"Die Tragödie", titelt Le Soir. "Totale Verwüstung", schreibt Gazet van Antwerpen in Großbuchstaben auf Seite eins. "Die Türkei und Syrien erwachen im Elend", so die Schlagzeile von De Standaard.
Ausnahmslos alle Titelseiten stehen im Zeichen der verheerenden Erdbebenkatastrophe in der Türkei und in Syrien. Man sieht Fotos, die apokalyptische Szenen zeigen: Eingestürzte Häuser, Menschen, die in den Trümmern nach Angehörigen und Freunden suchen. "Zerstörung, Leid und Trauer", so bringt das GrenzEcho die Lage auf den Punkt. "Die Zahl der Opfer wächst von Stunde zu Stunde", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Man befürchtet am Ende 25.000 Tote.", so die dicke Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Und die humanitäre Hilfe ist bei weitem nicht ausreichend", beklagt De Morgen auf Seite eins. Aber auch "Belgien wird der Türkei zu Hilfe eilen", notiert La Dernière Heure. Die Regierung will ein Hilfsteam in die Katastrophenregion schicken, das gegen Ende der Woche vor Ort sein soll.
Politik spielt hier keine Rolle
Bei Katastrophen wie diesen kommt sehr schnell weltweite Solidarität in Gang. Und das ist zumindest ein kleiner Trost, meint Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Wenn es um Kriege und Konflikte geht, dann ist die internationale Unterstützung meist noch selektiv, nämlich von nationalen Interessen geleitet. Bei einer Naturkatastrophe spielt Politik hingegen keine Rolle. Da kann auch der sonst so viel geschmähte Erdogan mit Unterstützung aus der ganzen Welt rechnen. Und das ist gut so. Bleibt zu hoffen, dass das Gleiche auch für Syrien gilt.
La Dernière Heure sieht das ähnlich. Bei einer Naturkatastrophe spielen politische Befindlichkeiten keine Rolle. Das geht so weit, dass sogar Griechenland keine Sekunde gezögert hat, "alle erdenkliche Unterstützung zur Verfügung zu stellen"; dabei verbindet die beiden Nachbar-Länder eine jahrhundertealte Rivalität. Es ist schön zu sehen, dass in einer Zeit, in der viele Nationen die Tendenz haben sich einzuigeln, noch ein solches Maß an Solidarität zu beobachten ist.
Energie - der Teufel steckt im Detail
Viele Leitartikler beschäftigen sich aber auch einmal mehr mit der Energiepolitik. Zunächst geht es da um die Reform der Besteuerung von Energieprodukten, auf die sich die Regierungsspitze am Montag geeinigt hat. Grob zusammengefasst bleibt die Mehrwertsteuer bei sechs Prozent. Zusätzlich werden aber Akzisen erhoben, um die Mindereinnahmen auszugleichen.
"Da hat die Vivaldi-Koalition ja doch noch die Kurve gekriegt", kommentiert sinngemäß La Libre Belgique. Gut, wie immer ist es so, dass die Feinheiten noch ausformuliert werden müssen. Und bekanntlich steckt ja der Teufel im Detail. Ebenfalls fraglich bleibt, ob die Reform für den Staat am Ende tatsächlich eine finanzielle Nulloperation bleibt, also keine neuen Schulden gemacht werden, wie es Premier De Croo versprochen hat. Für Euphorie ist es also noch zu früh. Aber immerhin, der Anfang ist gemacht.
"Die Regierung musste aber auch eine komplizierte Gleichung lösen", räumt De Tijd ein. Es ist doch so: Auf der einen Seite wollen wir nicht, dass die Steuern steigen;,auf der anderen Seite nehmen wir es der Regierung aber auch übel, wenn das Haushaltsdefizit größer wird. Die Vivaldi-Koalition hat das aber doch vergleichsweise elegant gelöst: Ein komplexes Zusammenspiel aus sinkender Mehrwertsteuer und zielgerichteten Akzisen, das mit einer ganzen Reihe von Sicherheitsriegeln versehen ist. Einziger wirklicher Kritikpunkt: Die Politik wagt es immer noch nicht, klar Farbe zu bekennen und deutlich zu machen, dass fossile Energieträger vor dem Hintergrund der Klimakrise eigentlich teuer bleiben müssen.
L'Avenir macht eine ähnliche Analyse. So unangenehm es auch sein mag, es kommt der Moment, in dem die Hilfen zurückgeschraubt werden müssen. Und die schlechte Neuigkeit ist natürlich, dass die Steuern beziehungsweise Abgaben jetzt steigen werden. Dahinter verbirgt sich aber eine glasklare haushaltspolitische Realität: Der Staat kann sich die Hilfen nicht mehr länger leisten. Mit einem Haushaltsdefizit von 5,1 Prozent ist Belgien im Moment der schlechteste Schüler der Eurozone. Dennoch ein Einwand: Die Steuerlast in Belgien ist ebenfalls so hoch wie in kaum einem anderen Land. Die versprochene Steuerreform ist längst überfällig.
Reality Check für die Grünen
Einige Blätter beleuchten auch nochmal den "Ausstieg aus dem Ausstieg". "Man kann sich schon darüber wundern, wie locker die Politik mal eben beiläufig Atomreaktoren aus- und dann doch wieder einschalten will", meint nachdenklich L'Echo. Nur zu Erinnerung: Atomenergie ist gefährlich, Kernspaltung ist explosiv, Uran ist hochradioaktiv. Dass man das überhaupt schreiben muss, ist eigentlich schon sehr bedenklich. Aber man muss sich doch die Frage stellen, ob wirklich jeder Politiker eben diese Feststellungen noch vor Augen hat. Jetzt denkt man plötzlich auch über eine Laufzeitverlängerung für die drei ältesten Reaktorblöcke nach. Also Doel 1 und 2, sowie Tihange 1. Dass man den Atomausstieg jetzt, angesichts der neuen geopolitischen Lage, rückgängig machen will, mag legitim sein. Aber die Sicherheit bleibt doch hoffentlich das oberste Gebot.
"Die Grünen sind in dieser Geschichte jedenfalls hoffnungslos isoliert", kann De Standaard nur feststellen. Ein ums andere Mal werden die Umweltparteien von der Realität rechts überholt. Das wäre nicht passiert, wenn sie sofort nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges die Lage richtig eingeschätzt hätten. Die deutschen Grünen hatten das verstanden, hatten ihre ideologischen Prinzipien angesichts der neuen Weltlage zurückgestellt. Und deshalb haben sie keine Windeier produziert.
Roger Pint