Die Rente ist immer ein heißes Thema. Hier zeigen sich schnell die Gräben zwischen dem rechten und dem linken Lager. Die derzeitige Koalition wurde aber nicht umsonst nach Antonio Vivaldi benannt: Vier Jahreszeiten für vier politische Strömungen - das geht von links nach rechts quer durch das Spektrum.
Gemeinsames Ziel im Regierungsabkommen
Im Regierungsabkommen hatte man sich aber doch auf ein gemeinsames Ziel verständigen können: Schrittweise soll die Mindestrente auf 1.500 Euro angehoben werden. Es ist vor allem die PS, die sich diese Feder an den Hut steckt und die frankophonen Sozialisten stellen mit Karine Lalieux denn auch gleich die Pensionsministerin.
Ihr Auftrag ist es jetzt also, diese geplante Anhebung der Mindestrente politisch in die Tat umzusetzen. Ihr Entwurf einer neuen Rentenreform wird im September erwartet. Konkret wird Lalieux die genauen Kriterien definieren, also die Frage beantworten müssen, wer genau Anrecht auf diese Mindestrente von 1.500 Euro haben soll.
OpenVLD-Vorsitzender prescht vor
Aber irgendwie scheint es, als würden ihr einige Partner der PS nicht so wirklich trauen. In diesen Tagen haben gleich zwei Koalitionsparteien ihre Vorstellungen schon einmal auf den Marktplatz geworfen. Erst die flämischen Liberalen, OpenVLD, und dann auch nicht irgendein Hinterbänkler, sondern gleich der Chef höchstpersönlich.
Der OpenVLD-Vorsitzende Egbert Lachaert machte in der Zeitung Het Laatste Nieuws seine Ansichten deutlich. Grob gerafft: Für ihn ist nicht allein die Länge der Laufbahn entscheidend. Im Moment sei es so: Man hat Anrecht auf die Mindestrente, wenn man eine Karriere von 30 Jahren aufweisen kann. "Karriere", das kann aber auch bedeuten, dass man 30 Jahre lang arbeitslos war.
Diskussion um Kriterien für Anspruch auf Mindestrente
Und genau hier will die OpenVLD dann ein zusätzliches Kriterium etablieren. Nach Ansicht der flämischen Liberalen soll man nur Anrecht auf die Mindestrente haben, wenn man mindestens 20 der 30 Jahre auch tatsächlich gearbeitet hat. Ansonsten würden hier neue Ungerechtigkeiten geschaffen, sagt Egbert Lachaert.
Als Beispiel wird da immer die Geschichte der beiden wallonischen Freundinnen Virginie und Caroline herangeführt. Die eine hat 40 Jahre lang gearbeitet, die andere war 33 Jahre arbeitslos. Und eben diese Frau bekam am Ende doch die höhere Pension - ein Unterschied von mehr als 200 Euro.
Dafür gibt es allerlei technische Gründe: oft erklärt sich der Unterschied auch durch die Tatsache, dass einer der Betreffenden selbständig war und wenig eingezahlt hat. Dennoch: Diese Geschichte ist eigentlich nicht zu verkaufen.
Man müsse die Menschen dazu ermuntern, sich einen Job zu suchen, ist Egbert Lachaert überzeugt. Deswegen eben seine Forderung, dass man 20 der 30 Jahre tatsächlich gearbeitet haben muss, um Anrecht auf die Mindestrente zu haben.
Auch Vertreter von MR und CD&V für Verschärfung
Die zuständige Ministerin reagierte hörbar verschnupft auf den Vorstoß. Das stehe so nicht im Koalitionsvertrag, ließ sich Karine Lalieux zitieren. Die PS sprach sogar von einer "Provokation".
"Provokation x 2", denn der Vorsitzende der frankophonen Liberalen, MR, unterstützte gleich den Vorstoß des flämischen Kollegen. Das sei eine "ausgezeichnete" Idee, sagte Georges-Louis Bouchez.
"Provokation x 3", muss man jetzt sogar schon sagen. Denn keine 24 Stunden nach der giftigen Reaktion der Roten sprang die CD&V ihrerseits auf den blauen Zug auf: Die flämischen Christdemokraten forderten ebenfalls, dass man mindestens 20 Jahre tatsächlich gearbeitet haben muss, um eine Mindestrente zu bekommen. Und das ist dann der dritte Koalitionspartner, der den Sozialisten in die Parade fährt.
Erste wirkliche Feuerprobe für Vivaldi-Koalition
Nicht umsonst schrieb schon eine Zeitung, dass "die Schlacht um die Renten eröffnet sei". Erschwerend kommt aus Sicht der Sozialisten hinzu, dass mit der OpenVLD ausgerechnet die Partei des Premierministers den Reigen eröffnet hat. Dabei sollte der Regierungschef doch eigentlich eher neutral bleiben und über den Dingen stehen.
"Dicke Luft", könnte man also sagen. Die Vivaldi-Koalition wird in den nächsten Wochen beweisen müssen, dass sie mehr kann als nur Krisenmanagement. Auf die Equipe um Alexander De Croo wartet wohl im Herbst die erste wirkliche Feuerprobe.
Roger Pint