von Oman und werden in letzter Minute von Donald Trump gestoppt. Zweimal nichts passiert, möchte man fast erleichtert sagen. Die EU braucht drastische Reformen, damit sie eben nicht tatenlos oder als halb gezwungener, halb freiwilliger Handlanger der USA, als Trittbrettfahrer der Weltgeschichte, von Krise zu Katastrophe mitgeschleppt werden muss.
Roger Pint