"Wir brauchen schnell eine "nüchterne" Regierung mit zehn Ministern", das sagt heute der amtierende Open-VLD-Vizepremier Alexander De Croo auf Seite eins von Het Laatste Nieuws. Der flämische Liberale scheint sich damit dem Appell des Arbeitgeberverbandes FEB von Freitag anzuschließen. Die FEB hatte eindringlich davor gewarnt, das Land bis zum Ende des Jahres ohne Steuermann dahindümpeln zu lassen. Der Arbeitgeberverband verwies dabei unter anderem auf den bevorstehenden Brexit und den zu befürchtenden Konjunkturknick. In einem solchen Kontext brauche das Land in jedem Fall eine handlungsfähige Regierung. In Ermangelung einer Koalition könne das auch eine Art "Notregierung" sein.
Alexander De Croo sieht das anders. Es müsse möglich sein, eine vollwertige Regierung zu bilden. Ihm schwebt da auch schon eine Konstellation vor: ein Bündnis aus Liberalen, Sozialisten und N-VA. Der Flame spricht von einer violett-gelben Koalition. Eine Regierung ohne die flämischen Nationalisten ist für Alexander De Croo erst einmal keine Option. Und wenn er von einer "nüchternen" Regierung spricht, dann meint er damit in erster Linie deren Zusammensetzung: Für ihn wären zehn Minister ausreichend, statt bislang 14 oder 15.
Der Kampf um den MR-Vorsitz
Die Sommerpause ist vorbei und der Samstag ist wieder der Tag der politischen Interviews. "Wenn Willy Borsus nicht kandidiert, dann werde ich mich nicht zurückhalten", sagt der amtierende MR-Föderalminister Denis Ducarme auf Seite eins von La Libre Belgique.
Die Rede ist vom Posten des Vorsitzenden der frankophonen Liberalen. Der amtierende MR-Chef Charles Michel wird ja Ende des Jahres EU-Ratspräsident. Und die Nummer zwei der Partei, Didier Reynders, geht ja auch nach Europa. Am 1. November wird er der belgische EU-Kommissar. Die Frage, wer neuer MR-Vorsitzender wird, die ist also so offen, wie lange nicht mehr.
Aufarbeitung bei Groen
Bei den flämischen Grünen steht auch eine Vorsitzendenwahl an. Und die derzeitige Groen-Chefin Meyrem Almaci bekommt Konkurrenz. Der derzeitige Fraktionschef im flämischen Parlament, Björn Rzoska, hat jetzt offiziell seine Kandidatur bekanntgegeben. "Wir sind zu radikal gewesen", sagt Rzoska unter anderem in Het Belang van Limburg. Damit übt er also offen Kritik an der Wahlkampfstrategie seiner Partei. "Groen ist keine Partei für die Happy few, einen erlesenen Kreis", zitiert ihn De Standaard. Für ihn hat sich Groen letztlich in erster Linie an eine Elite gewandt, statt breit zu fächern.
Das entspricht im Großen und Ganzen der Analyse, die auch schon die Parteispitze nach der Wahl gemacht hatte, bemerkt Gazet van Antwerpen in ihrem Leitartikel. Denn die Frage war mehr als berechtigt: Wie ist es zu erklären, dass die Grüne Welle in Flandern am Ende so gut wie nicht stattgefunden hat? Groen blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Und das hat sich die Partei in erster Linie selbst zuzuschreiben. Auch beflügelt durch die Straßenproteste der Klimaschwänzer hat die Partei resolut auf eine strenge und entschlossene Klimapolitik gesetzt. Dabei war man so kompromisslos, dass die Grünen am Ende fast schon wie eine anti-soziale Partei herübergekommen waren. Egal, wer das Rennen um den Vorsitz machen wird, ob nun Rzoska oder Almaci, es wird schwierig werden, dieses Image wieder geradezurücken.
Danke, Boris?
Bei alledem bleibt die Tatsache, dass Belgien und auch die beiden großen Regionen nach wie vor keine handlungsfähigen Regierungen haben.
"Back to business", schreibt dazu De Standaard. Und das klingt wie eine Feststellung und ein Appell zugleich. Die Sommerpause ist vorbei, jetzt geht der Ernst des Lebens wieder los. Fast hundert Tage nach der Wahl sind die Parteien auf der föderalen Eben noch nirgendwo. Weder gibt es Schnittmengen, noch hat man wirklich einmal präzisiert, worüber man eigentlich nicht einer Meinung ist. Das Unvermögen ist allzu flagrant. Das Unverständnis des Bürgers angesichts dieser Situation kann bald in Wut umschlagen. Fünf Jahre lang haben sich die Parteien beharkt im Kampf um die Macht. Und jetzt wollen sie keine Verantwortung übernehmen. Das ist selbst für belgische Verhältnisse absurd.
Und diejenigen, die sich am Ende auf der föderalen Ebene zusammenraufen werden, die werden wohl nicht viel zu lachen haben, kann Het Laatste Nieuws nur feststellen. Nur eine Zahl: elf Milliarden Euro. Die nächste Regierung wird im Laufe der Legislaturperiode elf Milliarden Euro finden müssen, um den Haushalt in der Spur zu halten. Das allein ist schon eine Mammutaufgabe. Parallel dazu gibt es aber auch noch die diversen Wahlversprechen: Die Sozialisten etwa haben unter anderem kostenlose Arztbesuche in Aussicht gestellt, die Liberalen ihrerseits eine Senkung der Einkommenssteuer. Heißt: Entweder, man vergisst diese Versprechen - oder das Haushaltsloch wird noch größer. In jedem Fall wird das alles wehtun. Vielleicht hat der eine oder andere das im Wahlkampf auch schon mal angedeutet. Nur, wenn wir ehrlich sind: Wir wollten es nicht hören.
Wer weiß, vielleicht müssen wir uns am Ende sogar noch bei Boris Johnson bedanken, meint leicht provokativ La Libre Belgique. Natürlich ist dessen Entscheidung, das britische Parlament mundtot zu machen, niederträchtig. In Belgien sorgt die Aussicht auf einen "No deal" aber für mehr als nur einen Hauch von Panik. Angesichts solch beunruhigender Perspektiven ist jedem klar, dass das Flugzeug Belgien dringend einen Piloten braucht. Die Parteien, die aus allen möglichen Gründen und manchmal aus ihrer Sicht auch zu Recht zögern, zaudern, abwarten, die müssen jetzt endlich aufwachen. Wenn sie nichts tun und das Land im Chaos versinkt, dann werden sie nämlich wieder abgestraft werden. Hier passt wohl das Zitat von Paul-Henri Spaak: Es ist nicht zu spät, aber es ist (höchste) Zeit.
Roger Pint