Die Entscheidung fiel wohl am Donnerstagabend: Zwei Wahlverlierer werden künftig zusammen die Geschicke in Lüttich lenken. Die PS von Bürgermeister Willy Demeyer hatte gut sieben Prozent bei den Kommunalwahlen verloren. Die MR mit ihrer Spitzenkandidatin Christine Defraigne gut drei Prozent. Beide zusammen können eine Mehrheit von 27 Sitzen von insgesamt 49 im Lütticher Gemeinderat bilden - keine komfortable Mehrheit, aber immerhin eine Mehrheit.
Die Wahl der MR als bevorzugter Koalitionspartner begründet die PS am Freitag über eine Pressemitteilung. Mit der MR gebe es die meisten Übereinstimmungen, besonders beim Thema der Pensionen für die lokalen Beamten. 60 Millionen Euro soll das die Stadt in den kommenden sechs Jahren kosten. Sowohl PS als auch MR wollen dieses Geld nicht im Haushalt berücksichtigen, sondern gesondert abrechnen.
Einigkeit bestünde auch bei den Themen Umwelt, Digitales, Verkehr und Wohnraum. "Wir sind wirklich sehr glücklich, für Lüttich arbeiten zu können", jubelt entsprechend Christine Defraigne. "Denn wir lieben unsere Stadt und wir wissen, dass die Herausforderungen, die auf die Stadt warten, sehr bedeutend, ja kolossal sind."
Defraigne hatte vor den Wahlen noch Bürgermeister Demeyer vom Lütticher Thron stoßen wollen. Das misslang. Jetzt sitzt sie wohl zusammen mit ihm im Regierungsboot - sehr wahrscheinlich als seine erste Stellvertreterin.
Ihren Posten als Senatspräsidentin und Abgeordnete im wallonischen Parlament wird sie dafür wohl aufgeben. Bei all der Freude darüber, dass die MR seit Jahrzehnten in der Opposition mal wieder an der Macht in Lüttich teilhaben kann, wird das für die 56-Jährige verkraftbar sein: "Das ist eine Genugtuung für die MR in Lüttich", sagt sie. "Wir waren in der Opposition stets wachsam, aber immer auch konstruktiv und haben eigene Vorschläge gemacht."
Enttäuschung
Bittere Enttäuschung über die Wahl der MR spricht dagegen aus den Worten von Carine Clotuche, die CDH-Fraktionsführerin im Lütticher Gemeinderat. Die CDH als bisheriger Koalitionspartner der PS hatte genauso wie die Sozialisten gut sieben Prozent bei den Wahlen verloren. Für eine Weiterführung der Koalition reichten diese Ergebnisse nicht. Zur Entscheidung der PS für die MR zum jetzigen Zeitpunkt sagt Clotuche: "Das ist alles andere als elegant. Monsieur Demeyer hat natürlich ein gutes Recht, die Verhandlungen mit uns nicht weiterzuführen. Aber dann bitte mit einer stichhaltigen Begründung. Und nicht aufgrund falscher Begründungen wie den Punkten Haushalt, Bildungswesen und Vereinsarbeit. Diese Themen haben wir kaum angesprochen."
Auch bei dem Wahlbündnis Vert Ardent, mit dem Ecolo in Lüttich an den Start gegangen war, ist man enttäuscht. Eine Dreierkoalition zusammen mit PS und CDH hätte man sich bei Vert Ardent eventuell vorstellen können. Jetzt jedoch ätzt Ecolo-Fraktionsführerin Catherine Saal gegen das neue Regierungsbündnis: "Die PS hat sich für eine Mehrheit Publifin entschieden", sagt sie in der RTBF. "Es ist die gleiche Mehrheit, wie in der Provinz. Motiviert ist das zweifelsohne durch den Willen, konservative Politik machen und die kleinen Arrangements unter Freunden weiterführen zu wollen."
Der PTB mit einem Stimmenzuwachs von knapp zehn Prozent hatte die PS schon Anfang der Woche den Laufpass gegeben.
Kay Wagner