"Wie der französische Präsident allen das Nachsehen gab", titelt De Standaard. "Nur die Farblosen bekommen am Ende die EU-Top-Jobs", so die wenig schmeichelhafte Schlagzeile von De Morgen, fügt aber gleich hinzu: "Das muss keine Katastrophe sein". "Angela Merkel - die Bundeskanzlerin gewinnt in Europa, aber wankt in Deutschland", schreibt De Tijd auf Seite eins.
Viele Zeitungen ziehen auch heute noch Bilanz nach dem Brüsseler Personalpoker. Nach buchstäblich tagelangem Streit konnten sich die Staats- und Regierungschefs ja doch noch auf die Besetzung der EU-Spitzenpositionen verständigen. "Wer ist Ursula von der Leyen?", fragen sich sinngemäß einige Blätter. Und auch hier fällt die Antwort nicht immer sehr wohlwollend aus: "Die 'schwächste Ministerin' darf jetzt die EU führen", schreibt etwa Het Nieuwsblad. Het Laatste Nieuws bleibt seinerseits nüchtern: "Die Mutter von sieben Kindern, die Rammstein nicht mag".
"Diese Frau hat Stil", meint das Blatt in seinem Leitartikel. Viele äußern jetzt Kritik an der Personalie, nach dem Motto: "Wir kennen sie nicht, diese Ursula". Aber ist sie da wirklich die einzige? Wäre denn Manfred Weber bekannter oder besser gewesen? Weber war noch nie in einer Führungsposition, es sei denn als Ausbilder für Hilfsbademeister im Gemeinde-Schwimmbad von Rottenburg an der Laaber. Nee, dann doch lieber Frau von der Leyen!
Aus belgischer Sicht steht natürlich die Benennung von Charles Michel zum neuen EU-Ratspräsidenten im Fokus. "Klimaplan, Eurozone, Brexit, den Osten und den Westen versöhnen: die großen Herausforderungen des Ratspräsidenten Michel", listen etwa Le Soir und Gazet van Antwerpen den Aufgabenzettel des noch amtierenden Premiers auf. Auf ihn wartet im Übrigen jetzt ein neues Leben: "Eine Lohnerhöhung von 100.000 Euro, ein Panic room und Rund-um-die-Uhr-Bewachung", so fasst es Het Nieuwsblad zusammen.
Vielsagende säuerliche Reaktionen
"Aber Michel verdient doch wenigstens Glückwünsche", findet Gazet van Antwerpen. Belgien liefert - nach Herman Van Rompuy - zum zweiten Mal den EU-Ratspräsidenten. Unser kleines Land ist offensichtlich ein verlässlicher Lieferant für Brückenbauer in Europa. Nach dem Motto also: Wer in Belgien ausgebildet wurde und hierzulande Kompromisse schmieden kann, der kann auch in der EU die Standpunkte miteinander in Einklang bringen. Wir dürfen also durchaus stolz sein auf "unseren" Charles. Das scheinen aber seine belgischen Kollegen anders zu sehen: Aus Belgien gab es so gut wie keine Glückwünsche. Dass Politiker sich hierzulande derartig in ihren Schützengräben verschanzen und nicht einmal mehr dazu fähig sind, so etwas zu würdigen, macht nicht viel Hoffnung für die Zukunft dieses Landes.
Das GrenzEcho sieht das ähnlich: Weder PS-Präsident Elio Di Rupo, noch der Ecolo-Co-Vorsitzende Jean-Marc Nollet haben Glückwünsche an den scheidenden Premier gerichtet. Vom PTB-Sprecher Raoul Hedebouw gab es sogar eine Schimpftirade. Es mag eine Besonderheit unseres Landes sein, dass man eine Erfolgsstory wie die von Charles Michel lieber unter den Teppich kehrt, als den Mann zu feiern. Trotz allen Verständnisses für die innenpolitischen Wunden, die offensichtlich immer noch offen sind, hätte man erwarten dürfen, dass belgische Politiker mehr Geschlossenheit und Einmütigkeit Richtung Ausland zeigen.
Die Benennung von Charles Michel zum neuen EU-Ratspräsidenten ist eigentlich eine Würdigung des berühmten belgischen Kompromisses, meint sinngemäß Het Belang van Limburg. Und in einem normalen Land gäbe es auch tonnenweise Lob und Glückwünsche für einen solchen Karrieresprung. In Belgien dagegen gab es außergewöhnlich viele Misstöne; von der N-VA, aber vor allem von den frankophonen Linksparteien. Diese säuerlichen Reaktionen sind vielsagend: Viele Frankophone haben Charles Michel den "Hochverrat" mit der N-VA offensichtlich noch nicht verziehen. Bleibt zu hoffen, dass sich mit einem neuen, womöglich nicht mehr ganz so neoliberalen MR-Vorsitzenden die Beziehungen zu den Sozialisten wieder verbessern werden.
Ein regelrecht fahrlässiges Versäumnis
De Morgen ist insgesamt unglücklich mit dem Ausgang des EU-Posten-Karussells: Mindestens ein Gleichgewicht wurde nicht berücksichtigt – das zwischen Ost und West. Nicht einer der EU-Top-Jobs ging nach Osteuropa. Das ist besorgniserregend. Denn so bestätigt sich das Image, wonach die EU im Wesentlichen von Nordwesteuropa geführt wird. Jetzt erst recht können Orbán und Co. mit dem Finger auf die angebliche "Brüsseler Elite" zeigen, die so gar keine Ahnung hat von den Sensibilitäten im Osten. In Zeiten, in denen die Europäische Union vor allem eben im Osten unter Beschuss steht, ist das regelrecht fahrlässig.
Gratis-Kredite und Tour de France-Start
Bemerkenswerte Schlagzeile auf Seite eins von L'Echo und De Tijd: "Belgien kann erstmals Zehnjahreskredite gratis aufnehmen", schreiben beide Wirtschaftsblätter. Der Zinssatz für belgische Staatsanleihen ist buchstäblich unter null gesunken; er steht jetzt bei minus 0,04 Prozent. Heißt im Klartext: Der Staat kriegt quasi noch Geld raus.
Beide Zeitungen warnen aber in ihren Leitartikeln vor einem falschen Eindruck: Es ist nicht, weil Kredite gratis sind, dass wir plötzlich keine Probleme mehr mit unserer Staatsschuld hätten. Und das soll mit Sicherheit auch kein Anreiz sein, um neue Kredite aufzunehmen. Und drittens sollte die Politik das auch nicht als Einladung verstehen, die Regierungsbildung noch weiter in die Länge zu ziehen.
Einige Zeitungen freuen sich schließlich auf die Tour de France. Heute werden in Brüssel feierlich die Mannschaften vorgestellt. "Brüssel ist bereit für den großen Start", schreibt Le Soir.
Roger Pint