"Ich stelle mit Genugtuung fest, dass unsere Partei trotz der Angriffe der PFF, die uns für alles Mögliche verantwortlich machte, weil wir eben Regierungspartei waren, trotz der ausschließlich gegen uns gerichteten Angriffe der CUW - trotz all dem können wir zufrieden sein", sagte CSP/PSC-Kandidat Johann Weynand in einer ersten Stellungnahme nach den Parlamentswahlen von November 1971. Sein persönliches Ergebnis hatte er mit fast 14.000 Stimmen im Vergleich zu den Wahlen von 1968 noch einmal deutlich verbessern können. Alle Welt rechnete fest damit, dass der Ostbelgier diesmal auch in den Senat einziehen werde - und sei es über die Provinz oder indem er kooptiert würde. Albert Gehlen, als junger Präsident der CSP, war sich nach intensivem Lobbying seiner Sache sicher.
Aber wieder sollte Johann Weynand den Kürzeren ziehen. Schon gut ein halbes Jahr vorher hatten interessierte Kreise gegen ihn eine Kampagne gestartet, die in Ostbelgien für großes Unbehagen sorgte und sich zu einer Affäre ausweiten sollte. Vielsagend ist der Ton, mit dem das Thema im Belgischen Hör- und Fernsehfunk behandelt wurde. "Nur ungern, ich muss es gestehen, meine Damen und Herren, geht man als Angehöriger einer Generation, die es nicht aus eigener Erinnerung kennt, auf das Thema ein, mit dem sich unser nächster Beitrag befasst. Es ist die leider noch immer nicht in allen Aspekten bewältigte ostbelgische Vergangenheit. Sie ahnen es, frischt man Erinnerungen an Unrecht auf, das zwischen 1940 und '45 oder danach geschah, läuft man Gefahr, die alten Antagonismen, die man zu einem abgeschlossenen dunklen Kapitel der ostbelgischen Geschichte zählen möchte, wieder zu beleben und kaum vernarbte Wunden wieder aufzureißen."
"Aber unsere Pflicht ist es, zu informieren, zumal nicht nur persönliche, sondern politische Aspekte im Spiele sind, die unsere ganze deutschsprachige Heimat berühren. Sie wissen, meine Damen und Herren, auf Veranlassung von Kreisen des Widerstandes und der Dienstverweigerer der Wehrmacht hat Senator Bourgeois von der Front des Francophones im Senat eine Interpellation eingereicht, die am 12. Mai öffentlich behandelt werden soll. In dieser Interpellation, in der dem Sonderbeauftragten des Ministers für französische Kultur, dem Elsenborner Gemeindesekretär Johann Weynand, angebliche Bindungen an den Nationalsozialismus während des Krieges nachgesagt werden, geht es, das erklärte Senator Bourgeois auf Anfrage, weniger darum, Johann Weynand selbst den Prozess zu machen, als vielmehr einer Politik, die ich zitiere im Namen des Verzeihen und Vergessens dessen, was von 1940-45 geschah, darauf hinausläuft, die Widerstandsbewegung zu schikanieren."
"Bourgeois wirft Minister Parisis vor, die Verhandlungen mit Bonner Stellen über Entschädigungen für Dienstverweigerer der Wehrmacht und die ehemaligen Emigranten einem Mann anvertraut zu haben, der, ich zitiere wiederum "sein Land zwischen 1940 und '45 verraten und sich aus Opportunismus dem nationalsozialistischen Ideal angeschlossen hat". Wie gesagt, ein Zitat Senator Bourgeois'. Schließlich, auch das sagte der Senator, sei die derzeit von Johann Weynand geführte Politik für die Widerstandskreise gefährlich. Johann Weynand wolle zugleich einer Regelung für die Angehörigen des Widerstandes und die, wie es hieß, wahren Opfer des Nationalsozialismus einerseits sowie andererseits für die Belgier der Ostkantone herbeiführen, die von der Wehrmacht zwangsrekrutiert worden seien", so BHF-Journalist Peter Thomas.
Sonderbeauftragter in Brüssel
Zum Hintergrund: Johann Weynand war zu dieser Zeit in Brüssel Referent im Kabinett von Albert Parisis, dem Minister für französische Kultur. Für Weynand war die Stelle eines "Sonderbeauftragten (chargé de mission) für das deutschsprachige Gebiet" geschaffen worden, eine wichtige Anlaufstelle, was den Kulturbetrieb in Ostbelgien anging. Albert Gehlen ließ an der Rückendeckung der CSP für einen der ihren keinen Zweifel. "Bekanntlich haben gewisse Leute, die mit allen Mitteln versuchen, unsere Bevölkerung zu diffamieren, zu unterdrücken, zu einem weiteren Schlag ausgeholt. Indem diese Gruppe den FDF-Senator Bourgeois beauftrage, im Senat gegen Johann Weynand zu interpellieren, versucht sie, einen (sic) unserer besten Kräfte moralisch und politisch fertig zu machen. Einen Mann, der die Sorgen und Probleme unserer Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes zu den seinen gemacht hat."
Um wen es sich bei dieser Gruppe handeln sollte, wurde nicht näher erläutert. Der Eupener Historiker Christoph Brüll hat sich im Vorfeld dieses Beitrags nochmal näher mit dem Fall Weynand befasst. "Es fällt auf, dass sehr schnell Spekulationen in der Presse auch verhandelt wurden, woher denn diese Hinweise kamen. Und im GrenzEcho kann man in dieser Zeit beispielsweise nachlesen, dass wenn es denn Widerständler gewesen sein sollten, dass es sich auf jeden Fall um Einzelpersonen handeln müsse, denn die Widerstandsorganisationen in der Zeit sind gar nicht öffentlich damit aufgetreten."
Jedenfalls hatte der Interpellant Bourgeois nachdrücklich betont, dass seine Interpellation "nicht als feindselige Geste gegenüber unseren deutschsprachigen Landsleuten" verstanden werden dürfe. Christoph Brüll hat sich den ausführlichen Bericht der Senatssitzung vom 13. Mai 1971 noch mal vorgenommen. "Er hat es ausgeschlossen, Bourgeois, tatsächlich am Beginn seiner Interpellation. Tatsache ist aber auch, dass weite Teile seiner Interpellation eben nicht der Person Weynand gewidmet sind, sondern angeblichen neonazistischen Bestrebungen, die es im Gebiet deutscher Sprache damals gegeben habe. Und zwar wurden ja in dieser Interpellation mehrere Flugblätter, deren Autoren niemals identifiziert werden konnten, genannt und eigentlich nur sehr lose mit der Thematik Weynand verbunden."
Ostbelgische Kriegsbiographie
Aber Johann Weynand habe zu Beginn der 1970er Jahre für verschiedene Dinge gestanden, so Brüll, " die alle sehr wichtig waren für die deutschsprachige Bevölkerung. Er war derjenige, der sich zu diesem Zeitpunkt schon seit mehreren Jahrzehnten für die Schaffung eines Statuts für die Wehrmachtssoldaten einsetzte. Und tatsächlich muss man sagen, zu Beginn der 1970er Jahre wurde die Tatsache, dass das ja nun etwas energischer betrieben wurde, von einigen Refraktären und Widerständlern sehr kritisch gesehen. Das ist ganz klar."
Johann Weynand habe mit seiner Kriegsbiographie für die Bevölkerung gestanden - nicht nur des deutschsprachigen Belgiens, sagt Christoph Brüll, sondern auch der Gemeinden Malmedy und Weismes. "Und er steht auch für die Kombination innerhalb der CSP: der Forderungen nach mehr Autonomie für die Deutschsprachigen und auf der anderen Seite eben der Erfüllung dieser Forderungen bezüglich der Kriegsfolgen, das heißt er personifiziert rein biografisch tatsächlich sehr viele Entwicklungen dieser Zeit. Insofern war er natürlich eine Projektionsfläche."
Nun gab es neben der Wehrmachtzugehörigkeit von Johann Weynand ab Juni 1942, während der er sich auf dem Gebiet der damaligen Tschechoslowakei eine Kriegsverletzung zuzog, ein früheres Foto von ihm in SA-Uniform. "Weynand hat erklärt, dass er, um weiterhin seinen Studien in Stavelot nachgehen zu können, vom Arbeitsdienst befreit war, aber stattdessen in die SA gedrängt wurde", so Christoph Brüll. "Das sind Fälle, das muss ich auch als Historiker sagen, die uns bisher wenig bis nie bekannt geworden sind. Fakt ist: Auf den Mitgliederlisten der SA steht sein Name nicht."
Das Foto in der Uniform hat Johann Weynand nicht bestritten: Er habe sie nur einmal getragen (sogar geliehen) als er dazu angewiesen wurde, für soziale Zwecke zu sammeln (die Rede ist von Winteropfern). Dazu war er schon 1950 befragt worden, als er Gemeindesekretär von Elsenborn werden sollte. "Er wurde sogar noch früher geprüft, nämlich wie alle ostbelgischen Wehrmachtssoldaten, als sie aus der Kriegsgefangenschaft zurückkamen, hat er auch in einem Internierungslager eine Zeit verbracht, eine relativ kurze Zeit. Und schon zu dem Zeitpunkt wurde seiner Kriegsvergangenheit nachgegangen. Damals hat allerdings der Elsenborner Gemeindesekretär dieser Zeit, sein Vorgänger, eine Art Versicherung für alle Jugendlichen oder jüngeren Männer Elsenborns abgegeben, dass sie eben gegen ihre patriotischen Loyalitätspflichten nicht verstoßen hatten, während des Kriegs. Das äußert sich zweimal: Einmal direkt im April 1945, weil es nämlich dann direkt zur Freilassung Weynands, aber auch anderer Elsenborner aus dem Internierungslager bei Mouscron kommt. Und es taucht ein zweites Mal auf in dem Ermittlungsverfahren, das das Auditorat, also die Militärstaatsanwaltschaft, in dieser Zeit auch gegen Weynand eröffnet hat, das aber sehr schnell eingestellt worden ist, auch aufgrund dieses Dokuments."
Kabinettschef unter Willy Schyns
Ganz spurlos ging diese "Affäre" aber nicht vorbei, weder in der Außenwahrnehmung noch in der Selbsterfahrung der Ostbelgier. "Denn Tatsache ist ja, dass er sechs Monate später zum zweiten Mal nicht in den Senat kooptiert wurde. Und bei denjenigen, die dann nicht für ihn gestimmt haben aus seinen eigenen Reihen, kann man natürlich die Motive nur vermuten", so Brüll.
Der frühere BRF-Journalist Hubert Jenniges hat in seinem Buch "Hinter ostbelgischen Kulissen" aus dem Jahr 2001 die missglückte Kooptation in den Senat ausführlich beschrieben - auch die eben schon von Albert Gehlen beschriebenen Absprachen und die daraus folgende Zuversicht. Auf der gemeinsamen Bewerberliste der flämischen und französischsprachigen Christlich-Sozialen zog aber der CVP-Politiker John Van Waterschoot, als Mann des einflussreichen Boerenbonds, an Weynand vorbei: Statt der vereinbarten Abgabe von Kopfstimmen hatten die Flamen ihren eigenen Kandidaten mit Vorzugsstimmen bedacht. Das führte zu einem Eklat, der in den Brüsseler Kreisen bald vergessen war: Johann Weynand wurde zum Trost als Sonderbeauftragter bei Premierminister Gaston Eyskens berufen und wurde Chef des sogenannten "Ostbelgienkabinetts" unter dem Staatssekretär Willy Schyns.
In Ostbelgien selbst gab man sich damit nicht zufrieden: Die Senatsabfuhr für den deutschsprachigen Kandidaten war eine weitere Bestätigung für die Forderungen nach Autonomie und nach einem "gebührenden Platz im neuen Belgien", wie es auf einem Wahlplakat der frisch gegründeten "Christlich-Unabhängigen Wählergemeinschaft" (CUW) hieß, aus der wenig später die Partei der deutschsprachigen Belgier hervorgehen sollte.
Johann Weynand sollte politische Genugtuung erfahren, als er am 23. Oktober 1973 bei der Einsetzung des Rates der deutschen Kulturgemeinschaft zu dessen Präsidenten gewählt wurde. Zwei Monate später ging der neue Präsident rückblickend auf die "sich überholenden Ereignisse" und die "Begleitmusik (...) verbitterter Kritik" ein und wählte einen bildhaften Vergleich. "Gleich vorweg möchte ich betonen, dass ich positive, aufbauende Kritik als schöpferische Anregung sehr zu schätzen weiß. Gleichfalls bin ich der Meinung, dass es keine Geburt, keine Schöpfung ohne Schmerzen gibt. Doch ich habe einmal unter für mich persönlich weitaus schwierigeren Bedingungen nach der missglückten Senatskooptierung erklärt, dass Schwergeburten die schönsten Kinder ergeben. Wenn ich zurückblicke auf das inzwischen Erreichte, so glaube ich dafür konkrete Bestätigung zu erkennen. Gewiss, es hat Rückschläge und auch Enttäuschungen gegeben. Doch machen wir uns keine Illusionen: Die wird es in der Politik immer geben."
"Von hier aus müssen die Impulse kommen"
Bei der ersten Direktwahl des RdK, weniger als ein halbes Jahr später, am 10. März 1974, verpasste die CSP nur knapp die absolute Mehrheit. "Natürlich bin ich hocherfreut über den Ausgang der RdK-Wahlen. Wie bereits schon gesagt, hatte ich mit zehn Sitzen gerechnet. Und jetzt fehlten uns nur noch einige Stimmen für die absolute Mehrheit. Sicherlich darf ich von einem persönlichen Erfolg sprechen, da ich ja 3.940 Vorzugsstimmen erhielt."
Auf die Feststellung des BHF-Journalisten Hans Engels, ob diese Wahlen nicht bestätigten, "dass es typisch für Ostbelgien ist, Persönlichkeiten zu wählen und nicht Parteien", räumte Weynand ein: "Das mag sein. Aber nur durch die Partei war es mir persönlich ermöglicht gewesen, Arbeit zu leisten - sowohl im Kabinett als auch in sämtlichen Kommissionen und in zahlreichen Verhandlungen, sei es nun auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Nehmen wir nur als Beispiel die zahlreichen Verhandlungen, die vor der Unterzeichnung des deutsch-belgischen Vertrages stattgefunden haben. Die Bevölkerung hat mir diese Arbeit durch ihren Vertrauensbeweis gelohnt."
Am 5. April 1974 wurde dann auch der erste direkt gewählte Rat eingesetzt. "Ich möchte mit Nachdruck darauf hinweisen, dass wir die ersten direkt gewählten Vertreter unserer Bevölkerung sind. Diese Tatsache hat unseren Rat auf eine Weise aufgewertet, die für unser ganzes Land von Bedeutung ist. Handelt es sich doch hier um ein direkt gewähltes demokratisches Organ der neuen Verfassung, das ein unüberhörbares Sprachrohr der deutschsprachigen Bevölkerung darstellt. Das bedeutet für uns alle, die wir heute hier die Arbeit wieder aufnehmen, die Verpflichtung zu einem gewissenhaften Engagement, zu Eifer und Verantwortungsbewusstsein. Von uns wird es abhängen, ob unsere Kulturgemeinschaft im neuen Belgien eine vollwertige Rolle spielen kann. Es ist jetzt nicht mehr so, dass wir für Fehlentscheidungen und Nachlässigkeiten andere verantwortlich machen können. Von hier aus müssen die Impulse kommen. Hier muss entschieden werden. Hier ist das erste Wort zu reden. In dem vielversprechenden Dialog zwischen uns und den anderen Gemeinschaften suchen wir deshalb die Offenheit des Geistes und auch des Herzens. Suchen wir gemeinsam echte und großzügige Lösungen. Widerstehen wir den Versuchungen des bloß bequemen Denkens und gewinnen wir durch ein beispielhaftes Handeln die aktiven und kreativen Kräfte unserer Bevölkerung."
Zum Abschluss Bezirkskommissar in Malmedy
Wenige Monate vor dem Ende der Wahlperiode legte Johann Weynand sein Mandat als Ratspräsident nieder und übernahm das Amt des beigeordneten Bezirkskommissars in Malmedy, wie er im BHF-Interview kurz vor dem Jahresende 1976 bestätigte. Dieses Amt sollte er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1988 inne haben. "Ich bin gestern Vormittag aus dem Innenministerium angerufen worden und mir wurde mitgeteilt, dass der König Heiligabend meine Ernennung zum beigeordneten Bezirkskommissar unterzeichnet habe. Seit die Frage einer Nachfolge für Henri Hoen aufgeworfen wurde, hat meine Partei mich als Kandidaten für dieses Amt vorgeschlagen. Diese Kandidatur lag demzufolge seit fast zwei Jahren vor. Für mich bedeutet diese Ernennung eine noch bessere Möglichkeit, mich für die einheimische Bevölkerung mit ihren spezifischen Probleme einzusetzen."
Durch seine Ernennung zum beigeordneten Bezirkskommissar werde sein Privatleben in geordnetere Bahnen gelenkt, sagte Johann Weynand Ende 1976 im Interview. "Dies bedeutet jedoch nicht, dass ich die Hände in den Schoß lege. Ich habe in den acht vergangenen Jahren erfahren, dass nur hartnäckiges Nachhaken und sehr viel Diplomatie vonnöten sind, um die Belange unserer Gegend zu verteidigen. Dazu ist massive Unterstützung in Ostbelgien als auch in Brüssel erforderlich. Auf diese Weise sind die erreichten oder nähergerückten Ziele in Sachen Nachkriegsprobleme, Kulturautonomie und so weiter zustande gekommen. Konkrete Vorarbeit wurde geleistet, die ihre Früchte tragen wird."
Die förmliche Umbenennung "seines" Rates in ein "Parlament" sollte der erste Präsident des RdK nicht mehr erleben: Johann Weynand starb am 16. Februar 1997 im Alter von 73 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war seine CSP noch mit zehn Mandaten im RDG vertreten. Sie stellte zwei Minister und den Ratspräsidenten.
Stephan Pesch