Die RTBF-Kamera folgt noch dem Mann im dunkelblauen Sakko, wie er zu seinem Auto geht. Kurz, bevor er hinter einer Straßenecke verschwindet, fühlt er sich wohl schon unbeobachtet. Plötzlich jedenfalls geht er leicht in die Knie geht und ballt in einer ruckartigen Bewegung die Faust - und dann gleich nochmal. Die Älteren kennen die Geste im deutschen Sprachraum noch als "Beckerfaust". Der Mann, der sich gerade über einen persönlichen Erfolg zu freuen scheint, das ist CDH-Chef Benoît Lutgen.
Gerade hat er vor den Pressemikrophonen Bilanz gezogen. Fünf Stunden lang hatten Lutgen und seine Kollegen von MR und Ecolo zusammengesessen. Auf dem Programm stand allein ein einziger Themenkreis, den man mit dem Oberbegriff "ethische Neuordnung" zusammenfassten könnte. Hier geht es also um Bereiche wie Regierungsführung, Ämterhäufung, Straffung der Institutionen. Es waren die Grünen, die darauf bestanden hatten, zu aller erst über diese Themen zu sprechen, bevor man sich überhaupt mit der Bildung neuer Mehrheiten befasst.
Nach besagten fünf Stunden gab's durch die Bank zufriedene Gesichter. "Wir haben die Tagesordnung abgearbeitet", sagte MR-Chef Olivier Chastel. Das waren immerhin über 80 Punkte. Und, er könne sagen: Es gebe doch große Fortschritte. Die Standpunkte der drei Parteien hätten sich angenähert. Und das Ergebnis dieser Sitzung, nun, das werde am Donnerstag in einem Abkommen offiziell besiegelt.
Auch er sei sehr zufrieden mit dem Verlauf der Gesprächsrunde, sagte CDH-Chef Benoît Lutgen - Mister "Beckerfaust". Er könne nur feststellen, dass plötzlich Dinge möglich seien, die vor dem 18. Juni noch undenkbar waren.
Der 18. Juni, das war natürlich der Tag, an dem sich Lutgen seinen Platz zumindest in den wallonischen Geschichtsbüchern gesichert hatte, der Tag, als der CDH-Chef wie aus heiterem Himmel die Koalitionen mit der PS auf allen Ebenen aufgekündigt hatte. Seither dürfte ihm eigentlich klar geworden sein, dass es nicht reicht, den Stecker zu ziehen. Man braucht auch eine Alternative, es muss ja weitergehen. Und mit jedem Tag, an dem die Krise weiter andauert, wird Benoît Lutgen ein bisschen mehr zum "Unglücksvogel", dem Mann, der das Chaos angerichtet hat. Der Mann braucht einen Erfolg. Die "Beckerfaust" ist ein Zeichen dafür, dass er selbst das am besten weiß.
Und nach einem Erfolg konnte es wohl erstmal aussehen. Auch die Grünen kamen frohgemut aus dem Sitzungssaal. "In der Tat", sagte Ecolo-Ko-Präsident Patrick Dupriez, "wir haben echte Fortschritte erzielt in den Themen, die uns am Herzen liegen, eben mit Blick auf eine 'ethische Neuordnung'". Das wolle man jetzt auch am Donnerstag in einem Abkommen besiegeln. Aber, so fügt Dupriez hinzu: Das bedeute keinesfalls, dass sich Ecolo dafür automatisch an Koalitionsverhandlungen beteiligt.
Der letzte Nebensatz, der stellt die Dreierrunde mit einem Mal in ein anderes Licht. Ecolo sagt ganz klar: Wir reden im Moment nur über Ethik-Fragen. Was danach kommt, das steht auf einem anderen Blatt. Und auch in besagten Ethik-Fragen gebe es längst nicht immer eine einstimmige Meinung, sagt Kollegin Ko-Präsidentin Zakia Khattabi. Man werde am Donnerstag schonmal das festklopfen, was man erreicht hat - nicht mehr und nicht weniger.
Zu den Punkten, in denen sich die drei Parteien einig sind, gehört unter anderem die Abschaffung der Provinzen. Das wäre in der Tat schonmal nicht nichts. Uneinigkeit herrscht aber noch in einigen zentralen Ecolo-Anliegen, allen voran in Bezug auf ein Verbot der Ämterhäufung. Doch auch Khattabi sagt es nochmal ganz deutlich: "Und wenn wir auch ein Abkommen erzielen, das bedeutet keinesfalls, dass Ecolo dafür automatisch in Koalitionsverhandlungen einsteigen wird."
Fortschritt im Stillstand, so muss man also eigentlich das Resultat der Dreierrunde resümieren. Auch bei den Liberalen sind im Übrigen längst nicht alle davon überzeugt, dass man jetzt noch Regierungsverantwortung übernehmen sollte. Kommunalwahlen sind schon in gut einem Jahr. In 15 Monaten beginnt die Kampagne für das Superwahljahr 2019.
Bei allem zur Schau gestellten Optimismus liegt ein wirklicher Ausweg also immer noch in eher weiter Ferne. Bis zu einer Lösung muss sich wohl erst noch ein neuer Begriff etablieren: die "Lutgenfaust"...
Roger Pint - Bilder: Thierry Roge/BELGA