"Reynders auf dem Weg in die EU-Kommission", titelt das GrenzEcho. "Heftige Kritik an der Ernennung von Reynders zum EU-Kommissar", so die Schlagzeile von Het Belang van Limburg. "Top-Job für Reynders mit Auswirkungen auf Regierungsbildung", schreibt De Standaard in seinem Aufmacher.
Premierminister Charles Michel hat am Samstagabend entschieden, dass Didier Reynders Kandidat für den belgischen EU-Kommissar sein soll. Das hat bei den Oppositionsparteien heftige Kritik ausgelöst. Denn die Entscheidung wurde von Michels Minderheitsregierung getroffen, ohne Abstimmung im Parlament.
Legitime Ernennung von Didier Reynders?
Die Zeitungen beschäftigen sich ausführlich mit diesem demokratischen Defizit der Ernennung und wägen das Für und Wider der Entscheidung ab. Het Belang van Limburg meint: Eigentlich ist an der Personalie Reynders nichts auszusetzen. Fachlich ist er dafür natürlich geeignet, Belgien bei der EU-Kommission zu vertreten. 20 Jahre Ministererfahrung plus politisches Talent lassen da keine Zweifel aufkommen. Aber es ist die Art und Weise seiner Ernennung. Zurecht wird die Frage gestellt, wie demokratisch das war. Viele Parteien hätten gerne im Parlament über die Personalie diskutiert. Doch hätte das was gebracht? Es ist utopisch zu glauben, dass sich das Parlament auf einen Kandidaten hätte einigen können. So zerstritten, wie sich die Parteien gerade bei der Bildung einer neuen Föderalregierung zeigen, gibt Het Belang van Limburg zu bedenken.
Auch Le Soir zweifelt: Selbst Verfassungsrechtler sind sich nicht einig, ob das jetzt legitim war, was Michel da am Samstag beschlossen hat. Weil in der Verfassung nichts zu der aktuellen Situation geschrieben steht. Also nichts dazu, was eine Minderheitsregierung zu tun hat, wenn es um die Ernennung eines Kandidaten für die EU-Kommission geht. Das lässt Spielraum für Interpretationen. Dieser Vorgang zeigt erneut, wie unglücklich es ist, das Land von einer Minderheitsregierung leiten zu lassen, die aktuell nur 38 von 150 Sitzen in der Kammer repräsentiert. Die Glaubwürdigkeit der Politik verbessert das nicht. Grund hierfür ist der Sturz der Mehrheitsregierung im vergangenen Dezember. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, direkt im Anschluss daran, föderale Neuwahlen abzuhalten, um die jetzt drohende lange Zeit unter einer Minderheitsregierung zu vermeiden, so Le Soir.
Freude bei der PS
Het Nieuwsblad bemerkt: Reynders wäre nicht Reynders, wenn er nicht Anlass zu Kontroversen bieten würde. N-VA und Grüne hätten gerne einen anderen Kandidaten gesehen. Es scheint tatsächlich in der Kammer keine Mehrheit für Reynders zu geben. Aber, und das ist wichtig: es scheint auch keine Mehrheit gegen ihn zu geben. Selbst die PS, die ja mit Laurette Onkelinx am Donnerstag noch schnell eine Gegenkandidatin ernannt hatte, scheint mit Reynders leben zu können. Sie freut sich darauf, bald in der Wallonie mit einer MR regieren zu können, die mit Michel und Reynders ihre Spitzenpolitiker nach Europa abgegeben hat und damit quasi führungslos ist, analysiert Het Nieuwsblad.
De Standaard ätzt: Michel hat schon mal geübt für seine künftige Funktion in der EU. Auch dort geht es ja nicht um Transparenz, werden Entscheidung unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Hinterzimmern getroffen. So ist er ja selbst zu seinem neuen Amt als EU-Ratspräsident gekommen. Jetzt nimmt er Reynders also mit nach Europa. Was für ein Märchen für die beiden französischsprachigen Liberalen! Ihre Partei, die wahrscheinlich für alle möglichen föderalen Regierungspuzzeln gebraucht wird, lassen sie hinter sich. So manch anderer belgischer Spitzenpolitiker wird sie darum beneiden, glaubt De Standaard.
Het Laatste Nieuws zählt durch: Premier Michel verlässt die belgische Politik im Dezember Richtung EU. Sein Vize Jan Jambon wird flämischer Ministerpräsident, Kris Peeters als weiterer Vize ist bereits im EU-Parlament, und jetzt geht auch noch Reynders zur EU. Bleibt als nächster Premier nur noch der letzte Vize übrig, Alexander De Croo. Keinem scheint die Föderalregierung mehr so richtig am Herzen zu liegen. Aber eigentlich bräuchten wir doch eine neue Föderalregierung, heißt es immer. Oder ist Belgien ein Land, das ohne Regierung auskommt? "Der Beweis dafür, dass Politiker überflüssig sind?", fragt Het Laatste Nieuws.
Erfahrung macht den Unterschied
L'Avenir zieht eine Parallele zwischen der Ernennung von Reynders und dem Gewinn der Europameisterschaft durch die Hockeynationalmannschaft und schreibt: Kurz nachdem Belgien sich am Samstagabend zum Europameister gekürt hatte, kam die Nachricht zu Reynders. Diese Nachricht spaltete das Land genau so, wie zuvor der Triumph Belgien geeint hatte. Die Red Lions haben es wie die Roten Teufel vor gut einem Jahr geschafft, alle Menschen im Land für sich zu begeistern. Flamen, Wallonen und Deutschsprachige. Der Sport ist in der Lage, das zu schaffen. Die Politiker anscheinend nicht, stellt L'Avenir fest.
Auch La Libre Belgique jubelt über den Gewinn der Europameisterschaft und erklärt: Die Erfahrung hat den Unterschied gemacht. Nach mehreren Final-Niederlagen in der Vergangenheit können die Red Lions Endspiele jetzt für sich entscheiden. Nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft vergangenes Jahr folgte jetzt der europäische Titel. Jetzt muss noch der letzte Schritt gemacht werden: Olympisches Gold nächstes Jahr in Tokyo, fordert La Libre Belgique.
Kay Wagner