"Willkommen im permanenten Wahlkampf", so lautete mal der Titel eines Essays der österreichischen Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl. Darin analysierte sie die Politik des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz. Ihr Befund: "Egal, welche Situation vor ihm liegt, sie wird nicht im Sinne politischer Lösungskompetenz betrachtet, sondern nach PR-Gesichtspunkten".
Das passt eins zu eins zu dem, was man in diesen Tagen auch in Belgien beobachten kann. Auch hier geht es nicht mehr um Lösungen, sondern nur noch um kraftmeierische Inszenierungen zwecks parteipolitischer Profilierung.
Das Nein der flämischen Umweltministerin Zuhal Demir zu einem neuen Gaskraftwerk in Vilvoorde ist mindestens anrüchig. Das Projekt verstoße in seiner jetzigen Form gegen die flämischen Stickstoffnormen, begründete Demir ihre Entscheidung. Seltsam nur, dass die zuständigen flämischen Verwaltungsstellen dem Projekt bereits zugestimmt hatten. Es gab kein negatives Gutachten.
Außerdem steht bereits ein Gaskraftwerk auf dem Gelände, wo die neue Anlage gebaut werden soll, das sollte nur durch ein größeres ersetzt werden. Nichts schien also gegen das Projekt zu sprechen. Bis Zuhal Demir kam. Anscheinend hat die N-VA-Politikerin ihre Entscheidung nicht mal mit den flämischen Koalitionspartnern besprochen, sondern im Alleingang getroffen.
Der Vorwurf, dass sie nur die Politik der Föderalregierung sabotieren wollte, der kommt jedenfalls nicht von ungefähr, zumal das nicht das erste Projekt dieser Art war, das sie blockiert hat. Dass Zuhal Demir das Ganze auch noch mit "ernsthaften Umweltschutzbedenken" rechtfertigt, das klingt doch sehr scheinheilig aus dem Mund einer Ministerin, die während der Klimaschutzkonferenz von Glasgow plötzlich holterdiepolter einen Klimaschutzplan ausbaldowern musste, weil sie die Akte bislang offensichtlich verschlafen hatte. Kurz und knapp: Die N-VA gehört in Sachen Umweltschutz, wenn überhaupt, dann wohl allenfalls zu den Spätberufenen.
Nein, in diesem Fall ist ziemlich offensichtlich, dass die Umweltministerin einzig und allein der Föderalregierung und insbesondere den Grünen eins auswischen wollte. Denn die Gaskraftwerke sind ein zentrales Element der Strategie, die den Atomausstieg möglich machen soll. Und eben in diesem Monat soll entschieden werden, ob man 2025 auf wirklich alle Reaktoren verzichten, ob die Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann. Das flämische Nein zum Gaskraftwerk von Vilvoorde kommt also für die Regierung zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.
Und außerdem eignete sich das Ganze auch noch wunderbar als Spaltpilz. Seit Wochen trommelte der MR-Vorsitzende Georges-Louis Bouchez nämlich schon gegen den Atomausstieg und er zeterte dabei wie der Teufel im Weihwasser. Die flämische Entscheidung war für Bouchez denn auch eine Steilvorlage, die der begeisterte Fußballer natürlich dankend annahm, nach dem Motto: "Seht ihr! Ich habe doch gesagt, dass das mit dem Atomausstieg nicht funktionieren wird".
Er scheint dabei zu vergessen, dass der MR-Premier Charles Michel, also ein Parteikollege, noch vor einigen Jahren vom genauen Gegenteil überzeugt war: Er halte entschlossen am Atomausstieg 2025 fest, erklärte Michel vor dem Parlament.
Kleine Klammer: Hier geht es nicht um den eigentlichen Inhalt. Es gibt stichhaltige Argumente sowohl für als auch gegen Gaskraftwerke. Und Belgien ist auch nicht das erste Land, in dem angesichts von Klimakrise und Energiepreisexplosion plötzlich wieder über einen Ausstieg aus dem Ausstieg, also eine mögliche Rückbesinnung auf die Atomenergie, diskutiert wird. Welchen Weg man einschlagen wird, das ist eine rein politische Entscheidung.
Was stört, das ist die Art und Weise, wie die Debatte geführt wird. Man wird den Eindruck nicht los, dass es dabei nämlich auch nicht um den eigentlichen Inhalt geht, sondern einzig darum, den politischen Gegner in die Pfanne zu hauen. Im Falle der N-VA sind das quasi alle anderen flämischen Parteien. Jene "Vivaldisten", die es "gewagt" hatten, die Nationalistenpartei nach einer schier endlosen Hängepartie in die Opposition zu befördern. Der N-VA ist in diesen Tagen offensichtlich jedes Mittel recht, um der Föderalregierung Knüppel zwischen die Beine zu werfen.
Das mag bis zu einem gewissen Maß zwar die Rolle einer Oppositionspartei sein. Aber eben nur "bis zu einem gewissen Maß". Im vorliegenden Fall gleicht das Ganze eher einer Politik der verbrannten Erde. Was zählt, das ist allein der "Sieg" gegen die "Anderen". Das eigentliche Thema, die künftige Energiepolitik, das ist nur das Schlachtfeld, ein bloßes Vehikel. Um die Suche nach Lösungen geht es hier nicht. Zumal jeder weiß, dass für den Energiemix so oder so, in jedem Szenario, Gaskraftwerke nötig sein werden.
Eben hier sieht man die Parallelen zu Leuten wie Sebastian Kurz oder auch einem Donald Trump. Es wird die Atmosphäre eines permanenten Wahlkampfes erzeugt, wo es ständig nur darum zu gehen scheint, den politischen Gegner zu treffen. Mehr noch: Am liebsten würde man ihn gleich vernichten. Denn dem Ganzen wird der Nimbus eines apokalyptischen Kulturkampfes verliehen: Man vermittelt seinen Wählern den Eindruck, dass man sie nur vor den "spinnerten Ideen der verblendeten Gegenseite" beschützen will.
Austragungsort dieser Schlacht sind auch und vor allem die sozialen Netzwerke, wo sich Politiker und Fans beider Seiten von morgens bis abends beharken und wo die Polarisierung auf die Spitze getrieben wird. Jeden Tag ein neuer Aufreger. Politik als Dauer-Schlammschlacht.
Resultat von alledem, das ist im schlimmsten Fall am Ende eine Fortsetzung dessen, was wir schon seit mehr als 20 Jahren erleben: Energiepolitik im Wechselstrom, ohne Vision, ohne klare Richtungsentscheidung. Eine Nicht-Politik. Und das ist Politik zum Abgewöhnen.
Roger Pint
Guter Kommentar Herr Pint.
Früher saßen in den Parlamenten Parlamentatier, heute Postenjäger und Profiteure, die im Eigeninteresse handeln und nicht im Allgemeineninteresse.
Vielleicht sollte man Frau Ministerin Demir, Zuhal mal an ihre Amtspflichten erinnern und sie vor das Verfassungsgericht ziehen. Es kann doch wohl nicht sein, dass aus politischem Opportunismus und Populismus alles und jedes verhindert und in die Länge gezogen wird.
Ein wenig „kort om de bocht“ wie der Flame so schön sagt, meine Herren.
Wären Sie besser informiert (worden), wüssten sie dass z.B. auch Umweltverbände, Bürgerinitiativen und sogar die lokalen Grünen gegen dieses Projekt sind und bei einem positiven Beschluss ganz sicher prozessiert hätten.
Dies umso mehr, als dass z.B. ein Hühnerstall der einen günstigen Beschluss für einen Ausbau hatte diesen vor Gericht verlor, da er zuviel Amoniak ausstoßen würde. Was sagt man dann zu einer gewaltigen schmutzigen Gaszentrale neben einem Naturschutzgebiet?
Ich denke die Umweltministerin hat ihre Arbeit gemacht und das flämische Dekret, welches auch so manchen Landwirten am Ausbreiten hindert, richtig angewandt.
Es müssen nicht immer politische Gründe hinter Entscheidungen stehen, auch wenn es hier natürlich für Populisten naheliegt.
Dann bliebe aber immer noch der Widerspruch zwischen der positiven Stellungnahme aus der eigenen Verwaltung Frau Demirs und ihrer Entscheidung. Die Verwaltung wird doch wohl ihre regionalen Dekrete kennen, und daran ihre Stellungnahme ausrichten. Daher erscheint diese Argumentation nicht wirklich überzeugend.
Richtig Herr Appelt, da bin ich voll bei Ihnen.
Wobei weder Sie noch ich wissen welche Verwaltung welche Aspekte dieses Vorhabens worauf geprüft hat. Die Ministerin ist für die Gesamtgenehmigung zuständig und muss diese prüfen und bis zum Beweis des Gegenteils gehe ich davon aus, dass sie dies nach geltendem Recht getan hat. Engie kann ja dagegen Einspruch erheben.
Nur, selbst Engie wusste, dass der Amoniakausstoß ein Problem darstellte und hat im Antrag nur vermerkt man werde den Ausstoß in Zukunft verringern, ohne zu sagen wann und wie. Ein bisschen wenig um eine Genehmigung zu erhalten.
Die flämische Umweltministerin beruft sich bei ihrer Entscheidung auf ein anwendbares Dekret, verabschiedet durch das flämische Parlament.
Ein Sturm von gespielter Entrüstung bei Linken und grünen Politiker.
Sind Gesetze für diese Politiker inexistent, sobald ihre eigenen Interessen davon betroffen werden?
Auf welchen Aspekt der Akte bezog sich das positive Gutachten der Verwaltung in dieser Angelegenheit ? Hat besagte Verwaltung das bestehende Dekret bei der Verfassung des Gutachtens berücksichtigt ?
Der Kommentar des Journalisten Pint lässt absichtlich gewisse Fakten ausser acht. Es geht diesem linkslastigen Journalisten, wieder einmal muss man sagen, einzig und allein darum, die NVA als Bösewicht hinzustellen.
Da sind die Kommentare seiner BRF-Kollegen schon wesentlich ausgewogener und von einer ganz anderen Seriosität geprägt.