"Eine Frau als Premierministerin, das schafft einen Präzedenzfall", zitiert L'Echo Übergangspremierministerin Sophie Wilmès auf Seite eins. "Eine Regierung aus PS und N-VA bleibt das beste Szenario", lässt La Libre Belgique Wilmès auf ihrer Titelseite sagen. "Die Kinder fragen, ob ich jetzt noch seltener zu Hause sein werde", so Wilmès bei Het Laatste Nieuws.
Viele Zeitungen veröffentlichen heute ausführliche Interviews mit der neuen Übergangspremierministerin Sophie Wilmès. Seit vergangenem Sonntag ist sie die erste Frau, die in Belgien eine Regierung leitet. Da die Zeitungen das bereits am Montag ausführlich kommentiert hatten, widmen sie ihre Leitartikel heute anderen Themen.
Nur ein Tropfen auf den heißen Stein
Het Nieuwsblad schreibt zum seit Freitag geltenden Gesetz, dass Tabakwaren nicht mehr an unter 18-Jährige verkauft werden dürfen: Belgien ist eines der letzten Länder in Europa, das das Mindestalter von 16 auf 18 Jahre hochgesetzt hat. Dieses Verbot ist natürlich zu begrüßen, denn die Schäden des Rauchens sind allgemein bekannt. Natürlich muss das Gesetz jetzt aber auch durchgesetzt werden. Und das wird schwierig. Denn schon bislang war es leicht auch für Jugendliche, die noch nicht 16 Jahre alt waren, Tabakwaren zu kaufen. Stichproben unserer Zeitung haben das gezeigt. Zwar sollen ab Montag 30 Kontrolleure bei Tabakverkäufern schauen, ob die sich an das Verkaufsverbot halten - doch das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Beim Kampf gegen das Rauchen bei Jugendlichen sind nicht nur die Tabakhändler gefragt, sondern auch die Politiker, die Erziehungsberechtigten und letztlich auch die Jugendlichen selbst, findet Het Nieuwsblad.
De Tijd beschäftigt sich mit den Klimaambitionen Belgiens und berichtet: Die Europäische Umweltagentur hat festgestellt, dass aufgrund der derzeitigen Anstrengungen Belgien die Klimaziele nicht nur für 2020, sondern auch für 2030 sang- und klanglos verfehlen wird. Verantwortlich dafür ist vor allem die flämische Industrie. Denn sie trägt maßgeblich zur Umweltbelastung in Belgien bei. Bemühungen, eine ambitionierte Klimapolitik in Flandern auf die Beine zu stellen, sind allerdings nicht festzustellen. Die im Regierungsabkommen festgeschriebenen Klimaziele seien nur das Minimum, was erreicht werden soll, rechtfertigt die flämische Regionalregierung die schwachen Ambitionen. Eine schwache Argumentation, kritisiert De Tijd.
"Fremdlinge", lebensmüde Alte und der Pharmasektor
De Morgen kommt auf die Äußerungen von CD&V-Politikern zur angeblichen "Entvölkerung" zurück, auf die Behauptung, dass immer mehr Fremde in Flandern wohnen würden. Die Zeitung ärgert sich: Bei dieser Pauschaldebatte werden wieder unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in einen Topf geworfen. Menschen, die tatsächlich gerade als Flüchtlinge zu uns kommen, werden genauso als "fremd" bezeichnet, wie die Kinder von Menschen, die schon vor Jahrzehnten zu uns gekommen sind. Kinder, die sich wie Belgier fühlen und natürlich auch wie Belgier behandelt werden wollen. Sie als "Fremdlinge" abzustempeln, bedeutet, die Sprache des Vlaams Belang zu benutzen, schimpft De Morgen.
Mit der Frage nach Euthanasie für lebensmüde ältere Menschen kommt Het Laatste Nieuws auf eine andere Debatte der ausklingenden Woche zurück und notiert: Verschiedene Standpunkte werden bei dieser Debatte jetzt wieder ins Feld geführt. Soll man auch gesunden älteren Menschen die Möglichkeit des selbstbestimmten Freitods einräumen? Ist das gut? Oder moralisch doch verwerflich, weil zu kurzsichtig? Die meisten Standpunkte sind durchaus vertretbar. Weshalb es auch gut ist, dass sie jetzt wieder diskutiert werden. Wir müssen uns mit dieser Frage beschäftigen bei einer immer älter werdenden Gesellschaft, in der sich die Senioren durchaus ja fragen, wie alt sie denn werden wollen. Sich der Diskussion zu verweigern, wäre der falsche Weg, ist Het Laatste Nieuws überzeugt.
Le Soir stellt in ihrem Aufmacher fest, dass das Thema Gesundheit und ihre Kosten seit dem Ende der parlamentarischen Sommerpause ständig auf der politischen Agenda steht. Die Zeitung kommentiert: Besonders der Pharmasektor steht im Fokus der Kritik. Die Preise für Arzneimittel seien einfach zu hoch. Die Pharmaindustrie fühlt sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Hat sie Recht? Nur zum Teil. Tatsächlich sind hohe Arzneimittelkosten nicht allein für das teure Gesundheitswesen verantwortlich. Aber so ganz falsch ist der Vorwurf an die Pharmaindustrie auch nicht. Sie hat einen starken Einfluss auf die Politik, gewisse Praktiken sind umstritten und sorgen für ein desaströses Image dieses Sektors. Das ganze Gesundheitswesen müsste mal von Grund auf reformiert werden, fordert Le Soir.
Ein Vorgeschmack
Het Belang van Limburg blickt auf den Brexit: Eigentlich hätte Boris Johnson jetzt mit einem Bier und einer Packung Chips entspannen können. Seine vorgezogenen Neuwahlen wird er bekommen und zurzeit sehen ihn alle Umfragen vorn. Doch dann vermasselte Nigel Farage von der Brexit-Partei ihm das Wochenende. Der kritisierte Johnson auf ganzer Linie und bekam dafür Applaus von keinem Geringeren als Donald Trump.
Das gibt einen Vorgeschmack auf das, was uns bis zu den Wahlen in Großbritannien bevorsteht: bürgerkriegsähnliche Zustände nämlich in der Politik. Wo keiner heute schon sagen kann, wie es am Ende ausgehen wird. Der Brexit hat bislang alle Vorhersagen Lügen gestraft, erinnert Het Belang van Limburg.
Kay Wagner