"Zurück zum normalen Leben", titelt De Tijd. "Zurück zur Normalität in zwei Schritten", so die Schlagzeile des GrenzEcho. "Der Herbst der Freiheit kommt sicher", schreibt Het Laatste Nieuws auf Seite eins.
Der Konzertierungsausschuss hat am Freitag die Weichen gestellt hin zu einer Rückkehr zu einem mehr oder weniger normalen Leben. Die Vertreter aller Regierungen des Landes beschlossen eine ganze Reihe von neuen Lockerungen. Die meisten davon treten am 1. September in Kraft. Grob zusammengefasst: Für kleinere Zusammenkünfte, ob nun im privaten Rahmen oder im öffentlichen Raum, werden so gut wie keine Corona-Einschränkungen gelten.
"Und das sollten wir, bitte schön, jetzt auch mal wirklich genießen", empfiehlt Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Ab dem ersten September gelten so gut wie keine Corona-Regeln mehr, abgesehen vielleicht von der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, Geschäften oder öffentlichen Gebäuden. Was seltsam ist: Die wohl größte Herausforderung wird es wohl sein, davon auch wirklich ohne Skrupel wieder genießen zu können. Jeder weiß es wohl aus eigener Erfahrung: Bilder von Großveranstaltungen oder einfach nur eine Umarmung in einem älteren Fernsehfilm sorgen oft noch für ein gewisses mulmiges Gefühl. Geschweige denn die Vorstellung, dass man sich selbst inmitten von großen Menschenmassen bewegen soll. Dieses Phänomen ist vor allem in Cafés und Kneipen sichtbar: Ob nun Sperrstunde oder nicht, viele gehen schon vor Mitternacht nach Hause. Auch die großen Festivals, die stattfinden konnten, waren nicht ausverkauft. Es wäre aber sehr schade, wenn wir weiterhin mit angezogener Handbremse durchs Leben gehen. Der burgundische Lebensstil ist Teil dieses Landes. Corona sollte uns dieses Gefühl nicht nehmen.
Man sollte sich nicht zu früh freuen
"Corona wird Teil der "neuen Normalität" sein", ist auch das GrenzEcho überzeugt. Wir alle werden lernen müssen, mit dem Virus zu leben. Mit dem Risiko, dass eine Ansteckung in wenigen Fällen auch tödlich enden kann. Und auch die Medien müssen lernen, Corona als eine neue Normalität zu akzeptieren und Corona-Zahlen gegenüber immer noch weit tödlicheren Krankheiten wie Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu relativieren. Und auf ihre Veröffentlichung zu verzichten.
"Ab dem 1. September werden die Zügel wirklich spürbar gelockert", bemerkt auch L'Avenir. Merken wird man das vor allem im Horeca-Sektor. Aber auch Sportveranstaltungen oder Kulturevents werden bald auch wieder mehr oder weniger normal ablaufen können. Man sollte sich aber nicht zu früh freuen. Diese Pandemie hat uns schon oft überrascht. Ein Wiederaufflammen in den nächsten Wochen oder Monaten ist nicht hundertprozentig auszuschließen. Vielleicht kehrt die "alte" Normalität nie wirklich zurück.
"Impf-Pflicht ist zu rechtfertigen"
"Dennoch: Das haben wir uns jetzt erstmal verdient", findet Gazet van Antwerpen. Natürlich dürfen die Masken noch nicht eingemottet werden. Und auch einen Corona-Pass sollte man am besten mit sich führen. Aber was ist das schon im Vergleich zu dem, was wir seit knapp anderthalb Jahren erlebt haben? Zu verdanken haben wir diese Lockerungen der perfekt organisierten Impf-Kampagne. Denn nur eine großflächige Impfung kann dafür sorgen, dass wir das Reich der Freiheit erreichen und dort auch bleiben können. Deswegen ist auch die geplante Impf-Pflicht für Pflegekräfte absolut zu rechtfertigen. Dies allein schon vor dem Hintergrund, dass die ersten Impfungen den älteren und schwächeren Mitbürgern verabreicht wurden. Wir wissen, dass der Wirkungsgrad mit der Zeit abnimmt. Und es kann nicht sein, dass diese Menschen Gefahr laufen, sich in Krankenhäusern oder Pflegeheimen anzustecken.
De Tijd sieht das genauso. Die Regierungen des Landes gehen hier eigentlich ein kalkuliertes Risiko ein. Denn, nicht vergessen: Die Corona-Zahlen steigen wieder. Nur geht man davon aus, dass diese Situation beherrschbar bleibt. Grundvoraussetzung dafür ist eine ausreichend hohe Impf-Quote. Dass die neuen Lockerungen an eine Impf-Pflicht für Pflegekräfte gekoppelt werden, das ist denn auch absolut zu rechtfertigen. Mehr noch: Müssen wir nicht sogar darüber nachdenken, diese Maßnahme auf andere Berufsgruppen auszuweiten, die ebenfalls mit vielen Menschen in Kontakt kommen? Mit Verpflichtungen jedweder Art müssen Demokratien vorsichtig sein. Wenn das aber der Preis ist für eine Rückkehr zur Normalität, dann soll es so sein.
Komplexer Brüsseler Wasserkopf
Bei alledem ist aber ein Elefant im Raum: Von all diesen neuen Lockerungen ist Brüssel nämlich ausgenommen. "Brüssel bezahlt den Preis für seine schlechten Zahlen", so fassen es Le Soir und La Libre Belgique zusammen. Schuld ist vor allem die niedrige Impf-Quote in der Hauptstadt.
"Armes Brüssel", meint dazu leicht pathetisch Het Nieuwsblad. Die Impf-Quote in einigen Brüsseler Stadtgemeinden ist regelrecht erbärmlich, in jedem Fall aber gefährlich niedrig. Deswegen bleibt die Hauptstadt erstmal außen vor. Das ist besonders bitter für all diejenigen, die sich längst haben impfen lassen. Wo liegt das Problem? Die oft angeführte Erklärung, wonach Brüssel als einzige wirkliche Großstadt des Landes spezifische Probleme habe, diese Erklärung hinkt. In Europa gibt es viele vergleichbare Städte, in denen die Impf-Quote sichtbar höher liegt. Wahrscheinlicher ist wohl, dass die Komplexität des Brüsseler Wasserkopfes die Ursache ist. Da wird jedenfalls in den nächsten Wochen noch viel passieren müssen.
La Libre Belgique sieht ein Damoklesschwert über der Hauptstadt baumeln. Der Brüsseler Impf-Rückstand sorgt für Spannungen zwischen den Regionen des Landes und auch zwischen den Parteien. Wenn die Hauptstädter sich jetzt nicht auf die Hinterbeine stellen, dann werden sie womöglich nicht an der Einführung eines Corona-Passes nach französischem Vorbild vorbeikommen. Der Brüsseler Ministerpräsident Rudi Vervoort hatte erklärt, dass er notfalls sogar von Tür zu Tür gehen wolle, um für die Impfung zu werben. Nun, er sollte schnellstens damit anfangen.
Schwierige Evakuierungsmission in Afghanistan
Zweites großes Thema, das ist die belgische Evakuierungsmission in Kabul, die am Freitag angelaufen ist. Die Operation erweist sich aber als schwierig. "Nur 16 Belgier wurden evakuiert; Schuld ist das Chaos am Flughafen", titeln Het Belang van Limburg und Het Nieuwsblad. Andere Blätter sind da weniger diplomatisch: "Die Evakuierung aus Kabul ist ein einziges Fiasko", schreibt Gazet van Antwerpen. De Standaard setzt noch einen drauf: "Operation Red Kite, die Versagerin unter den Evakuierungsmissionen".
Einige Leitartikler beschäftigen sich noch einmal mit der allgemeinen Situation in Afghanistan. "Für die neuen Herren von Kabul schlägt bald die Stunde der Wahrheit", glaubt etwa L'Echo. Frage ist, ob die internationale Gemeinschaft den Druck so weit aufrechterhalten kann, dass die Taliban die Menschenrechte achten, insbesondere die Frauenrechte. Man darf ihre Versprechen jedenfalls nicht glauben. Den Beweis müssen sie durch Taten erbringen. Ein erster Schritt, das wäre, den Ausreisewilligen nicht den Zugang zum Flughafen zu verwehren.
De Standaard übt noch einmal harsche Kritik an der Haltung der USA und insbesondere des Präsidenten Joe Biden. Der ungeordnete und beschämende Abzug aus Afghanistan sorgt für einen monumentalen Ansehensverlust. Het Belang van Limburg sieht hier sogar den Beginn einer neuen Weltordnung. Washington, und breiter gefasst die Nato, gar der Westen insgesamt, werden hier vor den Augen der Welt erniedrigt. Wieder wird der Demokratie als politischem System ein herber Schlag versetzt. Das spielt den Autokraten in die Hände. Angefangen bei Russland und China. Die USA sind nicht länger die dominierende Weltmacht. Und fragen Sie mal einen Boxer: Wer zurückweichen muss, der läuft Gefahr noch mehr einstecken zu müssen.
Roger Pint