"Prozess um die Anschläge von Brüssel: Auslosung bestimmt über 36 Geschworene", titelt La Libre Belgique. "1.000 Aufgerufene, 36 Ausgewählte, 36 Enttäuschte?", fragt L'Avenir mit Blick auf die potenziellen Belastungen und Einschränkungen für Mitglieder der Jury. "Wird die Geschworenenjury zur Achillesferse des Terrorprozesses?", stellt sich De Standaard grundsätzliche Fragen.
Heute muss das Assisengericht in Brüssel zunächst über Freistellungsanträge von potenziellen Jurymitgliedern entscheiden, bevor die eigentliche Auslosung und letztliche Zusammenstellung stattfinden wird. Am Montag dann wird die erste Anhörung des historischen Prozesses um die islamistischen Angriffe am Flughafen und in der Metro von Brüssel stattfinden.
La Libre Belgique beleuchtet in diesem Zusammenhang in ihrem Leitartikel die Profile der Brüsseler Selbstmordattentäter und belgischer Dschihadisten allgemein: Die meisten von ihnen hatten vor ihrer Radikalisierung schon Probleme mit der Justiz. Viele von ihnen sind in schwierigen Familien aufgewachsen, sie haben nach dem Gesetz der Straße gelebt, dort Gewalt und den Hass auf Polizisten gelernt. Belgien mag zwar seit den Anschlägen in puncto radikaler Islam aufgeräumt haben, aber etwas anderes hat das Land noch immer nicht verstanden: das Ausmaß des Problems, das Jugendliche mit Migrationshintergrund aus zerrütteten Familien darstellen können. Die Gewalt, die Brüssel am Sonntag anlässlich des WM-Spiels zwischen Belgien und Marokko erschüttert hat, darf deswegen auch nicht heruntergespielt werden. Diese Krawallmacher sind zwar eine Minderheit, aber sie fügen dem Rest ihrer Gemeinschaft einen enormen Schaden zu. Deswegen sollten wir auch auf die Stimmen hören, die aus dieser Gemeinschaft selbst ein hartes Durchgreifen gegen diese inakzeptable Kultur der Gewalt fordern, meint La Libre Belgique.
Es gibt kein "Marokkanerproblem"
Morgen wird Marokko in Katar gegen Kanada spielen, erinnert Het Belang van Limburg. Ob die marokkanische Mannschaft gewinnen wird oder nicht, ist aber schon zur absoluten Nebensache geworden. Was die ganze Welt wirklich wissen will, ist, ob es eine Wiederholung der Ausschreitungen vom Sonntag geben wird. Für die Rechtsextremen waren die Vorfälle natürlich eine Steilvorlage, die sie mehr als dankend angenommen haben für ihre Kampagnen. Aber um ganz deutlich zu sein: Nein, es gibt kein "Marokkanerproblem", es ist einfach falsch, mit dem Finger auf eine ganze Bevölkerungsgruppe zu zeigen nur wegen einiger frustrierter Nichtsnutze. Wir dürfen aber nicht leugnen, dass es Probleme gibt innerhalb der marokkanischen Gemeinschaft. Zumindest in der von Brüssel. Denn andernorts im Land hat man es durchaus hinbekommen, friedlich den Sieg zu feiern. Diese Art von Gewalt in Brüssel kennen wir im Übrigen ja auch schon von früher, etwa aus den Silvesternächten. Auch daran sieht man, dass diese Krawallmacher gar keinen Grund brauchen für ihre Exzesse. Diese Menschen berauschen sich einfach an Zerstörung und Gewalt. Sie messen sich darin mit Banden aus anderen Stadtteilen. Das hat überhaupt nichts mit Fußball zu tun, nichts mit Belgien, nichts mit Marokko. Hier geht es schlicht um Idiotie, wettert Het Belang van Limburg.
Tarifverhandlungen und Inflation
Gazet van Antwerpen kommentiert derweil den Schlichtungsvorschlag, mit dem die Föderalregierung wieder Bewegung in die festgefahrenen Tarifverhandlungen bringen wollte: Für einmal hat die Regierung doch Tatkraft bewiesen. Allerdings sind die Reaktionen auf ihren Vorstoß negativ ausgefallen – sowohl vonseiten der Arbeitgeber als auch vonseiten der Gewerkschaften. Wenn alle gleich unzufrieden sind, dann kann das doch nur bedeuten, dass die Regierung einen guten Kompromissvorschlag gemacht hat. Man muss aber auch festhalten, dass man nicht mehr wirklich von Sozialpartnern sprechen kann, wenn eine nach Meinung von Experten "bezahlbare und ausgeglichene Einigung" derart abgeschossen wird. Das ist einfach nur noch eine alles lähmende Polarisierung, beklagt Gazet van Antwerpen.
Het Nieuwsblad befasst sich mit den jüngsten Meldungen zur Inflation: Die Teuerung scheint ihren Peak erreicht zu haben, weltweit hört man positive Berichte. Das sind gute Nachrichten für Wirtschaft und Betriebe, zumindest kurzfristig betrachtet. Aber diese Lichtblicke sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass quasi nichts darauf hindeutet, dass unser Leben effektiv weniger teuer werden könnte. Hinzu kommt, dass es nur Prognosen sind. Ein strenger Winter könnte diese positive Entwicklung zum Beispiel bremsen. Unerwartete geopolitische Probleme, in China etwa, könnten sie ganz zum Erliegen bringen. Man muss kein Wahrsager sein, um zu wissen, dass die Kaufkraftkrise noch lange andauern wird, warnt Het Nieuwsblad.
Unerhörter Mut
Andere Zeitungen blicken auf die anhaltenden Proteste gegen die strenge Null-Covid-Politik in China: Le Soir beispielsweise freut sich darüber, wie sich gerade wieder zeigt, wie sich Völker als Stein im Schuh beziehungsweise im Stiefel von Diktatoren erweisen können. Das sieht man in China, das sieht man an den von iranischen Frauen angestoßenen Protesten gegen das Mullah-Regime und auch an den Ukrainern, die sich unerwartet heftig dem Aggressor Wladimir Putin widersetzen. Man muss natürlich auch aufpassen: Auch in Demokratien können die Machthabenden durchaus blind sein für diese Art von "menschlichem Faktor", über den Peking, Teheran und Moskau gerade stolpern. Diese Art von Revolten schafft es außerdem auch nicht immer, sich gegen skrupellose und blutrünstige Regime durchzusetzen. Und schließlich können solche Bewegungen letztlich auch durchaus mehr als zweifelhafte Gestalten an die Macht bringen. Aber heute sollten wir trotzdem vor allem den unerhörten Mut dieser Menschen würdigen und ihn unterstützen, fordert Le Soir.
Boris Schmidt
Apropos "strenge Null-Covid-Politik in China":
Noch Ende 2020 lobten viele westliche Politiker und auch die (dazuge)hörige Mehrheit der Presse die Maßnahmen Chinas, um das Corona-Virus einzudämmen.
Und auf einmal kritisiert jederman die KPChina für diese Vorgehensweise.
dann sollten sich viele Politiker in unseren Breiten sich mal für die damaligen Maßnahmen entschuldigen.
Denn damalige Maßnahmen-Kritiker und -gegner wurden bezeichnet als Corona-Leugner, Covidioten bis hin zu "rechtsradikalen Oma-Mördern" (war mir passiert)
Man merke: der Lockdown war bis dato der größte Erfolg der chinesischen Propaganda, und sonst gar nichts.
Niemand wusste zu Beginn 2020, was auf uns zu kommen würde, aber wo bleibt die offizielle Aufarbeitung dieser Vergangenheit?
Wer von den Offiziellen nun die Zustände in China an den Pranger stellt, sollte zuerst mal vor der eigenen Haustür kehren.