Die Arbeitsmarktreform ist eine Riesenbaustelle, die alle Landesteile betrifft. Der Punkt, der die Behörden in der Deutschsprachigen Gemeinschaft am meisten beschäftigt, ist die Begrenzung des Arbeitslosengeldes und des Berufseingliederungsgeldes.
Die DG ist davon eher indirekt betroffen, denn das Arbeitslosengeld kommt aus den Kassen des Föderalstaates. Durch die Begrenzung werden künftig viele Menschen aus dem Arbeitslosengeld herausfallen und dann Hilfe beim ÖSHZ anfragen. Die Öffentlichen Sozialhilfezentren werden von den Gemeinden getragen.
Im Prinzip verschieben sich die Ausgaben also vom Föderalstaat hin zu den ÖSHZ und den Gemeinden. Nicht zu 100 Prozent, aber zu einem gewissen Teil. So könnten gewisse Personen eine Arbeit finden und deshalb nicht mehr beim ÖSHZ landen. Dann wird es aber auch Personen geben, die kein Anrecht auf das sogenannte Eingliederungseinkommen vom ÖSHZ haben. Zum Beispiel, weil sie in einem Haushalt wohnen, dessen Einkommen über der Schwelle liegt, ab der eine Person Anrecht hat.
Hier ist das Problem, dass die Regeln für die Eingliederungseinkommen des ÖSHZ auch gerade geändert werden. Die ÖSHZ müssen sich also auf die Reform vorbereiten, ohne wirklich alle Regeln zu kennen. Das macht es nicht gerade einfacher. Und da wird auch eine ganze Welle von Klagen auf die Arbeitsgerichte zurollen, die dann entscheiden müssen, wer wirklich Anrecht hat und wer nicht.
Das Problem ist, dass die Finanzen der Gemeinden eh schon unter Druck stehen. Deshalb hat die DG-Regierung gefordert, dass die Reform für die Gemeinden kostenneutral ist. Das tut sie auch, weil sie im schlimmsten Fall - nämlich falls eine Gemeinde ihr ÖSHZ nicht mehr finanzieren kann - einspringen müsste.
"Wir haben in Brüssel interveniert und die Kompensationsregeln werden angepasst", erklärt Beschäftigungsminister Jérôme Franssen. Das Problem ist, dass diese Zahlungen nach zwei Jahren drastisch weniger werden. Kostenneutral ist die Reform also auf Dauer bisher nicht. Die DG-Regierung will genau so wie die anderen Teilstaaten weiter verhandeln, denn das Problem rollt auf die Gemeinden im ganzen Land zu.
Das nächste Problem sind die Zahlen, denn Lebenssituationen verändern sich ständig und sind unvorhersehbar. Dadurch ist es schwer, konkrete Zahlen oder Hochrechnungen zu erhalten und damit auch die genauen Auswirkungen auf den Haushalt der ÖSHZ zu beziffern.
Zum Beispiel werden diese Woche rund 100 Briefe verschickt an die Leute, die ab Januar 2026 ihr Arbeitslosengeld verlieren. Davon sind ungefähr ein Drittel Personen, die schon seit mehr als 20 Jahren Arbeitslosengeld beziehen. Zwei Drittel sind junge Menschen, die vor Januar 2025 Berufseingliederungsgeld angefragt haben. Insgesamt sind laut aktuellem Stand in der DG etwas unter 1.000 Personen betroffen, die meisten davon in den Nordgemeinden.
Für die ÖSHZ bedeutet das jede Menge Mehrarbeit. Zum Beispiel wird sich "in Eupen die Anzahl der Antragsteller im Januar 2026 ungefähr verdoppeln", erklärt Nathalie Johnen, die Präsidentin des ÖSHZ Eupen. "Wir werden deshalb Verwaltungsmitglieder einsetzen, um die zusätzlichen Anträge zu bewältigen. Diese Arbeit machen eigentlich Sozialarbeiter."
Ob zusätzliches Personal nötig ist und wer dafür aufkommt, wird sich erst zeigen, wenn der Föderalstaat wirklich alle Regeln festgelegt hat.
Eine Hilfe bei der Vorbereitung auf die Reform ist das sogenannte Vermittlungsdekret, das die DG schon vor ein paar Jahren beschlossen hat. Das Dekret sorgt dafür, dass Arbeitssuchende weiter vom Arbeitsamt beraten werden, auch wenn sie Eingliederungseinkommen vom ÖSHZ bekommen.
"Für das Arbeitsamt der DG gibt es hier drei große Herausforderungen", sagt die Direktorin des Arbeitsamtes, Sabinet Herzet. "So muss sich das Arbeitsamt auf neue Profile einstellen - Leute, die 20 Jahre nicht gearbeitet haben, haben andere Anforderungen als Menschen, die zum Beispiel nur ein halbes Jahr aus der Arbeitswelt raus waren."
"Außerdem muss das Arbeitsamt stärker mit den ÖSHZ zusammenarbeiten und die Beratung muss schneller als bisher losgehen, weil die Leute ja auch schneller aus dem Arbeitslosengeld rausfallen. Viele Beratungsangebote sind zum Beispiel auf ein Jahr angelegt, und die müssen jetzt, auch in Zusammenarbeit mit zum Beispiel Ausbildungsbetrieben, gerafft werden."
Durch das Vermittlungsdekret hat die DG einen Vorsprung, was die Zusammenarbeit zwischen ÖSHZ und Arbeitsamt angeht. Durch das Vermittlungsdekret sind viele Prozesse schon erprobt, zum Beispiel, dass die Beratung durchgehend ist, auch wenn das Geld vom ÖSHZ kommt. Dazu finden auch regelmäßige Arbeitstreffen statt.
"Es hakt aber noch an der gemeinsamen Datenbank", sagt die ÖSHZ-Präsidentin Nathalie Johnen. "Bisher arbeiten wir noch nicht damit und das ist für uns unbedingt nötig, denn die Daten müssen vollständig sein, damit wir die Unterstützung vom Föderalstaat für die Eingliederungseinkommen bekommen."
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die DG sehr bemüht ist, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten vorzubereiten. Die Regierung hat einen Fahrplan entwickelt und schon vor den endgültigen Entscheidungen auf föderaler Ebene erste Schritte zur Vorbereitung eingeleitet.
Die große Schwierigkeit ist einerseits der Zeitplan, denn die Reform wurde erst im Juli konkret beschlossen und die ersten konkreten, finanziellen Folgen kommen im Januar. Dazwischen ist wenig Zeit und noch sind nicht alle Regeln klar. Die ÖSHZ "navigieren auf Sicht", so hat man es ausgedrückt.
Andererseits ist es auch kein Geheimnis, dass die Kassen in Belgien auf so ziemlich allen Ebenen leer sind und dass durch die Reform die Gemeinden am Ende mehr Kosten tragen müssen. Dadurch entsteht jede Menge Unsicherheit und die Teilstaaten und die Gemeinden werden Opfer der Umstände, die woanders beschlossen wurden.
Selbst Minister Jérôme Franssen räumt ein, dass er sich mehr Zeit gewünscht hätte. So wirkt das Ganze schon etwas übers Knie gebrochen und die Schicksale, die dahinter stecken, also die betroffenen Menschen, könnten am Ende die Leidtragenden sein.
Hintergrund
Die Arbeitsmarktreform war ein Wahlversprechen der neuen Regierung auf föderaler Ebene, der Arizona-Koalition. Die Reform soll mehr Menschen in Arbeit bringen, flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen und Steuern auf Löhne reduzieren. So soll Arbeit sich wieder mehr lohnen.
Offiziell geeinigt haben sich die Koalitionspartner aber erst Anfang dieses Sommers. Das Gesetz wurde im Juli von der Kammer verabschiedet. Seitdem ist auch erst bekannt, wie genau die Maßnahmen der Reform gestaltet sind.
Der wichtigste Punkt der Reform, der auch die DG am meisten betrifft, ist die Begrenzung des Arbeitslosengeldes - auf maximal zwei Jahre - und des Berufseingliederungsgeldes für junge Menschen - auf maximal ein Jahr.
Kritiker der Reform sind vor allem die Gewerkschaften. Für sie wälzt die Regierung zu viel Verantwortung auf die Arbeitnehmer ab. Sie finden die Reform sozial ungerecht.
Anne Kelleter