Das muslimische Kopftuch und die Neutralität des Staates - dieser Themenkomplex birgt immer ausreichend Zündstoff für hitzige politische Diskussionen. Es bedarf nur eines Auslösers. Den lieferte im vorliegenden Fall das Brüsseler Arbeitsgericht. 2015 hatte eine Frau gegen die Brüsseler Nahverkehrsgesellschaft STIB geklagt. Sie fühlte sich diskriminiert. Zwei Mal hatte sie sich auf einen Job in der Personalabteilung der STIB beworben. Zwei Mal wurde sie abgelehnt; offensichtlich mit der ausdrücklichen Begründung, dass sie bei der STIB nicht das muslimische Kopftuch tragen dürfe. Das Staatsunternehmen berief sich dabei auf die Neutralitätspflicht.
Das Arbeitsgericht gab der Klage Anfang Mai dennoch statt. Grob gesagt sah der Richter es als erwiesen an, dass die Frau tatsächlich diskriminiert worden sei und dass die Ablehnung ihrer Bewerbung durch die STIB letztlich nicht im Verhältnis stehe zu besagtem Neutralitätsprinzip.
Ein Urteil, das zumal im Brüsseler Kontext weitreichende Folgen haben könnte. Eigentlich hätte man erwartet, dass die STIB Berufung einlegt. Die Direktion der Gesellschaft hatte anscheinend auch die Absicht, das zu tun. Doch waren Teile des Verwaltungsrats dagegen. Es kam zu einer Abstimmung. Und eine Mehrheit sprach sich dafür aus, es bei dem Urteil zu belassen.
Das wiederum gefiel einem Regierungskommissar nicht. Der Mann, der den Stempel der flämischen Liberalen OpenVLD trägt, legte sein "Veto" ein und sorgte auf diese Weise dafür, dass die Akte auf den Tisch der Regionalregierung landete. Die Koalition um den Brüsseler Ministerpräsidenten Rudi Vervoort hat jetzt 20 Tage Zeit, um sich über den Fall auszusprechen.
Und man spürte gleich, welche Sprengkraft die Geschichte hat. Auf der einen Seite: die grüne Mobilitätsministerin Elke Van den Brandt. Die ist mit der Entscheidung, auf eine Berufung zu verzichten, sehr zufrieden. Denn: Die bisherige Politik sei ohnehin kontraproduktiv gewesen. Dadurch, dass man das Urteil so stehen lasse, wolle man signalisieren, dass bei der STIB wirklich jeder willkommen ist.
Einige Brüsseler Koalitionspartner sehen das aber anders. Zunächst die flämische OpenVLD, die ja die Akte auf den Regierungstisch befördert hat. Dann aber auch Défi. Beide sind der Ansicht, dass der Staat neutral sein müsse. "Frau Van den Brandt spreche in ihrem Namen", sagte der Défi-Vorsitzende François De Smet. Die Groen-Politikerin habe sich da wohl ein bisschen weit aus dem Fenster gelehnt. De Smet gab zu verstehen, dass hier längst noch nicht das letzte Wort gesprochen sei.
Elke Van den Brandt schien ihrerseits den Vorfall herunterspielen zu wollen. "Krise?", das sei doch ein großes Wort, sagte die Brüsseler Mobilitätsministerin in der VRT. "Wir werden uns in dieser Woche koalitionsintern mit der Problematik beschäftigen. Klar wissen wir, dass hier die Meinungen auseinandergehen werden. Dann werden wir eben nach Schnittmengen suchen müssen."
Die Groen-Politikerin hat aber schon einen Plan. Sie würde sich wünschen, dass man gemeinsam nach Wegen sucht, wie man bei der STIB die Neutralität anders zum Ausdruck bringen kann. Denn, auf der anderen Seite müsse man auch Hürden abbauen, da man z.B. feststellen müsse, dass bei der STIB nur zehn Prozent Frauen arbeiten.
Ganz konkret: Geht es nach der grünen Mobilitätsministerin, dann würde man religiöse Symbole bis zu einem gewissen Maß in die Uniformen integrieren. Wie das z.B. auch in Großbritannien praktiziert wird.
All das hat dann aber auch die liberale MR auf den Plan gerufen. Die MR ist in Brüssel zwar in der Opposition. Doch gibt es noch eine zweite Geschichte, die durchaus Parallelen aufweist. Und die betrifft die MR ziemlich direkt. Die föderale Ecolo-Staatssekretärin Sarah Schlitz hat eine neue Regierungskommissarin in das Institut für die Gleichstellung von Frauen und Männern entsandt. Die Frau heißt Ihsane Haouach, kann einen beeindruckenden Lebenslauf vorweisen, nur trägt sie das muslimische Kopftuch.
Das geht gar nicht, wetterte sinngemäß MR-Chef Georges-Louis Bouchez. "Für uns gibt es eine ganz einfache Formel", sagte Bouchez in der VRT: "Die Freiheit des Individuums, aber die Neutralität des Staates. Heißt: Man kann ein Kopftuch tragen, wo man will. Aber in seiner Eigenschaft als Staatsbediensteter muss man neutral bleiben". Bouchez kündigte an, dass die MR im Parlament einen Gesetzesvorschlag hinterlegen werde, mit dem Ziel, die Neutralität in staatlichen Einrichtungen zu zementieren.
Nicht nur, dass all das Unruhe in die Föderalregierung bringen könnte, das verspricht zudem noch kontroverse Debatten. Denn nicht nur die Parteien vertreten hier unterschiedliche Standpunkte, sogar innerhalb einiger Parteien können die Meinungen durchaus stark auseinandergehen.
Roger Pint
Das Problem ist ja nicht so sehr das Kopftuch an sich, sondern die Tatsache, dass wenn man es erlauben würde, auch andere Religionsgruppen gleiches verlangen könnten. Darum ist es besser, man belässt es beim Verbot von religiösen Symbolen. Das ist einfach und klar.
Der Vorwand Stadtsdiener oder Beamte haben "neutral" zu sein was ihr äusseres Erscheinungsbild anbetrifft ist "bullshit", denn ihr HANDELN und Einstellung zu den Aufgaben ist das Entscheidende!
Wenn dem so wäre, dass das Erscheinungsbild der Beamten (auch religiös) auf die eigentliche Aufgabe abfärbt, dann wären alle Engländer, Kanadier und viele andere Länder auf die Barrikaden gegangen.
Wir sollten doch froh sein, dass wir Menschen haben die den Willen, Mut und Ergeiz haben sich für die Aufgaben in der Gesellschaft einzusetzen.
In diesem konkreten Fall; diese Dame und viele andere, die aus persönlicher Überzeugung das "Stück" Tuch über den Kopf zieht, wird entweder Hausfrau oder Arbeitslos. Wir brauchen in unserem Land Menschen die die Gesellschaft mitgestalten. Bei Verstößen der Neutralität im Handeln gibt es Regeln und Gesetze. Mich persönlich interessiert mehr was der Mensch im Kopf hat, als was er drauf hat!
Ich hatte schon Arbeitskollegen verschiedener christlicher Bekenntnisse (von Zeugen Jehovas bis Pfingstler und andere Freikirchen), aber niemand wollte eine Sonderbehandlung in irgendeiner Sache; sondern es war sogar umgekehrt: die kamen der Wünsche anderer kompromissbereit entgegen.
Nur auf Muslime und deren 'religiöse Gefühle' soll zusehens Rücksicht genommen werden. In vielen islamischen Ländern sind nicht-islamische Symbole einfach verboten in der Öffentlichkeit, fertig, jedoch pochen hierzulande überzeugte Koran-Gläubige auf ihre Rechte.
Diese Kopftuch-Debatte zeigt, dass Muslime die europäische Gesellschaft brauchen (z.B.wegen eines Arbeitsplatzes). Ob die europäische Öffentlichkeit auch den (orientalischen) Islam braucht, sei dahingestellt. Im Zweifelsfall sind die Belange einer bekenntnisneutralen Gesellschaftsstruktur wichtiger. Das zeigt sich, wenn Personen von Bekenntnissen unterdrückt werden.
Herr Choudna, Sie wissen, dass der Islam gesellschaftlich nicht das Gelbe vom Ei ist, das haben schon verschiedene Ereignisse bei Ihnen in Ihrer Eupener Glaubensgemeinschaft gezeigt. Kehrt mal vor eurer eigenen Tür!
Nicht-Muslime (auch Ex-Muslime) haben von islamischem Querulantentum einfach die Nase voll.
@Herr Scholzen, Guido: Ihr Kommentar bringt es auf den Punkt. Wunderbar ausgedrückt und dargestellt. Vielen Dank dafür!