"Astrazeneca auch für Über-55-Jährige", titeln gleichlautend Gazet van Antwerpen, Het Belang van Limburg, und De Morgen. "Astrazeneca auch für Ältere ab 55, mehr Zeit zwischen zwei Impfdosen", schreibt das GrenzEcho. "Impfen soll schneller gehen – und heute werden wir erfahren, wie schnell", so Het Laatste Nieuws.
Die verschiedenen Gesundheitsminister des Landes sollen heute beraten, wie die Impfkampagne beschleunigt werden kann. Es wird erwartet, dass sie sich dabei auch an neuen Empfehlungen des Hohen Gesundheitsrates orientieren werden. Der bewertet den Impfstoff von Astrazeneca auf der Basis neuer Studien jetzt als sicher und wirksam für alle Erwachsenen. Und sagt, dass unter bestimmten Umständen der Zeitraum zwischen der ersten und zweiten Dosis des Pfizer-Impfstoffs verlängert werden kann.
Eigentlich ist die Impfkampagne noch gar nicht richtig angelaufen, schon rufen einige der Väter und Mütter der Kampagne nach einem "Reset", kommentiert das GrenzEcho. Fakt ist, dass bislang in Belgien etwas mehr als eine halbe Million Menschen geimpft wurden. Das ist nicht besonders viel in gut zwei Monaten.
Pannen gab es auch schon etliche: Zu wenige Einladungen, Online-Adressen, die nicht funktionierten, Adressaten, die es nicht gibt, Bedenken in Sachen Datenschutz, Astrazeneca-Impfstoff nur für Unter-55-Jährige.
Den Start der belgischen Impfkampagne muss man wohl oder übel in die Serie von Pleiten, Pech und Pannen einreihen, die das Krisenmanagement der Coronapandemie seit nunmehr praktisch einem Jahr begleiten. Man kann daher nur hoffen, dass bestehende Probleme schnell behoben werden und dass die Impfzentren in Sachen Impfstoffen aus dem Vollen schöpfen können. Wie viel Schaden zu viel Vorsicht und lautes Nachdenken verursachen können, hat sich am Astrazeneca-Vakzin gezeigt, stellt das GrenzEcho fest.
Risse in der europäischen Koordination und Solidarität
Für eine höhere Geschwindigkeit der belgischen Impfkampagne bräuchte es nicht nur ausreichend Impfstoffdosen, meint Le Soir, sondern vor allem einen klaren Terminplan, welche Bürgerkategorien wann an die Reihe kommen sollen. Unter Berücksichtigung der Mitmachbereitschaft der Bevölkerung. Das scheint noch nicht der Fall zu sein, denn ein Gedränge ist in den Impfzentren nicht festzustellen. Und wenn ein Über-65-Jähriger ohne Termin in einem fast leeren Impfzentrum abgewiesen wird, läuft etwas verkehrt.
Auch auf der europäischen Ebene gibt es Probleme. Gerade einmal fünf Prozent der Europäer sind bisher geimpft worden. Und in Sachen Koordination und Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten werden die Risse immer offensichtlicher. Ungarn hat nicht auf die Genehmigung durch die Europäische Arzneimittelagentur gewartet und sich Impfstoffe aus Russland und China besorgt. Dadurch ist es dem Land gelungen, sich beim Fortschritt der Impfkampagne auf Platz zwei in der EU vorzuarbeiten, hinter Dänemark.
Angesichts der Lieferverzögerungen bei Moderna und Astrazeneca haben Österreich und Dänemark bereits eine mögliche Zusammenarbeit bei der Herstellung von Impfstoffen mit Israel angekündigt. Und weitere, vor allem osteuropäische Länder denken auch schon darüber nach, sich anderweitig einzudecken, hält Le Soir fest.
Russland und China bauen Einfluss dank Impfstoffen aus
Auch L'Echo ärgert sich: Europa und vor allem Belgien haben die notwendige Expertise und die Kapazitäten zur Herstellung der Coronavirus-Impfstoffe. Aber die Entscheidung über deren Verteilung vor allem an andere Länder wird andernorts getroffen, in den Konzernzentralen außerhalb Europas.
Das führt dazu, dass schon acht EU-Staaten sich beispielsweise Russland, China und Israel zuwenden, um Impfstoffe zu bekommen. Dieser Schlag gegen die europäische Solidarität ist auch ein Risiko für die Impfstrategie der EU. Und während europäische Regierungschefs Alleingänge machen, um bei den eigenen Wählern zu punkten, verstärken Russland und China ihren weltweiten Einfluss durch Impfstoffdiplomatie, warnt L'Echo.
Ethische Argumente und demokratische Rechte
De Standaard befasst sich mit der Diskussion um eine Corona-Impfpflicht für das Gesundheitspersonal. Oft geht es bei den Impfverweigerern in diesem Sektor um junge Frauen, die sich Sorgen machen, ob sie nach einer Impfung noch Kinder bekommen können. Dieser Sorge liegen Theorien zugrunde, die fast jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren.
Vor allem aus dem Gesundheitssektor selbst kommt deshalb die Forderung, das Problem einfach durch eine Impfpflicht zu lösen. Und das ist nachvollziehbar. Aber es gibt auch Gegenargumente: Eine Impfpflicht könnte den Widerstand nur noch verstärken. Und wäre Wasser auf die Mühlen der Verschwörungstheoretiker.
Abgesehen davon gibt es auch ein wichtiges ethisches Argument: Menschen haben das Recht, selbst zu entscheiden, was mit ihrem Körper passiert. Aufklärung muss deshalb das Motto sein, Zwang sollte nur als allerletzter Ausweg in der Not erwogen werden, meint De Standaard.
La Dernière Heure greift schließlich einen Aufruf der Virologin Erika Vlieghe auf, die auch Chefin der Expertengruppe GEMS ist. Die hatte gefordert, dass die Menschen nicht immer jammern und meckern sollten.
Meckern ist ein Ventil, betont die Zeitung. Und Teil der belgischen DNA. Seit einem Jahr haben wir Dutzende Gründe zu meckern: über die widersprüchlichen Mitteilungen der vielen Experten, über unsere beschnittenen Freiheiten, über das verkorkste Testen und die Nachverfolgung, über eine Impfkampagne im Schneckentempo, für die unsere gewählten Volksvertreter verantwortlich sind, über die Aufhebung des Lockdowns, die noch immer nicht in Sicht ist, über die von der Regierung verteilten Mundschutzmasken von Avrox, die vielleicht gesundheitsschädlich sind. Und das sind noch längst nicht alle Gründe, um zu meckern. Noch ist Meckern unser demokratisches Recht, betont La Dernière Heure.
Boris Schmidt