Der Wähler soll mehr Macht bekommen. Zum Beispiel: Regierungsbildner soll automatisch der Politiker werden, der auf der stärksten Liste die meisten Stimmen erhält. Das ist ein System, das es bei Gemeinderatswahlen schon einmal gegeben hat und wie es außerhalb der Deutschsprachigen Gemeinschaft immer noch angewendet wird.
Bisher ist es nach der Kammer-Wahl so, dass der König zunächst einen Informator bestimmt, der die Lage sondiert, bevor der König dann einen Regierungsbildner bezeichnet, der die eigentlichen Koalitionsverhandlungen führt. Diese Prozedur würde dann hinfällig. Stattdessen bestimmt dann der Wähler, wer diese zentrale Aufgabe übernimmt, nämlich der beliebteste Politiker. Der Regierungsbildner ist dann auch der erste Kandidat für das Amt des Premierministers. Überhaupt soll die Vorzugsstimme allein entscheidend sein, damit der Wähler bestimmt, wer von der Liste ins Parlament kommt und nicht die Partei.
Gesamtbelgischer Wahlkreis
In unserem jetzigen Wahlsystem ist die Bestimmung des beliebtesten Politikers schwierig, weil die Kandidaten auf Provinzebene antreten. Das will die Open VLD über einen föderalen Wahlkreis lösen. 20 der 150 Abgeordneten in der Kammer würden über diesen gesamtbelgischen Wahlkreis gewählt. Die Parteien wären verpflichtet, einen Premierministerkandidaten für den föderalen Wahlkreis aufzustellen. Wer dort auf der stärksten Liste die meisten Stimmen erhält, wäre dann der Regierungsbildner. So müsste der Kandidat in allen Landesteilen überzeugen und nicht nur in seiner Provinz. Er hätte dann sozusagen die Legitimation des gesamten Landes.
Das wäre aber immer noch keine Garantie, dass die Regierungsbildung schneller abgeschlossen wird, als das im Moment der Fall ist. Deswegen will die Open VLD der Regierungsbildung Fristen setzen. Der Wahlgewinner hätte einen Monat Zeit, eine Regierung zu bilden. Würde er scheitern, wäre die zweitstärkste Liste am Zug. Wenn es dann nach sechs Versuchen immer noch keine Regierung gäbe, würde automatisch neu gewählt.
Unterschiedliche Aufnahme
Der Vorschlag der Open VLD wird unterschiedlich aufgenommen. Die Idee des föderalen Wahlkreises ist nicht neu. Der Staatsrechtler Christian Behrendt von der Uni Lüttich hat vor Kurzem in einem anderen Zusammenhang die Idee als falsche Antwort auf eine richtige Frage bezeichnet. Ein föderaler Wahlkreis macht seiner Meinung nach Belgien noch komplizierter, als es ohnehin schon ist. Da gebe es viele Fallstricke, die spätestens dann auffielen, wenn man ins Detail gehe.
Von politischer Seite gibt es auch Gegenwind - wie zu erwarten von der flämisch-nationalistischen N-VA. Einer ihrer Abgeordneten sagte in der VRT, wer keine großen Reformen wolle, plädiere für einen föderalen Wahlkreis. Das Re-Föderalisieren ist der N-VA grundsätzlich ein Dorn im Auge. Zitat: Die Open VLD wolle Befugnisse aus Flandern zurückholen, um sie gemeinsam mit der PS und Ecolo erneut zu beschließen.
Open-VLD-Parteichef Egbert Lachaert spricht auf Twitter von einer "vorhersehbaren Reaktion der Separatisten". Wenn man das Land auflösen wolle, wolle man nicht, dass das Land besser funktioniere. Überhaupt: Die N-VA fordere einen Gesamtwahlkreis für Flandern bei der Regionalwahl. Dann sei es ein Widerspruch, wenn sie diesen Einheitswahlkreis für ganz Belgien ablehne. Da ist der Wahlkampf schon voll im Gange. Dabei wird erst in über einem Jahr die Kammer neu gewählt.
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