"Jetzt beschränkt auch Belgien seine Impfungen mit Astrazeneca", titelt De Standaard. "Astrazeneca nur noch für Belgier ab 56 Jahren", schreiben Gazet van Antwerpen und das GrenzEcho auf Seite eins. Bei einigen Zeitungen liest man eine andere Altersgrenze: "Der Impfstoff von Astrazeneca ist erstmal nur noch über 55-Jährigen vorbehalten", titeln etwa La Libre Belgique und Le Soir. "Astrazeneca einen Monat lang nur für über 55-Jährige", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
EMA hält trotz der Nebenwirkungen an Astrazeneca fest
Belgien hat jedenfalls entschieden, auf die Linie anderer Länder einzuschwenken und den Astrazeneca-Impfstoff erstmal nur noch Menschen ab 56 zu verabreichen. "Wieder ein Rückschlag für die Impfkampagne", meint denn auch De Morgen auf Seite eins. Wobei die Maßnahme erstmal nur für einen Monat gilt. Bis dahin hofft man, über noch mehr Informationen zu den Nebenwirkungen des Impfstoffs zu verfügen. "Belgien drückt den Pausenknopf für Astrazeneca und gewinnt damit Zeit", glaubt Het Belang van Limburg.
Die Leitartikler sind bei der Bewertung der Entscheidung nicht immer einer Meinung. Jetzt haben sich die Gesundheitsminister des Landes doch noch in eine Sackgasse manövriert, meint etwa Het Nieuwsblad. Bis vor Kurzem noch hatte sich Belgien gegen den allgemeinen Trend in Europa gestellt und den Impfstoff von Astrazeneca ohne Einschränkungen weiter verimpft. Und die Europäische Arzneimittelagentur EMA hatte den Belgiern Recht gegeben. Bis Belgien gestern dann doch auf die Linie anderer EU-Staaten eingeschwenkt ist. Jetzt wird also auch hierzulande eine Altersgrenze festgelegt. Wobei die EMA den Astrazeneca-Impfstoff nach wie vor uneingeschränkt empfiehlt. Diese Entscheidung kann die Impfkampagne in den nächsten Wochen empfindlich verzögern. Beim besten Willen: Das ist nicht nachvollziehbar!
Meinungen über Astrazeneca-Entscheidung gehen auseinander
Das GrenzEcho sieht das ähnlich. Inzwischen werden in Europa offensichtlich schon ganze Strategien am schlimmstmöglichen Fall ausgerichtet. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls im Bereich des Zu-Vernachlässigenden liegt. Wenn sogar die Europäische Arzneimittelagentur EMA die Vorteile des Astrazeneca-Impfstoffes zum wiederholten Male höher einschätzt als die Risiken, dann sollte man das Wort der Wissenschaftler als Fanal nehmen, um, nach all den Versagen, die man bislang angehäuft hat, das Steuer endlich herumzureißen und ohne Wenn und Aber auf die Karte "Impfen" zu setzen.
L'Avenir ist komplett anderer Meinung. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat offensichtlich Wochen gebraucht, um nun doch kleinlaut einzugestehen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Impfstoff von Astrazeneca und tödlichen Thrombose-Fällen. Die entsprechenden Warnungen insbesondere aus Nordeuropa hat man geflissentlich ignoriert. Auch in Belgien, wo ungeachtet der offenen Fragen einfach fleißig weitergeimpft wurde. Das Risiko fataler Nebenwirkungen mag sehr gering sein, den Angehörigen eines Betroffenen dürften die Statistiken aber ziemlich egal sein. Hinzu kommt: Die Nebenwirkungen betreffen vor allem junge Menschen. Also genau die Altersgruppe, bei denen die Wahrscheinlichkeit, an Covid zu sterben, sehr gering ist. Man muss sich wirklich die Frage stellen, ob es richtig war, am Astrazeneca-Impfstoff festzuhalten.
La Dernière Heure gibt sich bei alledem salomonisch. Klar gibt es die Berichte über Nebenwirkungen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber nicht hoch genug, um wirklich die Alarmglocken schrillen zu lassen. Nur: Wenn man das Vertrauen der Bürger nicht verlieren will, dann muss man so transparent wie eben möglich damit umgehen. Jetzt räumt die EMA ein, dass es einen möglichen Zusammenhang zwischen den sehr seltenen Thrombose-Fällen und dem Astrazeneca-Impfstoff gibt; und das vornehmlich bei jüngeren Menschen. Und Belgien wendet jetzt eben das Vorbeugeprinzip an, indem man eine Altersbeschränkung festlegt. Die Impfkampagne wird das kaum beeinträchtigen, im Moment sind ohnehin vor allem die Älteren an der Reihe.
Von der Leyens Reise in die Türkei mit "Reise nach Jerusalem"
Auf vielen Titelseiten sieht man heute aber auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Bekam von der Leyen bewusst keinen Stuhl?", fragt sich De Morgen auf Seite eins. Die höchsten Vertreter der EU waren vorgestern zu Gast beim türkischen Präsidenten Erdogan. Es gab aber nur zwei Stühle, einen für ihn und einen für den EU-Ratspräsidenten Charles Michel. "Von der Leyen war gezwungen, auf dem Sofa Platz zu nehmen und den Männern beim Reden zuzusehen", so interpretiert De Tijd die Szene. "Von der Leyen wurde in Ankara gedemütigt", meint L'Echo. La Libre Belgique sieht den Fehler auch bei Charles Michel, der die Situation hätte entschärfen können, wenn er zum Beispiel aufgestanden wäre. Das Urteil von La Libre: "Charles Michel ist Erdogan in die Falle getappt".
Genauso sieht das auch De Morgen. Für Charles Michel scheint es das normalste der Welt gewesen zu sein, dass er einen Stuhl bekam und seine weibliche Kollegin nicht. So beiläufig die Geschichte auch klingen mag: Für Ursula von der Leyen war es eine schmerzliche und erniedrigende Erfahrung. Und dieses Gefühl kennen viele Frauen: Von Männern beiseite geschoben zu werden, die sich selbst für das Zentrum der Welt halten. Nach dem Motto: "Sois belle et tais-toi", sei hübsch und halt' den Mund...
Der diplomatische Zwischenfall steht auch stellvertretend für die Naivität der EU-Außenpolitik, analysiert Het Belang van Limburg. Wie kann sich nur ein so mächtiger Wirtschaftsblock wie die EU von einem autokratischen Herrscher derartig vorführen lassen? Das war jedenfalls kein Betriebsunfall, sondern eine gezielt frauenfeindliche Aktion. Und Charles Michel hat sich bereitwillig in die Falle locken lassen.
Ursula von der Leyen reagierte ihrerseits mit einem verstörten "Ähm?!", stellt Het Laatste Nieuws fest. "Ähm?!", das war vor allem die Reaktion auf das Verhalten von Charles Michel, der, ohne zu zögern und zielsicher, den einzigen noch verbleibenden Stuhl für sich eroberte. Und angesichts dieser Bilder dürfte vielen wohl ein solch irritiertes "Ähm!" über die Lippen kommen. Michel hätte die Situation nämlich leicht entschärfen können, indem er etwa seiner Kollegin galant den Stuhl angeboten hätte. Zumal es ja bei dem Gespräch unter anderem auch noch um Frauenrechte ging; nachdem die Türkei ja angekündigt hatte, sich aus der Istanbuler Konvention zurückzuziehen, die ja eben Frauen schützen soll. Und so hat Erdogan die EU mit Hilfe eines einfachen Stuhltanzes vorgeführt.
Roger Pint