Nicolas, was ist deine früheste Motorsport-Erinnerung?
Ich war mit meinen Eltern bei den Boucles de Spa. Wir haben an der Wertungsprüfung Harzé Eintritt genommen, das ist das Dorf neben dem, in dem ich aufgewachsen bin. Ich war fünf Jahre alt, meine Schwester drei. Mein Vater war damals schon im Ortsclub aktiv und half aus.
Welche war deine erste Rallye?
Rallye de la Famenne 2000 mit Thierry Paquay, der ein Stückchen älter war als ich. Das war ein tolles Erlebnis. Ich war sofort Feuer und Flamme und wollte weitermachen.
Wie kam die Zusammenarbeit mit Thierry Neuville zustande?
Das hat Bruno Thiry eingefädelt. Ich kannte Thierry schon aus der belgischen Meisterschaft. Ich fuhr damals mit Alexandre Romain. Thierry tauchte im Ford Fiesta Challenge auf und ich hab mir gedacht: Schau dir den Neuen an, der gibt ganz schön Gas. In der Motorsportwelt kennt und grüßt man sich, wir sind nicht offiziell vorgestellt worden oder so. Ich bin dann mit Bruno in Deutschland im Citroën C2R2 Max gefahren, als Ersatz für Johny Blom in letzter Sekunde. Thierry war auch am Start und kam bei uns vorbei. Da haben wir miteinander geredet und uns etwas besser kennengelernt.
Was hast du damals vor eurer ersten Rallye gedacht?
Was mir wirklich zu schaffen gemacht hat (lacht): Thierry sprach nicht viel Französisch. Die Rallye Antibes ist in den Bergen und sehr kompliziert. Ich hatte Angst, dass er meine Ansagen im Auto vielleicht nicht richtig versteht. Ich habe also versucht, so deutlich wie möglich zu sprechen, damit es für ihn so klar und bequem wie möglich ist.
Was ist eure größte Gemeinsamkeit? Und was unterscheidet euch?
Wir sind sehr unterschiedliche Charaktere. Deshalb ergänzen wir uns so gut. Natürlich verbinden uns auch so einige Gemeinsamkeiten: Wir sind beide sehr akribisch in der Arbeit und nehmen alles sehr genau. Wir haben beide einen großen Ehrgeiz und einen gewissen "Jusqu'au-boutisme", wollen bis zum Ende durchhalten. Andererseits sind wir wie Feuer und Wasser. Er ist das Feuer, ich bin das Wasser. Ich bin der ruhige Part und bringe ihn wieder runter, wenn ihm die Nerven durchgehen. Andersrum gibt auch er mir Vertrauen, wenn dann mal bei mir die Nervosität zuschlägt. Wir gleichen uns aus, das funktioniert sehr gut.
Wie hast du euren ersten Sieg erlebt, bei der Rallye Deutschland 2014?
Das war eine sehr besondere Rallye. Wir haben uns im Shakedown mehrfach überschlagen. Das Auto war ziemlich kaputt und wir sind bei der Eröffnungszeremonie zu Fuß übers Podium spaziert. Das war ein unglaubliches Wochenende. Die schwierigen Bedingungen lagen uns aber, es hatte sonntagsmorgens geregnet. Außerdem liebt Thierry diese Rallye. Also hat am Ende die Schildkröte alle Hasen geschlagen.
Dein schönster Rallye-Moment bisher? Und der schlimmste?
Wir sind ein bisschen wie Gladiatoren. Wir erleben viele Höhepunkte. Mir persönlich gefallen immer die engen Duelle am besten, wenn du über dich hinauswachsen und in Sachen Kontrolle und Konzentration noch eine Schippe drauflegen musst. Und wenn du dann gewinnst, ist es das Größte. Zum Beispiel vor zwei Jahren in Argentinien oder letztes Jahr in Sardinien. Da war es ultra-knapp, aber wir haben uns durchgesetzt.
Einen schlimmsten Moment gibt es eigentlich nicht. Der "erschütterndste" Moment war sicher der Unfall in Chile. Du kannst auch von der Strecke fliegen und merkst nichts. Aber dieses Mal sind wir wirklich heftig durchgerüttelt worden. Wir hatten Schwierigkeiten, uns auf den Beinen zu halten. Das ist vorher noch nie passiert.
Was gefällt dir am Rallyesport? Und gibt es eine Seite, die du weniger magst?
Die schwierigste Aufgabe ist gleichzeitig auch die wichtigste: die Streckenbesichtigung, die wirklich sehr arbeitsintensiv ist. Außerdem wird die Arbeit immer kompakter. Wir haben immer weniger Zeit, um immer mehr Arbeit zu machen. Das geht von früh bis spät und es bleibt keine Zeit mehr, mal abzuschalten. Das ist der nicht so lustige Teil unserer Arbeit. Aber derjenige, bei dem es auf jedes Detail ankommt. Nur wer gut vorbereitet ist, hat Chancen auf den Sieg.
Was mir gefällt: Der Lebensstil passt perfekt zu mir. Ich bin ein "électron libre", ich brauche meinen Freiraum. Es gefällt mir, alles selbst zu organisieren. Ich habe viele Freiheiten, um mich auf die Rallyes vorzubereiten. Andere Leute sind in einem strikten Tagesablauf gefangen.
Was machst du in deiner Freizeit?
Ich nehme Tempo raus (lacht). Ich gebe gerne Vollgas, aber genauso gerne verbringe ich Zeit mit meiner Familie, meiner Frau Cindy und meiner Tochter Myrtie. Außerdem liebe ich meine Heimat. Wir leben in der Gemeinde Theux, in einer tollen Gegend und es macht Spaß, mit dem Mountainbike durch die Wälder zu fahren oder einfach nur wandern zu gehen. Das ist super, um herunterzukommen. Ich treffe mich mit Freunden, genieße den Moment. Denn die Zeit vergeht schnell!
Rekordhalter unter den Beifahrern ist Miikka Anttila, der Beifahrer von Jari-Matti Latvala. Er hat mehr als 200 Rallyes auf dem Buckel. Wirst du das auch schaffen?
Bevor man mich rauswirft, werde ich mich davonmachen (grinst). Nein, ich mache Witze. Zahlen sind mir nicht wichtig. Solange mein Beruf mir Spaß macht, solange auch andere meine Arbeit anerkennen - Thierry gibt mir das Gefühl, dass ich seine Erwartungen genau erfülle – höre ich nicht auf. Wichtig ist mir, dass ich mich voll entfalten kann. Solange das der Fall ist, werde ich weitermachen.
Bestzeit für Neuville im Shakedown der Rallye Portugal – Unfall abgehakt
Katrin Margraff