"Das Zeugnis der Föderalregierung", titelt Le Soir. Het Nieuwsblad verspricht auf seiner Titelseite: "Ein Zeugnis für alle Minister und Parteichefs". "Die Zahlen nach fünf Jahren Regierung Michel", schreibt De Tijd auf Seite eins.
Wie unschwer schon an den Überschriften zu erkennen, ist für viele Zeitungen jetzt die Zeit, um Bilanz zu ziehen. De Standaard greift mit seiner Schlagzeile schon etwas vor: "Die Regierung Michel: eine einmalige, aber verpasste Chance auf Veränderung". Einige Bewertungen dann doch mal aufgedröselt: Le Soir gibt dem amtierenden Premierminister Charles Michel immerhin noch 62 Prozent. De Standaard gibt ihm sogar 63 Prozent.
In Het Nieuwsblad hingegen kommt der MR-Chef nicht so gut weg: Die Zeitung gibt ihm 46 von 100 Punkten. Einige amtierende oder ehemalige Minister bekommen demgegenüber überall recht gute Noten. Das gilt etwa für Jan Jambon, Alexander De Croo und Koen Geens. Einige frankophone MR-Minister hingegen schneiden vergleichsweise schlecht ab. Das gilt in erster Linie für Energieministerin Marie-Christine Marghem, die in allen drei Zeitungen die Klassenletzte ist. De Tijd beurteilt ihrerseits zunächst die Leistung der ganzen Equipe: "Wo stehen wir nach fünf Jahren?", fragt sich das Blatt im ersten Teil einer Artikelserie, die in den kommenden Tagen fortgesetzt wird. Die Antwort in Form einer Schlagzeile: "Charles Michel wollte mit Siebenmeilenstiefeln das Land neu aufstellen, aber er hatte nur klobige Treter an".
Die Latte gerissen
Es ist ein strenges Zeugnis geworden, so fasst Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel seine Analyse zusammen. Wir haben versucht, gute Arbeit zu würdigen, wir haben aber auch auf verpasste Chancen und regelrechte Debakel hinweisen wollen, so die Zeitung. Am Ende ist es aber der Wähler, der sich eine Meinung bilden und dann auch entsprechend seine Stimme abgeben sollte.
Einige Blätter formulieren ihre Bilanz etwas weiter aus: Die ehemals vier Regierungsparteien sollten sich dessen bewusst sein, dass sie hinter ihren Zielen zurückgeblieben sind, mahnt De Tijd. Sie hatten die Latte hochgelegt, haben sie aber gerissen. Und warum haben sie ihre Reformen nicht durchgezogen? Weil sie wohl keine unmittelbare Dringlichkeit gesehen haben. Frei nach dem geflügelten Wort von Altpremier Jean-Luc Dehaene: "Man muss die Probleme erst lösen, wenn sie sich stellen." In Belgien beginnt man also erst, das Dach zu reparieren, wenn es schon durchregnet. Das ist schade. Denn die wirtschaftlichen Grunddaten waren eigentlich vergleichsweise günstig. Dieser Hang dazu, die notwendigen Dinge aufzuschieben, der wird uns irgendwann noch mal sauer aufstoßen.
Der Blick nach (noch weiter) vorn
De Standaard denkt denn auch schon einen Schritt weiter: Wieso sollte das beim nächsten Mal besser werden?, fragt sich das Blatt. Einige scheinen ja von einer Neuauflage der Schwedischen Koalition zu träumen. Dabei haben doch gerade auf flämischer Seite die drei Koalitionspartner den jeweils anderen nicht einmal das Schwarze unter den Fingernägeln gegönnt. Selbst wenn die Koalition aus flämischen Nationalisten, Liberalen und Christdemokraten fortgesetzt werden kann, vielleicht mit Hilfe der CDH, dann sollte man vielleicht etwas demütiger an die Sache herangehen. Die Ziele sollten aber dieselben sein: mehr Jobs, weniger Schulden, eine bessere Klimapolitik und eine zukunftsorientierte Pensionspolitik.
Het Belang van Limburg blickt noch weiter nach vorn, nämlich ins Jahr 2024: Es war PS-Chef Elio Di Rupo, der dieses Jahr ins Spiel gebracht hatte, als er für eine Reform des Finanzierunggesetzes plädierte. Nicht ohne Grund, meint die Zeitung. Die Sechste Staatsreform sieht vor, dass die Geldtransfers vom Norden in den Süden des Landes ab 2024 schrittweise reduziert werden. Wenn die Wallonie jetzt also nicht schnell die Kurve kriegt, dann droht dem Süden des Landes auf Dauer Atemnot. Die Frage ist, ob die PS-Rezepte wie eine Senkung des Rentenalters auf 65 Jahre oder die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich da wirklich die richtigen sind. Vielleicht hoffen die frankophonen Sozialisten ja auf ein Osterwunder.
Was für ein bedauerliches Schlamassel
Bemerkenswerte Schlagzeile auf Seite eins von Le Soir: "Transportminister François Bellot droht mit einem Ende des Monopols bei der Flugaufsicht", schreibt das Blatt. Im Visier des MR-Ministers ist hier natürlich die Flugaufsicht Skeyes, das frühere Belgocontrol. In den letzten Wochen war es ja mehrmals zu nächtlichen Sperrungen des Luftraums gekommen. Hintergrund ist wohl der Sozialkonflikt in dem Unternehmen. Für die Flughäfen, insbesondere die, die auf Frachtflüge spezialisiert sind, entwickelt sich das Ganze aber zur regelrechten Katastrophe. Deswegen eben auch die Drohung unter anderem von François Bellot, nach dem Motto: So kann es nicht weitergehen.
Seit einigen Tagen haben wir hier verkehrte Welt, meint Le Soir in seinem Leitartikel. Denn was sehen wir? Die wallonische Wirtschaftswelt und frankophone Politiker, die Sturm laufen gegen den Streik einer flämisch dominierten Gewerkschaft bei Skeyes. Aber mal ehrlich: Die andauernden Sperrungen des Luftraums sind insbesondere für den Liege Airport ein regelrechter Albtraum. Die Fluglotsen ihrerseits wollen offensichtlich die Butter und das Geld für die Butter: Mit ihrem Berufsstatut und ihrem Gehalt gehören sie zu den Privilegierten, führen ihre Streikaktionen aber im Grunde nach dem Vorbild ihrer Arbeit – in einem Kokon, fernab von der realen Welt. Und sie sorgen letztlich dafür, dass ein Bereich, der eigentlich im öffentlichen Interesse liegt, am Ende vielleicht sogar privatisiert wird. Was für ein bedauerliches Schlamassel.
Roger Pint