"Der Parteivorsitz von Charles Michel sorgt intern für Kritik", titelt La Libre Belgique. "Umfrage sagt der MR ein Desaster voraus", so die Schlagzeile des GrenzEcho. "Charles Michel verspricht eine Steuerreform im Gegenwert von zehn Milliarden Euro", schreibt L'Echo auf Seite eins.
Drei Schlagzeilen, die eine Feststellung erlauben: Der Wahlkampf hat definitiv begonnen. Vielleicht hat auch das Politbarometer von La Libre Belgique und De Standaard den entscheidenden Anstoß gegeben. Demnach droht den frankophonen Liberalen bei der Wahl vom 26. Mai ein Waterloo. Der amtierende Premierminister und MR-Vorsitzende Charles Michel geht am Donnerstag jedenfalls in die Offensive. In L'Echo verspricht er eine Senkung der Steuerlast auf Arbeit und eine weitere Minderung der Lohnnebenkosten. Das Ganze soll dafür sorgen, dass in den nächsten fünf Jahren 250.000 neue Arbeitsplätze entstehen.
Kristof Calvo, neuer Buhmann von Bart De Wever
Auf flämischer Seite produziert N-VA-Chef Bart De Wever wieder Schlagzeilen: "De Wever hat einen neuen Buhmann gefunden, in Person von Kristof Calvo". Dieser Kristof Calvo ist Fraktionschef der flämischen Grünen in der Kammer. Angesichts der von den Umfragen prognostizierten "grünen Welle" ist es nicht mehr grundsätzlich auszuschließen, dass der nächste Premier vielleicht ein grüner wird; vielleicht eben dieser Kristof Calvo, schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Das würde einen Tsunami an neuen Steuern zu Folge haben", warnt De Wever unter anderem in Het Laatste Nieuws. Er sprach in diesem Zusammenhang sogar von einem "Albtraum".
"Die Angst regiert", stellt Het Laatste Nieuws leicht ironisch in seinem Leitartikel fest. Wenn sich bei Bart De Wever der Angstschweiß auf der Stirn zeigt, dann weiß man: Das Theaterfestival, auch "Wahlkampf" genannt, hat nun definitiv begonnen. Endlich, muss man sagen. Bis zum 26. Mai dürfte alles also nur noch größer und grotesker werden: Horrorvisionen, Untergangsprophezeiungen, eine apokalyptische Schlacht zwischen Rechts und Links. Und der Leibhaftige vom Dienst, das ist nach dem Willen von Regisseur De Wever, jetzt also Kristof Calvo. Nicht schlecht für einen jungen Mann, der die Nummer zwei von einer Acht-Prozent-Partei ist.
Für Bart De Wever sind alle Schreckgespenster gut genug, um die Mittelklasse doch noch Richtung N-VA zu orientieren. Dabei wäre die Panikmache eigentlich gar nicht nötig gewesen. Hätte die Mitte-Rechts-Regierung, also auch die N-VA, ihre Arbeit richtig gemacht, dann wäre der Haushalt jetzt im Gleichgewicht und dann müssten wir nicht über neue Steuern sprechen.
De Wevers Albträume sind strategischer Natur
Gazet van Antwerpen sieht das genauso. Jetzt hat De Wever also die Grünen zum neuen Erzfeind erklärt, mit Namen eben Kristof Calvo. Das Schreckgespenst eines Premierministers Calvo, der der Mittelschicht das Geld aus den Taschen zieht, das kann der N-VA bestimmt zusätzliche Stimmen bringen. Ganz unbegründet sind die Vorwürfe aber nicht. Die Programme der linken Parteien können tatsächlich so aussehen, als würden sie der Mittelschicht wehtun. Nur muss man sagen: Die Schwedische Koalition war auch kein Erfolg auf der ganzen Linie - und sie ist am Ende chaotisch auseinandergeflogen.
Sogar De Wevers Albträume sind strategischer Natur, stichelt Het Nieuwsblad. Die N-VA kann offensichtlich nicht ohne ein Feindbild. Und Kristof Calvo hat da das perfekte Profil. Der Mann hat nicht nur großes Talent, sondern auch ein Händchen dafür, N-VA-Wähler auf die Palme zu bringen. Und bei der N-VA sagt man sich: Was mit der PS geklappt hat, sollte auch mit den Grünen funktionieren. De Wever seinerseits träumt von einer Mitte-Rechts-Koalition. Seltsam nur, dass er aus eben einem solchen Bündnis vor einigen Wochen selbst den Stecker gezogen hat.
Nord und Süd driften weiter auseinander
Het Belang van Limburg analysiert seinerseits einige Vorschläge von linken Parteien. Die Sozialisten etwa wollen das Renteneintrittsalter wieder auf 65 Jahre absenken. Auch plädieren sie, wie im Übrigen die Grünen, für eine Verlagerung der Steuerlast von der Arbeit weg in Richtung des Kapitals. Wenn man sich all das so anschaut, dann dürfte es wohl sehr schwierig werden, nach der Wahl noch eine föderale Koalition zusammen zu bekommen.
Das GrenzEcho macht eine ähnliche Analyse, hat dabei aber das große Ganze vor Augen. Während sich Flandern laut den letzten Umfragen weiter nach rechts orientiert, geht die Wallonie den umgekehrten Weg nach links. Natürlich entscheidet am Ende der Wähler. Sollten sich die Umfragewerte aber bestätigen, dann dürfte es kein Zuckerschlecken werden, auf föderaler Ebene ein Bündnis zu schmieden. Nord und Süd driften jedenfalls immer weiter auseinander. Und das spielt am Ende nur den Konföderalisten in die Karten.
Ein frischer Wind, der sich zum Sturm entwickeln kann
La Dernière Heure sieht das genauso. Die Versprechen der Sozialisten und Grünen könnten teuer werden. Und während die Wallonie zunehmend nach links driftet, scheint in Flandern die N-VA mehr denn je unumgänglich zu sein. Ein Sieg der Grünen und der Sozialisten könnte dem konföderalistischen Traum der N-VA neuen Nährboden geben. Die Umfragen prognostizieren einen frischen Wind, der sich aber nach der Wahl zum Sturm entwickeln kann.
De Tijd hält das alles aber immer noch sinngemäß für Theater. All die schönen Versprechen. Ob nun von rechts oder von links. Dabei ist die unangenehme Wahrheit doch die: Die nächste Regierung wird schmerzhafte Einschnitte vornehmen müssen. Auch die Regierung Michel hat den Haushalt nicht ins Gleichgewicht gebracht. Und keine Partei sagt uns, wie man die Löcher bis 2021 zu stopfen gedenkt. So erbittert der Kampf zwischen Rechts und Links auch geführt wird, niemand will dem Wähler offensichtlich reinen Wein einschenken. Einziger roter Faden in diesem Wahlkampf ist, dass alle Parteien Angst haben, die Wahrheit auszusprechen.
Roger Pint