In die Politik gekommen sei er "rein zufällig", erzählt uns Bernd Gentges, als wir ihn zu Hause am Eupener Rosenweg besuchen - nicht weit vom Stadtzentrum und doch mitten in der Natur. Seine Frau Lore, erzählt er, sei immer zu Fuß zur Schule gegangen, wo sie Unterricht gab - so wie anfangs auch er. Bis der Zufall ins Spiel kam und er "Sonderbeauftragter" wurde: im Kabinett des liberalen Finanzministers und stellvertretenden Premierministers Willy De Clercq. "Kollegen an der Schule hätten mich vorgeschlagen und meinten, ich wäre der richtige Mann dafür. Dann habe ich mir das ein paar Tage überlegt und letztendlich angenommen. So bin ich eigentlich Anfang 1973 erst richtig dazugekommen."
Hinter dieser parteipolitischen Ernennung steckte das Ansinnen, den in Ostbelgien dominierenden Christlich-Sozialen in Brüssel nicht das Feld zu überlassen: Von Januar 1973 bis zur Einsetzung eines eigenen Kulturrates im Oktober war der Kelmiser CSP-Abgeordnete Willy Schyns in der Regierung unter dem sozialistischen Premier Edmond Leburton Staatssekretär für die Ostkantone und für Tourismus. "Es ist dazugekommen eigentlich, dass die Parteipräsidenten bei der Ernennung von Leburton der Meinung waren und bei der Ernennung von Willy Schyns, dass die anderen Parteien auch einen Berater in den Kabinetten haben sollten. Das war ich dann für die Liberalen, Johann Weynand war Kabinettschef bei Willy Schyns und das war Ferdi Dupont im Kabinett von Premierminister Leburton. Wir waren also ein Ausgleich für die Stärke der CSP in diesem Fall."
Mitglied im Ostbelgienkabinett
Sehr gut verstanden habe er sich trotz des Altersunterschieds von 20 Jahren mit dem CSP-Politiker Johann Weynand, der vorher Gemeindesekretär von Elsenborn war, wo Bernd Gentges herkommt. "Mein Vater war übrigens der letzte Bürgermeister der Gemeinde Elsenborn, sodass ich die Leute alle sehr gut kannte. Ich war eigentlich sehr gut mit Albert Gehlen befreundet und habe mich dann sehr stark mit Johann Weynand angefreundet in den nächsten Jahren, vor allem später im Innenministerium bei Joseph Michel damals, wo wir das Ostbelgien-Kabinett gebildet hatten, bis 1977, als die Liberalen aus der Regierung geschieden sind, dann war das für mich vorläufig ein Ende meiner Tätigkeit in Brüssel."
Vorher sollte seine politische Karriere in der ostbelgischen Heimat Fahrt aufnehmen: Bernd Gentges war einer von sechs Vertretern der PFF, die aufgrund des Parteien-Proporzes aus den vorangegangenen Kammer- und Senatswahlen am 23. Oktober 1973 dem neu eingesetzten Rat der deutschen Kulturgemeinschaft angehörten. "Für die Gruppe der Wahlmänner der Kandidatenliste Numero zwo - Partei für Freiheit und Fortschritt: Herr Cornely Hermann, Herr Dejozé Felix, Herr Fatzaun Joseph, Herr Gentges Bernd, Herr Pip Heinz, Herr Reinertz Wilhelm." "... Wir waren alle eigentlich für eine Direktwahl. Aber das war damals nicht möglich, sodass wir ernannt wurden aufgrund eines Proporzes, der auch in Frage gestellt wurde. Ich habe mir anhören müssen, wie einer sagte, dass die Liberalen sowieso keine Rolle mehr spielten in der Deutschsprachigen Gemeinschaft, in einer Sitzung von einem flämischen Abgeordneten. Und das hat dann nicht den Tatsachen entsprochen. Denn wir waren immerhin noch sehr präsent damals."
Vier Mandate nach erster Direktwahl
Da war schon klar, dass es sich bei diesem ersten Kulturrat um ein Übergangsparlament handeln würde: Am 10. März 1974 stand zusammen mit den belgischen Parlamentswahlen die erste Direktwahl des RdK an - darin blieb die PFF mit noch vier Mandaten vertreten. "Herr Gentges, es gab ja im Verlaufe des Abends noch eine freudige Überraschung für Sie nach dem vielleicht etwas negativen Abschneiden oder dem zumindest tiefer liegenden Abschneiden der PFF: Es gibt einen vierten Sitz für Sie im Rat der deutschen Kulturgemeinschaft: Wie beurteilen Sie das?" "Ja, natürlich ist das für uns eine freudige Überraschung, wir hatten nicht mehr damit gerechnet und unsere Freude darüber ist natürlich sehr groß. Es hat einige Enttäuschung gegeben natürlich über das relativ schlechte Abschneiden. Aber ich kann noch einmal betonen: Wenn man berücksichtigt, dass man vor einem Jahr gesagt hat von der PFF, dass sie überhaupt nicht mehr existiere, dann ist dieses Resultat trotzdem noch bemerkenswert", so Bernd Gentges am Wahlabend im BHF-Interview mit Peter Thomas.
"Wir waren auch sehr zufrieden mit dem Resultat, obschon ich mit meinem eigenen Resultat nicht zufrieden war. Das muss ich auch heute noch sagen. Aber gut, ich war Spitzenkandidat und hatte mir mehr erhofft, was mein Resultat anging." Bernd Gentges blieb Mitglied des Rates der deutschen Kulturgemeinschaft und des Ostbelgienkabinetts. Die Regierungsstellen in Brüssel spielten bis zur Bildung einer eigenen "Exekutive" im Jahr 1984 eine wichtige Rolle. " ... auch als Verbindung zu den föderalen Instanzen, die ja das letzte Wort hatten in diesen Angelegenheiten, die uns betrafen, denn wir konnten die Entscheidungen treffen. Aber ausgeführt wurden sie ja von der Föderalregierung, von den zuständigen Ministern. Das war denn in diesem Fall zuerst der Innenminister, der zuständig war, und später andere Minister."
Steckenpferd Unterrichtswesen
In dieser Funktion setzte sich Bernd Gentges auch für ganz praktische Fragen ein. "So konnten wir Deutschsprachigen, die kein Abitur in deutscher Sprache haben, nicht hier ernannt werden in der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Ich unterrichtete damals am Robert-Schuman-Institut, meine Frau auch und wir konnten nicht ernannt werden, weil unsere Diplome nicht in deutscher Sprache waren. Jetzt bekam ich den Auftrag, einen Unterricht zu erteilen für Lehrer, die einen Abendkurs befolgen mussten, der dann gleichgestellt wurde mit dem höheren Niveau, also mit dem Abitur eigentlich. Diejenigen, die das bestanden hatten, hatten denn das erforderliche Abiturdiplom in deutscher Sprache. Und da ich mich nicht in meinen eigenen Kursus eingeschrieben habe, war ich immer noch derjenige, der nicht in Ordnung war. Das habe ich damals dem Ministerrat auch mitgeteilt. Man hat mir gesagt, dass dann doch ziemlich Gelächter ausgebrochen sei im Ministerrat. Danach ist diese Prüfung auch von dann an regelmäßig organisiert worden."
Das Unterrichtswesen lag Bernd Gentges, der wie einige andere auch in jener Zeit vom Lehrer zum Politiker wurde, immer besonders am Herzen. Bis es an die Deutschsprachige Gemeinschaft übertragen wurde, sollte es bis zur dritten Staatsreform Ende der 1980er Jahre dauern. "Ja, das hat sehr lange gedauert. Aber es war eine gute Sache, als es übertragen wurde. Wir waren alle ein bisschen skeptisch bei der Übertragung, ob wir das schaffen würden. Aber ich muss auch sagen, dass es viel einfacher war, als ich es mir vorgestellt habe und das vor allem dank der großen Hilfe der Französischen Gemeinschaft. Die haben uns tatkräftig unterstützt beim Zustandekommen der wirklichen Autonomie im Unterrichtswesen. Wir haben zuerst natürlich die Erlasse der Französischen Gemeinschaft anwenden müssen, weil wir sie nicht von heute auf morgen abändern konnten. Aber nach und nach haben wir dann auch die Gesetzgebung angepasst. Und wir haben auch seitens der Flamen, muss ich sagen, eine große Unterstützung bekommen. Das war sehr sympathisch, wie man uns geholfen hat von diesen Seiten."
Minister in der Gemeinschaftsregierung
Nachdem er in der Zwischenzeit mit seiner Frau den Betrieb ihres Vaters in St. Vith übernommen und sich auch kommunalpolitisch in Eupen engagiert hatte, ging Bernd Gentges 1990 den nächsten Schritt. Für ihn stand fest, dass er in der Gemeinschaftsregierung das Amt seines liberalen Vorgängers Bruno Fagnoul weiterführen wollte. "Das war so klar, dass ich eigentlich ein Jahr zuvor als Schöffe in Eupen zurückgetreten war, um mich auf dieses Amt vorzubereiten, obschon ich noch gar nicht gewählt war. Also das war sehr klar für mich."
Die PFF sollte ihr Ergebnis bei den RDG-Wahlen am 28. Oktober 1990 um rund 700 Stimmen verbessern und blieb bei fünf Sitzen. Bernd Gentges erzielte mit 566 Vorzugsstimmen sein bis dahin bestes persönliches Ergebnis. Er zog aber nicht direkt in den Rat ein, sondern rückte nach für den Eupener Senator-Bürgermeister Fred Evers. Ehe er Minister wurde: für Unterricht und Ausbildung, Kultur, Jugend und wissenschaftliche Forschung. In einer Regierung mit dem schon vorher amtierenden christlich-sozialen Ministerpräsidenten Joseph Maraite und mit dem Sozialisten Karl-Heinz Lambertz, der ebenfalls sein erstes Regierungsamt übernahm.
Große Enttäuschung 1995 ...
Bei den Wahlen 1995 kam Bernd Gentges schon auf mehr als 2.700 Vorzugsstimmen, die Koalitionsverhandlungen führten für ihn und die PFF aber zu einer herben Enttäuschung: Ihre bisherigen Partner CSP und SP bildeten eine Zweierkoalition - ohne die PFF. "Ja, das war eine sehr große Enttäuschung, zumal einige Wochen vorher ein Gespräch stattgefunden hatte. Ich weiß noch genau, das war in Malmedy zwischen den damaligen Koalitionären mit der SP und mit der Christlichsozialen Partei. Dort wurde fest abgemacht, dass man bei einem Ergebnis, das sich sehen lassen konnte, dass man sich veranlasst sehen würde, die Koalition wieder aufzunehmen. Es war ein festes Versprechen, dass wir diese zusammen machen würden. Und das Versprechen ist eindeutig von der CSP damals gebrochen worden. Eindeutig."
Vier Jahre später folgte die Retourkutsche: Die PFF kehrte 1999 in die Regierung zurück, nun mit SP und Ecolo. Für Bernd Gentges auch eine persönliche Genugtuung? "Ja, natürlich war das eine Genugtuung. Und ich verheimliche nicht, dass das mir Spaß gemacht hat, die Revanche zu nehmen damals, das ist ganz klar."
... und 1999 die Genugtuung
Eine Frage - unter vielen anderen - trieb damals Ostbelgien um: Warum überlassen die Liberalen als Wahlgewinner mit ihren sechs Sitzen im RDG dem kleineren Koalitionspartner SP (mit vier Sitzen) das Amt des Regierungschefs? So auch im BRF-Regionalmagazin vom 28. Juni 1999 mit Margit Hebertz: "Etwas erstaunlich für den politischen Beobachter ist die Tatsache, dass Ihr Kollege Karl-Heinz Lambertz Ministerpräsident wird, obschon Sie als PFF ja die eindeutig stärkste Partei innerhalb des neuen Bündnisses stellen." Darauf Bernd Gentges: "Es gibt natürlich auch Präferenzen bei der Arbeit, die zu verrichten ist und ich muss sagen, der Karl-Heinz Lambertz hat eine größere Erfahrung auf dem Gebiet als ich. Er war immerhin schon neun Jahre Minister, ich bin vier Jahre Minister gewesen. Dann gibt es natürlich eine Gewichtung in der ganzen Konstellation, die dazu geführt hat, dass Karl-Heinz Lambertz - und das habe ich auch so akzeptiert - Kandidat ist für das Amt des Ministerpräsidenten. Ich habe damit überhaupt keine Probleme."
Noch rund zehn Jahre blieb Bernd Gentges Minister und später auch Vize-Ministerpräsident in Regierungen, die von Karl-Heinz Lambertz geführt wurden. "Ich war im Ganzen drei Legislaturperioden Minister, mit einer Unterbrechung: Wie gesagt, die Zeit, wo die CSP alleine mit den Sozialisten regiert hatte. Danach sind wir dann zurückgekehrt und haben dann eine Koalition ohne die CSP gebildet. Die hat ja dann eigentlich bis heute noch Bestand."
Die Entwicklung der Autonomie von ihren Anfängen bis heute sieht Bernd Gentges "sehr positiv". Und er habe immer auch die Auffassung vertreten, dass diese Selbstständigkeit so weit wie möglich vorangetrieben werden sollte, "aber immer mit dem Bewusstsein, dass wir auf die Zusammenarbeit mit den Wallonen und mit den Flamen angewiesen sein würden und dass dieses Prinzip der Zusammenarbeit der einzige Ausweg aus der relativen Kleinheit der Deutschsprachigen Gemeinschaft war."
Stephan Pesch
Obwohl ich nie liberal gewählt habe, habe ich höchsten Respekt vor der Lebensleistung dieses Politikers, den ich sowohl in meiner Eigenschaft als Gewerkschaftssekretär und auch in gemeinsamen Verwaltungsräten als fairen und aufrichtigen Politiker kennen gelernt habe. Alles Gute Bernd.
Ferdy Leusch
Hauset
Die Lebensleistung des Herrn Gentges in Ehren. Nur bleibt die Frage : Wem hat die Autonomie am meisten genutzt, "denen da oben" oder "denen da unten" ?
Wenn früher ein deutschsprachiger ein französischsprachiges Abitur machte, gab es keinen Unterschied zwischen ihm und einem anderen französischsprachigen. Hatte direkt die gleichen Chancen für eine Stelle im Staatsdienst. Heute ist es anders. Die Autonomie hat hier für eine faktische Benachteiligung gesorgt mit dem Ergebnis, dass viele deutschsprachige in Luxemburg und Deutschland arbeiten und sich dort eher heimisch fühlen. Die Autonomie hat für Desintegration gesorgt.