"Verfassungsgericht weist Klage ab - Gefangenenaustausch bleibt nach Urteil möglich", fasst das GrenzEcho die jüngsten Entwicklungen zum "Iran-Deal" zusammen. "Olivier Vandecasteele: Ein Gefangenenaustausch mit dem Iran erneut möglich", schreibt L'Avenir. "Iran-Deal aufrechterhalten - ein bisschen Hoffnung für Olivier Vandecasteele", so De Standaard. "Ein erster Sieg für die Angehörigen von Olivier Vandecasteele", titelt Le Soir.
"Soll man einen iranischen Terroristen freilassen, um den Belgier Olivier Vandecasteele freizubekommen? Diese teuflische Frage musste sich der Verfassungsgerichtshof indirekt stellen", kommentiert La Libre Belgique. Angesichts dieses schweren ethischen und juristischen Dilemmas hat das Gericht seine bisherige Meinung geändert - die Verurteilung des Entwicklungshelfers zu 40 Jahren Gefängnis und 74 Peitschenhieben haben die Ausgangslage verändert. Das Verfassungsgericht musste im Rahmen der geltenden Gesetze bleiben, sich aber auch die Frage stellen, ob es die Aufgabe eines Rechtsstaats ist, seine Bürger gegen ausländische Barbarei gewissen- und gesetzloser Staaten zu schützen. Die Realpolitik zwingt Staaten oft dazu, sich mit Feinden zu arrangieren, Lösegelder an Schufte zu zahlen oder die Augen zu verschließen, wenn es die Situation gebietet. Mit dem Iran haben wir es mit einem Schurkenstaat zu tun, der sich auf Geisel-Politik spezialisiert hat. "Angesichts dessen kann man nur begrüßen, dass der Verfassungsgerichtshof die Tür geöffnet hat für eine schnelle legale und bilaterale Lösung. Auch wenn die sicher noch Zeit und Mühe erfordern wird", so La Libre Belgique.
Ein Staat darf sich nicht erpressbar machen
"Für Vandecasteele sind das vielversprechende Neuigkeiten", schreibt das GrenzEcho. Sein Schicksal hat große Emotionen geweckt, viele Solidaritätsbekundungen ausgelöst und zu einem großen medialen und politischen Druck geführt. Hatte das Verfassungsgericht angesichts dieser Umstände eine andere Wahl als zuzustimmen?
Unabhängig davon steht die Frage im Raum, ob Belgien mit diesem Vorgehen nicht einen gefährlichen Präzedenzfall schafft. Ein Staat darf sich nicht erpressbar machen. Und Belgien macht sich erpressbar, wenn es zum Deal kommt. Wer aus dem Westen - ob Entwicklungshelfer oder einfach nur Tourist - wäre in Zukunft vor der Willkür im islamischen Gottesstaat geschützt? "Weitere Erpressungsversuche des Regimes in Teheran dürften folgen", warnt das GrenzEcho.
Eine höllische Woche für die Politik
Weiter hohe Wellen schlägt auch der Pensionsskandal im föderalen Parlament. "Diese Woche wird auch deswegen als politischer Tiefpunkt in die Geschichte eingehen", befürchtet De Tijd. Neben den mehr als üppigen Pensionszuschlägen zu ihrer schon reichlichen Beamtenrente für die Ex-Kammervorsitzenden Herman De Croo und Siegfried Bracke und acht Spitzenbeamte der Kammer, schockiert vor allem der völlige Mangel an Transparenz darüber. Für De Croo Senior und Bracke zusammen geht es um 103.000 Euro zusätzlich pro Jahr. Angesichts des gesamten Haushalts eine sehr kleine Summe - aber eine mit tödlicher Symbolkraft. Wie kann man von den Bürgern zusätzliche Anstrengungen und Opfer verlangen, wie beispielsweise länger zu arbeiten oder privat für eine bessere Rente zu sparen, wenn man selbst obskure Systeme zur Selbstbereicherung hat? So etwas oder auch die umstrittene Überbrückungsrente für CSC-Gewerkschaftsboss Marc Leemans befeuern die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung nur weiter. "Und es stellt ernsthafte Regierungsarbeit, um Lösungen in schwierigen Dossiers zu finden, in den Schatten", beklagt De Tijd.
"Nichts ärgert Bürger mehr als das Gefühl, dass diejenigen, die die Regeln machen, sie selbst nicht befolgen", hält De Standaard fest. Sowohl die Kammerpensionen als auch die Leemans-Kontroverse sind keine Lappalien. Vielmehr handelt es sich in beiden Fällen um Mechanismen, die ad-hoc eingeführt wurden, um bestimmte Probleme in einem gegebenen Kontext zu lösen. Allzu oft stellt sich aber später heraus, dass sie unerwünschte Nebenwirkungen haben oder Spielraum bieten, der von bestimmten Individuen oder Gruppen missbraucht wird. Die politisch Verantwortlichen lernen aber einfach nicht, dass solche Entgleisungen zügig behoben werden müssen. "Wenn etwas irgendwann einmal erst beschlossen worden ist, ist es nur sehr schwierig wieder zurückzunehmen", kritisiert De Standaard.
"Was Politiker und mit gutem Vorbild vorangehen angeht, war das mal wieder eine höllische Woche", stöhnt Le Soir: Montag haben wir erfahren, dass der unter Betrugs- und Mobbingverdacht stehende Greffier des wallonischen Parlaments trotz Suspendierung weiter sein volles Gehalt und Dienstwagen hat. Dienstag sorgte der sozialistische Bürgermeister von Seraing für Wirbel, der zwar zurücktritt, aber schöne Pöstchen in gleich zwei Kabinetten bekommen soll. Mittwoch Marc Leemans und der Pensionsskandal in der Kammer. Donnerstag noch ein lukratives Pöstchen für den Ex-Bürgermeister von Seraing bei Luminus. Und Freitag kam heraus, dass die Mutter des Chefs der flämischen Sozialisten, Conner Rousseau, sehr diskret zur Vorsitzenden einer wichtigen sozialistischen Krankenkasse ernannt worden ist. "Währenddessen dauerkriselt es in den flämischen und Brüsseler Regionalregierungen und auch auf föderaler Ebene schafft man es nicht, sich auf Lösungen für die brennendsten Probleme zu einigen", resümiert resigniert Le Soir.
Der Bauernprotest ist eine Metapher für 2024
Diverse flämische Zeitungen greifen die große Traktorendemonstration flämischer Landwirte am Freitag in Brüssel auf. "Die 3.000 Traktoren, die das Zentrum der Hauptstadt lahmgelegt haben, stehen für viel mehr als nur die Stickstoff-Krise in Flandern", meint Het Nieuwsblad. Sie sind ein Symbol für das Misstrauen in die Politik allgemein - auch wenn die flämische Regierung das mit ihrem Rumgeeiere sicher befeuert hat. Man sollte den Bauernprotest von Freitag als Metapher sehen für das, was die Politik 2024, nach den Wahlen, erwarten wird: Aus ganz Flandern werden unzufriedene Menschen nach Brüssel strömen, um den Aufstand gegen die Machtpolitik zu proben.
Am Freitag war eigentlich, mit Ausnahme vereinzelter CD&V-Politiker, nur eine einzige Partei in der Bauern-Karawane präsent - der rechtsextreme Vlaams Belang. Derweil sind die traditionellen Parteien voll dabei, ihre üblichen Wahlkampfmaschinen hochzufahren, sich Slogans auszudenken und an Kommunikationsstrategien zu tüfteln. Aber das werden nächstes Jahr keine normalen Wahlen werden, die Unzufriedenheit ist riesig, immer mehr Menschen wollen nichts mehr, als im Protest nach Brüssel zu marschieren. "Die Antwort darauf kann nicht lauten: mehr von der gewohnten Politik. Was wir stattdessen brauchen: gute Politik, Zusammenarbeiten und Perspektiven", wettert Het Nieuwsblad.
Boris Schmidt